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Keine fristlose Kündigung für geringfügige Privattelefonate

Privattelefonate in geringem Umfang sind kein Grund für eine fristlose Kündigung

Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 17.01.2017, Aktenzeichen 5 TaBV 8/16

Privattelefonate sind nur dann ein Grund für eine außerordentliche Kündigung ohne vorherige Abmahnung, wenn ein exzessives Ausmaß erreicht wurde, das bei einem Zeitanteil von 15 bis 20% der Arbeitszeit liegt.

Ein Leiter Haustechnik mit zusätzlichem Tätigkeitsschwerpunkt Filmvorführung war in einem Kino beschäftigt und Vorsitzender des 3-köpfigen Betriebsrats. Die Arbeitgeberin warf ihm vor, während seines Kündigungsschutzprozesses falsche Angaben vorgetragen, einen Zeugen zur Falschaussage bewegt sowie während der Arbeitszeit privat telefoniert zu haben. Basierend auf diesen Vorwürfen beabsichtigte die Arbeitgeberin die außerordentliche Kündigung des Haustechnikleiters. Der Betriebsrat verweigerte seine Zustimmung zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung. Vor dem Arbeitsgericht beantragte die Arbeitgeberin die Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats.

Im Rahmen der Digitalisierung in den Kinosälen erhielten Mitarbeiter in der Projektionstechnik eines Kinos eine betriebsbedingte Kündigung. Der Haustechnikleiter erhielt eine Änderungskündigung, die seinen Arbeitsumfang von monatlich 173 Stunden auf 100 Stunden reduzierte. Gegen die Änderungskündigung legte er eine Kündigungsschutzklage ein. Während des Kündigungsrechtsstreits fand eine Auseinandersetzung darüber statt, inwiefern eine Weiterbeschäftigung in Vollzeit mit den bisherigen Aufgaben oder mit der Übertragung anderer Aufgaben möglich sei.

Die Arbeitgeberin hatte daraufhin dem Haustechnikleiter Tätigkeiten im Umfang von weiteren 72 Stunden zu einem deutlich geringeren Stundensatz angeboten. Der Haustechnikleiter lehnte ab, da dieser Stundensatz unter dem vereinbarten Tariflohn liege. Laut Arbeitsvertrag seien andere Leistungen nur zu unveränderten Bezügen zu erbringen.

In einer Befragung zum Vorwurf, ein Betriebsratsmitglied zur Falschaussage bewegt zu haben, dementierte der Haustechnikleiter die ihm vorgeworfene Aussage. Er habe das Betriebsratsmitglied nicht zur Falschaussage bezüglich eines Betriebsratsbeschlusses bewegt und er habe zum besagten Zeitpunkt gar nicht über den Betriebsratsbeschluss gesprochen.

Die Arbeitgeberin bat dann um Stellungnahme zu einer Liste von Telefonaten im Zeitraum von Januar bis Mai 2015 mit insgesamt 43 Gesprächen, deren Aufsummierung 12,78 Stunden betrug.
Der Haustechnikleiter erklärte, mit Firmen wegen technischer Fragen telefoniert zu haben. Er führe private Gespräche nur von zuhause aus oder vom Handy, aber nicht vom Diensttelefon.

Daraufhin beantragte die Arbeitgeberin beim Betriebsrat die Zustimmung zur beabsichtigten außerordentlichen Tatkündigung. Sie legte dar, welche Behauptungen des Haustechnikleiters im Kündigungsschutzprozess falsch seien. Der Betriebsrat verweigerte die Zustimmung. Noch am gleichen Tag beantragte die Arbeitgeberin beim Arbeitsgericht die Ersetzung der Zustimmung.

