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Sexuelle Belästigung – Grund für fristlose Kündigung

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 9.6.2011, 2 AZR 323/10

Wiederholte sexuelle Bemerkungen, die eindeutig unerwünscht sind, gelten als sexuelle Belästigung. Ein Produktmanager und Einkäufer im Möbeleinzelhandel wurde wegen sexueller Belästigung fristlos gekündigt. In einem früheren Fall erhielt der Gekündigte bereits eine Abmahnung. Anlass war der Schlag auf das Gesäß einer Mitarbeiterin.

 

Der 58-jährige leitende Mitarbeiter äußerte gegenüber einer 25-jährigen Einkaufsassistentin bei 4 Gelegenheiten Bemerkungen mit sexuellem Inhalt. Das Bundesarbeitsgericht erklärt:

Mit den wiederholten Bemerkungen sexuellen Inhalts hat der Kläger iSv. § 3 Abs. 4 AGG die Würde der Mitarbeiterin verletzt. Er hat diese an zwei aufeinanderfolgenden Arbeitstagen gleich mehrfach mit anzüglichen Bemerkungen verbal sexuell belästigt und damit zum Sexualobjekt erniedrigt. Dadurch entstand für die betroffene Mitarbeiterin zudem ein Arbeitsumfeld, in welchem sie jederzeit mit weiteren entwürdigenden Anzüglichkeiten seitens des Klägers rechnen musste.

Der 58-jährige Einkaufsleiter legte fristgemäß Klage gegen die Kündigung ein. Nach seiner Auffassung habe er die Mitarbeiterin nicht sexuell belästigt, sondern nur geneckt. Das Gericht argumentiert jedoch, dass es für den leitenden Mitarbeiter erkennbar war, dass seine Bemerkungen nicht erwünscht waren. Wiederholte sexuelle Bemerkungen an zwei aufeinanderfolgenden Arbeitstagen haben die Würde der Mitarbeiterin verletzt. Dazu das BAG:

Eine sexuelle Belästigung iSv. § 3 Abs. 4 AGG liegt vor, wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch unerwünschte sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu diesen, sexuell bestimmte, körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornografischen Darstellungen gehören, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbesondere wenn ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird. Im Unterschied zu § 3 Abs. 3 AGG können danach auch einmalige sexuell bestimmte Verhaltensweisen den Tatbestand einer sexuellen Belästigung erfüllen.

Sobald die Würde des Menschen verletzt ist, können Bemerkungen als sexuelle Belästigung eingestuft werden. Dabei spielt es keine Rolle, ob eine Belästigung geplant war. Allein die Wirkung genügt.

Das Bundesarbeitsgericht sieht die fristlose Kündigung unter Berücksichtigung des Einzelfalles und Abwägung der Interessen beider Seiten als gerechtfertigt. Das BAG erklärt:

Der Arbeitgeber hat bei Verstößen gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG, zu denen auch sexuelle Belästigungen iSv. § 3 Abs. 4 AGG gehören, im Einzelfall die geeigneten, erforderlichen und angemessenen arbeitsrechtlichen Maßnahmen wie Abmahnung, Umsetzung, Versetzung oder Kündigung zu ergreifen. Welche Maßnahmen er als verhältnismäßig ansehen darf, hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab. § 12 Abs. 3 AGG schränkt das Auswahlermessen jedoch insoweit ein, als der Arbeitgeber die Benachteiligung zu „unterbinden“ hat.

Eine fristgemäße Kündigung, die nach 7 Monaten wirksam geworden wäre, sah das Bundesarbeitsgericht als nicht ausreichend an, um die Mitarbeiterin vor weiteren verbalen sexuellen Attacken zu schützen. Im Gegenteil wäre zu befürchten, dass gerade wegen des absehbaren Endes des Arbeitsverhältnisses weitere sexuelle Bedrängungen folgen könnten. Eine Entschuldigung gab es erst nach dem Personalgespräch, was aus der Sicht des BAG kein großes Gewicht hat. Bedeutung für die fristlose Kündigung hatten auch frühere einschlägige Abmahnungen aus den letzten Jahren. Die Abmahnungen wurden zwar bereits aus der Personalakte gestrichen, waren dadurch jedoch nicht vergessen.

 

Im Rahmen einer fristlosen Kündigung hat die Abwägung immer unter Berücksichtigung des konkreten Einzelfalls zu erfolgen. Dies gilt auch für diese Entscheidung. Dennoch gibt diese Entscheidung eine Richtung vor, die den Umgang des Bundesarbeitsgerichts mit sexuellen Belästigungen aufzeigt.