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Außerordentliche betriebsbedingte Kündigung ohne wichtigen Grund

Außerordentliche betriebsbedingte Kündigung bei Betriebsübergang

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 26.03.2015, Aktenzeichen 2 AZR 783/13

Eine außerordentliche betriebsbedingte Kündigung gegenüber einem Arbeitnehmer, der ordentlich gekündigt werden kann, ist unzulässig. Ist der Arbeiternehmer ordentlich unkündbar, so muss ein wichtiger Grund vorliegen, um die außerordentliche Kündigung wirksam werden zu lassen. Die Arbeitgeberin ist dann in besonderem Maß verpflichtet, die Kündigung zu vermeiden und alle denkbaren Alternativen zu betrachten.

Ein Zivilangestellter bei den britischen Streitkräften war als Lagerverwalter beschäftigt. Die britischen Streitkräfte übertrugen das Facility Management, wozu auch die Lagerarbeiten zählten, an ein neu gegründetes Unternehmen, das in Form einer GmbH betrieben wurde. Arbeitsverhältnisse und wesentliche Betriebsmittel gingen im Rahmen des Betriebsübergangs auf das neue Unternehmen über.

Der Lagerverwalter arbeitete zunächst für einen Zeitraum von rund 10 Monaten im neuen Unternehmen. Dann widersprach er dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses, indem er auf Mängel des Unterrichtungsschreibens hinwies, und bot seine Arbeitsleistung wieder den britischen Streitkräften an, für die er noch im gleichen Monat erneut tätig wurde. Vier Monate später kündigten die britischen Streitkräfte außerordentlich mit sozialer Auslauffrist.

Der Lagerverwalter erhob eine Kündigungsschutzklage. Das Unterrichtungsschreiben zum Betriebsübergang habe den Eindruck erweckt, der Tarifvertrag zur sozialen Sicherung der Arbeitnehmer bei den Stationierungsstreitkräften im Gebiet der BRD (TV SozSich) komme auch nach dem Übergang voll zur Geltung. Die Beschäftigten hätten darauf hingewiesen werden müssen, dass der Tarifvertrag nach dem Übergang nicht mehr anwendbar sei und bei Schließung des Standortes keine Überbrückungshilfen gezahlt werden. Informationen über die Fortführung der Gruppenversicherungsverträge seien ebenfalls unrichtig gewesen. Die Kündigung sei unwirksam. Er hätte auf einer freien Stelle an einem anderen Standort als Lagerverwalter beschäftigt werden können.

Das Arbeitsgericht wies die Klage ab. Das Landesarbeitsgericht (LAG) gab der Klage statt. Vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) begehrte die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

Die Beklagte argumentierte, der Arbeitsplatz des Lagerverwalters sei weggefallen und es hätten auch keine freien Arbeitsplätze an anderen Standorten zur Verfügung gestanden. Für die vom Lagerverwalter erwähnte freie Stelle seien vorrangig Mitarbeiter von anderen Standorten zu berücksichtigen gewesen. Teilweise habe es sich um Mitarbeiter der dortigen Betriebsvertretungen gehandelt.

Das BAG bestätigte das Urteil des LAG. Der Kündigungsschutzantrag sei so zu verstehen, dass der Lagerverwalter das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses zwischen ihm und dem Vereinigten Königreich, nicht mit der Bundesrepublik Deutschland, festgestellt haben möchte. Die Bundesrepublik Deutschland sei zwar als Beklagte im Klageantrag bezeichnet, sie sei aber lediglich die Prozessstandschafterin für das Vereinigte Königreich. Arbeitgeberin der bei den Stationierungskräften beschäftigten Arbeitskräfte bleibe der Entsendestaat.

Das Arbeitsverhältnis sei trotz des Betriebsteilüberganges nicht durch die Kündigung aufgelöst worden. Das Arbeitsverhältnis habe weiter fortbestanden.
Die Organisationseinheit des Facility Management der britischen Streitkräfte habe dem Anwendungsbereich von § 613a BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) unterlegen, da es sich um wirtschaftliche Tätigkeiten ohne Erwerbszweck bei einer öffentlich-rechtlichen Stelle handelte.

Das Informationsschreiben zum Betriebsteilübergang entsprach nicht den Anforderungen von § 613a BGB. Das Schreiben informierte nicht ausreichend über die wirtschaftlichen Folgen des Betriebsteilübergangs im Sinne von § 613a Absatz 5 Nr. 3 BGB. Im Schreiben hätte es nicht nur der Ausführungen zur möglichen Fortgeltung des TV SozSich (Tarifvertrag zur sozialen Sicherung der Arbeitnehmer bei den Stationierungsstreitkräften im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland) im neuen Unternehmen, sondern auch dessen Anwendbarkeit bedurft.