Der Betriebsrat vertrat die Auffassung, die Arbeitgeberin habe ihre Unterrichtungspflicht gegenüber dem Betriebsrat nicht vollständig erfüllt. Das Anhörungsschreiben enthalte keine Angaben zur Einhaltung der Ausschlussfrist nach § 626 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch). Sie habe nicht mitgeteilt, wann sie von den Falschaussagen Kenntnis erhielt. Schriftsätze aus dem Kündigungsschutzprozess seien nur auszugsweise hinzugefügt worden. Die Arbeitgeberin hätte darüber informieren müssen, dass es im Verlauf des Prozesses ein Angebot über 72 zusätzliche Stunden gegeben habe, das jedoch nur mit 7,40 Euro brutto entlohnt werden sollte.
Der unterzeichnende Vertreter der Arbeitgeberin sei kein gesetzlicher Vertreter und verfüge nicht über Personalbefugnisse.

Eine außerordentliche Kündigung könne zudem nur innerhalb von zwei Wochen nach Kenntniserlangung erfolgen. Die Arbeitgeberin berufe sich auf Schriftsätze, die mehr als 6 Monate alt sind. Aus diesem Grund komme es gar nicht mehr darauf an, ob die Behauptungen tatsächlich falsch seien.

Der Haustechnikleiter habe aber auch keinen Prozessbetrug begangen. Jedenfalls habe er nicht vorsätzlich gehandelt. Die Aussage, kein anderer Mitarbeiter habe eine Änderungskündigung erhalten bezog sich auf die Absenkung der Arbeitszeit.

Die Aussage, der Interessenausgleich sei mangels eines ordnungsgemäßen Betriebsratsbeschlusses unwirksam, sei keine Tatsachenbehauptung, sondern lediglich eine Rechtsansicht. Der Haustechnikleiter habe sich dabei auf die Aussage eines früheren Betriebsratsmitgliedes gestützt, der später als Zeuge im Kündigungsrechtsstreit gehört wurde. Dieser habe mitgeteilt, dass es keinen Betriebsratsbeschluss gegeben habe. Bei der Beweisaufnahme habe sich das bestätigt. Er habe den Zeugen lediglich nach den tatsächlichen Umständen gefragt, ohne ihn zu etwas zu drängen. Selbst wenn die Behauptung der Arbeitgeberin zutreffen würde, folge daraus kein strafrechtlicher Vorwurf.

Da der Haustechnikleiter weiterhin im Betrieb tätig ist, sei der Arbeitgeberin seine Weiterbeschäftigung zumutbar. Ende August 2015 sei er der Bitte der Arbeitgeberin nachgekommen, seinen bereits genehmigten Urlaub wegen der Erkrankung eines anderen Mitarbeiters zu verschieben. An einem planmäßig arbeitsfreien Tag sei er erschienen, um einen größeren Maschinenausfall zu beheben. Seinen Urlaub habe er zweimal Ende September 2015 unterbrochen, um Störungen an den Filmservern und dem Theatermanagementsystem zu beheben. Es könne nicht von einem Vertrauensverlust die Rede sein. Es habe in der Zwischenzeit auch keine Abmahnungen gegeben.

Der Zeitumfang für die vorgeworfenen privaten Telefonate könne nicht exzessiv bezeichnet werden. Der Vorwurf gerechtfertige nicht eine außerordentliche Kündigung, schon gar nicht ohne Abmahnung. Das Telefon im Vorführraum sei Anfang 2015 auch von anderen Mitarbeitern genutzt worden, weil andere Telefone zeitweise ausgefallen seien.

Das Arbeitsgericht wies den Antrag der Arbeitgeberin zurück. Es fehle an Pflichtverletzungen, die eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen. Basierend auf der monatelangen tatsächlichen Beschäftigung sei der Arbeitgeberin die Weiterbeschäftigung zumutbar. Aus eventuellen Privattelefonaten lasse sich keine Pflichtverletzung herleiten, die eine außerordentliche Kündigung rechtfertige. Der Anruf beim Zeugen sei nicht als Aufforderung zur Falschaussage zu verstehen, sondern als Bitte, sich nicht zu scheuen wahrheitsgemäß auszusagen.
Die weiteren von der Arbeitgeberin vorgeworfenen Falschaussagen hätten sich im Rahmen des prozessual zulässigen bewegt und seien nicht bewusst falsch vorgetragen worden.

