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Urlaubsanspruch verfällt bei jahrelanger Krankheit

Urlaubsanspruch besteht nur bis zum 31. März des zweiten auf das jeweilige Urlaubsjahr folgenden Jahres

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 12.November 2013, Aktenzeichen 9 AZR 646/12

Ist ein Arbeitnehmer mehrere Jahre arbeitsunfähig erkrankt, so besteht sein Urlaubsanspruch nicht unbegrenzt fort.

Ein Marktbereichsleiter war ununterbrochen rund 5 ½ Jahre arbeitsunfähig erkrankt. Mit beidseitiger Zustimmung wurde das Arbeitsverhältnis nach diesem Zeitraum beendet. Die Arbeitgeberin erstatte dem Marktbereichsleiter anteilig Urlaub für das Jahr des Ausscheidens und für das vorherige Jahr. Der Marktbereichsleiter klagte vor dem Arbeitsgericht, weil er die Auffassung vertrat, seine Urlaubsansprüche seien durch die Krankheit nicht verfallen. Er hätte Urlaubsanspruch für die gesamte Zeit seiner Krankheit.
 
Der Manteltarifvertrag (MTV) enthielt unter anderem folgende Formulierung: Das Fernbleiben infolge Krankheit darf nicht auf den Erholungsurlaub angerechnet werden.

Die Arbeitgeberin argumentierte hingegen, Urlaubsansprüche, die über den bereits abgegoltenen Urlaub hinaus gehen, seien verfallen.

Das Arbeitsgericht gab der Klage statt. Das Landesarbeitsgericht wies die Berufung der Arbeitgeberin zurück. Vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) verfolgte die Arbeitgeberin weiterhin die Abweisung der Klage.

Das BAG erklärte, die Arbeitgeberin habe zu Recht die früheren Urlaubsansprüche nicht bezahlt, da diese verfallen seien. Die Urlaubsansprüche aus den Vorjahren verfielen jeweils am 31. März des zweiten auf das jeweilige Urlaubsjahr folgenden Jahres.

Der Urlaubsanspruch erlösche nicht, wenn der Arbeitnehmer bis zum Ende des Jahres und/oder des Übertragungszeitraumes arbeitsunfähig ist. Der Urlaubsanspruch wird dem Anspruch des Folgejahres hinzugerechnet, unterliegt damit erneut der Fristenregelung des BurlG (Bundesurlaubsgesetz). Besteht die Arbeitsunfähigkeit im zweiten Jahr nach dem 31.März fort, verfällt der Urlaubsanspruch, falls es keine günstigere Regelung für den Arbeitnehmer gibt.

Das Arbeitsgericht bezieht sich auf die konforme Auslegung nach EU-Recht. Demnach darf für die Urlaubsgewährung nicht zwischen Arbeitnehmern unterschieden werden die tatsächlich gearbeitet haben und jenen, die wegen Krankheit nicht gearbeitet haben. (Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung ABl. EU L 299 vom 18. November 2003 S. 9)

Nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes ist der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub ein besonders bedeutsamer Grundsatz des Sozialrechts der EU von dem nicht abgewichen werden darf. Der gesetzliche Urlaubsanspruch setze keine Arbeitsleistungen des Arbeitnehmers im Urlaubsjahr voraus. Für den Urlaubsanspruch sei lediglich ein bestehendes Arbeitsverhältnis Voraussetzung.

Ist ein Arbeitnehmer aus gesundheitlichen Gründen an seiner Arbeitsleistung gehindert, verfallen seine gesetzlichen Urlaubsansprüche aufgrund unionsrechtskonformer Auslegung des § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres (im Anschluss an EuGH 22. November 2011 – C-214/10 – [KHS])

Nach §7 BurlG ist die Übertragung von Urlaub in das Folgejahr nur wegen dringender betrieblicher oder in der Person des Arbeitnehmers liegender Gründe gerechtfertigt. Im Fall der Übertragung muss der Urlaub in den ersten drei Monaten des Folgejahres genommen werden.

Nach Ansicht des BAG ist Urlaubsanspruch unabdingbar an das Jahr des Entstehens gebunden. Der Gesetzgeber möchte damit einen einigermaßen regelmäßigen Rhythmus der Urlaubsgewährung erreichen. Die zeitliche Begrenzung des Urlaubsanspruchs und die eingeschränkte Möglichkeit der Urlaubsübertragung sollen diesem Ziel dienen.

Nicht zeitgerecht in Anspruch genommener Urlaub sollte verfallen (BAG 26. Juni 1969 – 5 AZR 393/68 – aaO mwN).

Der Europäische Gerichtshof hat festgestellt, dass ein Recht auf ein unbegrenztes Ansammeln von Ansprüchen, auf bezahlten Jahresurlaub aus mehreren Bezugszeiträumen, die während eines solchen Zeitraums der Arbeitsunfähigkeit erworben wurden, nicht mehr dem Zweck des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub entsprechen würde (EuGH 22. November 2011 – C-214/10).

Das national Recht könne daher Übertragungszeiträume vorsehen, an deren Ende der Verfall des Urlaubsanspruches stehe. Der Übertragungszeitraum müsse die Dauer des Bezugszeitraumes, für den der Urlaub gewährt wird, deutlich überschreiten. Der Übertragungszeitraum müsse den Arbeitgeber jedoch vor der Ansammlung vor zu langen Abwesenheitszeiten und den sich daraus ergebenden Schwierigkeiten der Arbeitsorganisation schützen. Ein Übertragungszeitraum von 15 Monaten bei einem Bezugszeitraum von einem Jahr wurde vom EuGH gebilligt.

Die Befristung des Urlaubsanspruchs ist ein vom deutschen Gesetzgeber gewähltes Mittel, um den Arbeitnehmer dazu anzuhalten, den Urlaubsanspruch zeitnah zum Urlaubsjahr geltend zu machen (BAG, Urteil v. 7.August 2012, Aktenzeichen 9 AZR 353/10). Eine erneute Privilegierung des einmal übertragenen Urlaubs sei europarechtlich nicht geboten.

Aus dem Bundesurlaubsgesetz ergebe sich eine zeitnahe Erfüllung für den Erholungsurlaub. Das Bedürfnis der Erholung verringere sich mit dem zeitlichen Abstand zum Entstehungsjahr des Urlaubs. Die zeitliche Begrenzung der Urlaubsansprüche könne auch im Interesse des Arbeitnehmers liegen. Eine Arbeitgeberin sei eher nach einer sehr langen Krankheit bereit das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, wenn sie nicht mit einer unbegrenzten Ansammlung von Urlaubsansprüchen rechnen müsse.