Durch die Unterrichtung nach § 613a BGB solle der Arbeitnehmer eine ausreichende Tatsachengrundlage für eine sachorientierte Entscheidung erhalten, ob er sein Widerspruchsrecht ausüben möchte. Der Arbeitnehmer sei auch über die mittelbaren Folgen des Betriebsübergangs zu informieren. Etwa wenn die rechtlichen Arbeitsbedingungen beim erwerbenden Unternehmen zu einer Gefährdung der wirtschaftlichen Absicherung der Arbeitnehmer führen können und darin ein relevantes Kriterium für einen möglichen Widerspruch gegen den Übergang des Arbeitsverhältnisses gesehen werden muss.

Die Arbeitgeberin müsse keine umfassende Rechtsberatung leisten oder über alle möglichen individuellen Folgen des Betriebsübergangs zu informieren. Der Arbeiternehmer soll jedoch in die Lage versetzt werden, sich auf Grundlage der Informationen weitergehend informieren zu können oder beraten zu lassen.

Bei den Angaben zur künftigen Anwendung der Regeln des TV SozSich fehlte im Unterrichtungsschreiben ein Hinweis darauf, dass Ansprüche aus dem Tarifvertrag nach dem Betriebsübergang womöglich nicht mehr entstehen konnten. Das Schreiben enthalte keine Aussage zu der Frage, ob Ansprüche auf Überbrückungsbeihilfen nach dem TV SozSich gegenüber der privatrechtlich organisierten Erwerberin überhaupt noch in Betracht kamen.

Die Arbeitgeberin hätte diese Frage zumindest aufwerfen und dazu einen vertretbaren Rechtsstandpunkt einnehmen müssen. Leistungen nach dem TV SozSich seien vergleichbar mit Leistungen aus einem Sozialplan. Durch Überbrückungshilfen werde ein weitreichender wirtschaftlicher Ausgleich für die Folgen eines Arbeitsplatzverlustes gewährt.

Fehle beim Erwerber die Pflicht einen Sozialplan zu erstellen, entstehe nach dem Betriebsübergang eine veränderte rechtliche Situation, die den Arbeitnehmern wegen der wirtschaftlichen Folgen mitgeteilt werden muss. Weil die Erwerberin für längere Zeit von der Sozialplanpflicht befreit war, waren die Ansprüche aus Überbrückungsbeihilfen von besonderer Bedeutung.

Der Hinweis im Unterrichtungsschreiben auf die Fortgeltung des TV SozSich bei der Erwerberin genüge hierfür nicht. Es wurde lediglich über die Möglichkeit des Bezugs von Leistungen nach dem SchutzTV informiert.

Die außerordentliche Kündigung habe das Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst. Es fehlte an einem wichtigen Grund. Eine außerordentliche Kündigung aus betrieblichen Gründen gegenüber einem Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis ordentlich gekündigt werden kann, sei grundsätzlich unzulässig.

Der Arbeitgeberin sei es, wenn die Weiterbeschäftigungsmöglichkeit aus betrieblichen Gründen entfällt, selbst im Insolvenzfall zuzumuten, die Kündigungsfrist einzuhalten.

Eine ordentliche Kündigung gegenüber dem Lagerverwalter war gemäß § 8 Ziff. 1 SchutzTV ausgeschlossen, dennoch sei die außerordentliche Kündigung nicht gerechtfertigt.

Eine auf betriebliche Gründe gestützte außerordentliche Kündigung komme dann in Betracht, wenn die Möglichkeit einer ordentlichen Kündigung nicht bestehe und dies dazu führt, dass die Arbeitgeberin den Arbeitnehmer anderenfalls trotz Wegfalls der Beschäftigungsmöglichkeit noch für Jahre vergüten müsste, ohne dass dem eine entsprechende Arbeitsleistung gegenüberstünde. In diesem Fall sei die Arbeitgeberin jedoch in besonderer Weise verpflichtet, die Kündigung durch geeignete Maßnahmen zu vermeiden.

Für eine außerordentliche Kündigung aus betrieblichen Gründen habe die Arbeitgeberin nicht nur darzulegen, dass der Arbeitsplatz entfalle, sondern dass es überhaupt keine Beschäftigungsmöglichkeit gebe. Dabei sei auch die Beschäftigung zu geänderten Bedingungen und nach einer Umschulung zu betrachten.

Die Beklagte habe nicht dargelegt, dass die Arbeitgeberin den Kläger auf dem Arbeitsplatz eines Lagerverwalters an einem anderen Standort nicht weiterbeschäftigen könnte. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts war im Kündigungszeitpunkt davon auszugehen, dass dieser Arbeitsplatz spätestens bei Ablauf der Auslauffrist „frei“ wäre. Der spätere Wegfall dieser Stelle sei für die Wirksamkeit der Kündigung unbeachtlich.

Die unwirksame außerordentliche Kündigung könne wegen § 8 SchutzTV sowie der fehlenden Anhörung der Betriebsvertretung auch nicht in eine ordentliche Kündigung umgedeutet werden.