Die Arbeitgeberin legte gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Beschwerde ein. Das Arbeitsgericht habe zu Unrecht die Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats abgelehnt. Das Arbeitsgericht habe Indizien außer Acht gelassen und davon abgesehen, über den Inhalt der Telefonate Beweis zu erheben. Die Widersprüche im Vortrag des Haustechnikleiters seien nicht berücksichtigt worden. Zur Verdachtskündigung habe das Arbeitsgericht keine Stellung bezogen. Die Annahme, es habe keinen Betriebsratsbeschluss zum Interessenausgleich gegeben sei fehlerhaft. Selbst wenn kein Beschluss zustande gekommen sein sollte, habe der Betriebsrat den Interessenausgleich nachträglich genehmigt, indem er seine Einhaltung verlangte. Es habe keine Anzeichen dafür gegeben, dass der Betriebsratsvorsitzende mit der Unterzeichnung des Interessenausgleiches seine Kompetenzen überschritten hätte.

Es gebe zwischenzeitlich ein weiteres deutliches Indiz für die privaten Telefonate. Nach der Anhörung im Juli 2015 seien die Telefonate von ca. 228 Minuten im Monat auf 44 Minuten im Monat massiv zurückgegangen. Die privaten Telefonate hätten im Zeitraum von Januar bis Mai 2015 Kosten in Höhe von 21,03 Euro verursacht. Zusätzlich seien die Lohnkosten für die Zeit der Telefonate zu berücksichtigen. Zu den Zeiten, zu denen die häufig genutzten Telefonnummern verwendet wurden, seien andere Mitarbeiter nicht durchgängig anwesend gewesen, aber immer der Haustechnikleiter.

Die Weiterbeschäftigung des Haustechnikleiters sei unzumutbar. Als Arbeitgeberin müsse sie allerdings Betriebsratsmitglieder während des Zustimmungsersetzungsverfahrens weiterbeschäftigen, selbst wenn das im Sinne von § 626 BGB unzumutbar sei. Es bestehe ein Vertrauensverlust, dass sich der Haustechnikleiter zukünftig rechtsmäßig und vertragsgerecht verhalten werde.

Das Landesarbeitsgericht (LAG) bestätigte die Entscheidung des Arbeitsgerichtes. Die vom Betriebsrat verweigerte Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung sei nicht zu ersetzen.

Die Zustimmung sei nur dann zu ersetzen, wenn die beabsichtigte außerordentliche Kündigung unter Berücksichtigung aller Umstände des Falls aus wichtigem Grund und unter Abwägung der Interessen beider Parteien gerechtfertig ist und die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der fiktiven Kündigung nicht zugemutet werden kann.

Ein versuchter Prozessbetrug zulasten der Arbeitgeberin sei ein Vermögensdelikt und könne einen wichtigen Grund nach § 626 Absatz 1 BGB darstellen. Trägt ein Arbeitnehmer im Kündigungsrechtsstreit bewusst wahrheitswidrig vor, weil er fürchtet, mit wahrheitsgemäßen Angaben den Prozess nicht gewinnen zu können, verletze er vertragliche Nebenpflichten.

Der Haustechnikleiter habe in dem Kündigungsschutzverfahren vor dem Arbeitsgericht seine Wahrheitspflicht nicht verletzt. Sein Prozessvortrag enthalte keine Tatsachenbehauptungen, die einer Überprüfung durch Beweis zugänglich wären. Es handele sich um eine zusammenfassende Interpretation eines Gesprächs aus der Sicht des Haustechnikleiters, ohne die konkreten Äußerungen des Theaterleiters wiedergegeben zu haben. Ob er den Theaterleiter richtig verstanden habe oder verstehen durfte, lasse sich nicht feststellen, da dessen Erklärungen nicht näher dargelegt seien. Falls er die Äußerungen des Theaterleiters falsch interpretierte, genüge dies nicht für den Vorwurf der bewussten Falschaussage.

Die weiteren Vorträge des Haustechnikleiters seien entweder nicht den Mitteln des Beweises zugänglich oder wurden vom LAG in deren Zusammenhang als nicht falsch eingestuft.

Der Einwand im Kündigungsschutzprozess, der Interessenausgleich sei mangels Betriebsratsbeschluss nicht wirksam, sei keine Tatsachenbehauptung, sondern eine Rechtsansicht. Das Arbeitsgericht sei nach der Sichtung der Akte aus dem Kündigungsschutzprozess davon ausgegangen, dass kein Beschluss des Betriebsrats zum Interessenausgleich vorliegt. Diese Rechtsfrage wurde auch im Kündigungsschutzprozess offen gelassen. Der Haustechnikleiter durfte diesen prozesserheblichen Einwand mangels eigener Erkenntnisse auf die Informationen eines früheren Betriebsratsmitgliedes stützen.

Sollte der Haustechnikleiter im Telefonat dem Zeugen gesagt haben, er solle vor Gericht sagen, es habe keinen Betriebsratsbeschluss gegeben, fehle es am Vorsatz. Er sei aufgrund der Informationen des Betriebsratsmitgliedes fest davon ausgegangen, dass kein Betriebsratsbeschluss zum Interessenausgleich vorlag. Aus Sicht des Haustechnikleiters waren Bedenken gegeben, ob der Zeuge es sich getrauen würde ein fehlerhaftes Handeln des Betriebsrats zuzugeben. In diesem Sinne sei die Äußerung zum fehlenden Betriebsratsbeschluss als Bitte anzusehen, wahrheitsgemäß auszusagen. Er habe den Zeugen weder bedroht noch Vergünstigungen in Aussicht gestellt.

Für die Verdachtskündigung bleibe kein Raum. Die Vorwürfe genügten nicht den Anforderungen an eine Verdachtskündigung, da die Vorwürfe schon nicht für eine Tatkündigung ausreichten.

Die Privattelefonate stellten keine Pflichtverletzung dar, die als wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung ohne vorherige Abmahnung geeignet sei. Das gelte selbst dann, wenn es sich ausschließlich um Privattelefonate handeln sollte.

Gehe ein Arbeitnehmer privaten Angelegenheiten während der Arbeitszeit nach, verletze er eine Hauptpflicht aus dem Arbeitsverhältnis. Eine außerordentliche Kündigung komme jedoch nur in Betracht, wenn es kein schonenderes Mittel wie Abmahnung, Versetzung oder ordentliche Kündigung gibt, um das Risiko künftiger Störungen zu vermeiden.

Selbst wenn alle aufgelisteten Telefonate einen privaten Charakter gehabt haben sollten, bzw. ein entsprechender Verdacht bestehe, sei die Pflichtverletzung nicht so schwerwiegend, dass eine Abmahnung verzichtbar wäre, um das Risiko künftiger Störungen des Arbeitsverhältnisses zu vermeiden. Der zeitliche Umfang von 12,78 Stunden in 5 Monaten sei nicht exzessiv und habe nicht einen Umfang angenommen, der nicht mehr hinnehmbar sei. Bei einer Arbeitszeit von 100 Stunden im Monat nahmen die Telefonate einen Umfang von 2,6% der Arbeitszeit an. Als exzessiv werde erst ein Umfang von 15 bis 20% der Arbeitszeit angesehen. Der Haustechnikleiter habe seine Arbeitsaufgaben wegen der Privattelefonate nicht vernachlässigt.

Die Rechtsbeschwerde gegen das Urteil wurde nicht zugelassen.