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Arbeitsort im Arbeitsvertrag kann nicht durch Weisung geändert werden

Landesarbeitsgericht Berlin, Urteil vom 01.11.2016, Aktenzeichen 7 SaGa 1629/16

Nicht jede Weisung der Arbeitgeberin zum Arbeitsort unterliegt allein ihrem Direktionsrecht. Ist der Arbeitsort im Arbeitsvertrag festgelegt, kann die Arbeitgeberin nicht einseitig einen anderen Arbeitsort zuweisen.

Eine Verkäuferin war in der Filiale einer Einzelhandelskette beschäftigt. Sie hatte dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses auf die neue Inhaberin der Filiale, in der sie beschäftigt war, widersprochen. Ihre Arbeitgeberin wies an, die Verkäuferin solle ihre Tätigkeit in einer anderen Filiale in einer entfernten Stadt fortsetzen.

Die Verkäuferin beantragte beim Arbeitsgericht eine einstweilige Verfügung gegen die Versetzung. Die Weisung der Arbeitgeberin sei offenkundig rechtswidrig, da der Arbeitsort im Arbeitsvertrag vereinbart wurde. Die einstweilige Verfügung begründe sich darauf, dass nicht bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens gewartet werden könne. Es sei der Verkäuferin angesichts des Verhältnisses der Fahrkosten zu ihrem monatlichen Nettoeinkommen nicht zumutbar, für die entstehenden Fahrtkosten in Vorleistung zu treten.

Das Arbeitsgericht untersagte der Arbeitgeberin, bis zur erstinstanzlichen Entscheidung des Hauptsacheverfahrens, die Verkäuferin in der entfernten Filiale zu beschäftigen.

Mit ihrer Berufung beim Landesarbeitsgericht (LAG) wandte sich die Arbeitgeberin gegen das Urteil. In ihrer Begründung wandte sich die Arbeitgeberin gegen die Annahme des Arbeitsgerichtes, im Arbeitsvertrag sei der Arbeitsort festgelegt. Zudem fehle es an einem Verfügungsgrund. Unter Berücksichtigung der gängigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes (BAG) sei es der Verkäuferin zumutbar, das Hauptsacheverfahren abzuwarten und bis zu diesem Zeitpunkt der Weisung der Arbeitgeberin zu folgen. Die Verkäuferin habe ohnehin Anspruch auf Erstattung der Fahrtkosten, sollte sich die Weisung als rechtswidrig darstellen. Auf die Rücknahme einer Weisung der Arbeitgeberin habe die Verkäuferin keinen Anspruch.

Das Landesarbeitsgericht stellte fest, die Berufung der Arbeitgeberin sei unbegründet. Die einstweilige Verfügung des Arbeitsgerichtes diene als vorläufige Regelung, bezüglich der Weisung der Arbeitgeberin, zum Arbeitsort.

Die Verkäuferin habe einen Verfügungsanspruch zur Sicherung ihrer Rechtsposition, da sich die von der Arbeitgeberin ausgesprochene Versetzung als unwirksam erweise. Die Versetzung sei vom Direktionsrecht nach § 106 GewO (Gewerbeordnung) nicht gedeckt. Die Verkäuferin könne im Rahmen der vorläufigen Regelung bis zur erstinstanzlichen Entscheidung im Hauptsacheverfahren von der Arbeitgeberin verlangen, die Arbeitgeberin habe es ohne Einsatz arbeitsrechtlicher Sanktionen zu dulden, dass die Verkäuferin ihre Tätigkeit in der entfernten Filiale nicht aufnimmt.

Sind Ort, Inhalt und Zeit der Arbeitsleistung im Arbeitsvertrag nicht festgelegt und nicht durch eine Betriebsvereinbarung, eine tarifliche Vereinbarung oder gesetzliche Regelung bestimmt, könne die Arbeitgeberin diese entsprechend § 106 GewO nach billigem Ermessen selbst näher bestimmen. Da im Arbeitsvertrag der Arbeitsort jedoch vereinbart wurde, ist die Weisung zur Versetzung unwirksam. Die Filiale als Arbeitsort wurde ausdrücklich ausgewiesen. Da die Filiale im Singular im Arbeitsvertrag erwähnt wurde, sei eine zusätzliche Regelung getroffen, die den Einsatz nur in dieser Filiale vorsehe. Der Arbeitsvertrag enthalte auch keine Versetzungsklauseln in andere Filialen.

Damit bestehe ein Streit über den Umfang des Direktionsrechtes, da die Arbeitgeberin trotz der arbeitsvertraglichen Regelungen die Versetzung anwies.

Für Arbeitnehmer bestehe hinsichtlich vertraglicher Ausgestaltungen, die unterschiedlich interpretiert werden können Unsicherheit ob den Vorgaben der Arbeitgeberin gefolgt werden muss oder nicht. Folgt der Arbeitnehmer nicht den Anweisungen der Arbeitgeberin, läuft er Gefahr gekündigt zu werden. Erweist sich die Rechtsauffassung des Arbeitnehmers als fehlerhaft, kann die Nichterbringung der Arbeitsleistung als beharrliche Arbeitsverweigerung dargestellt werden und als Kündigungsgrund dienen. Deshalb ergebe sich ein berechtigtes Interesse des Arbeitnehmers, die Wirksamkeit von Vorgaben der Arbeitgeberin zu Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung gerichtlich prüfen zu lassen. Die Sicherung der Rechtsposition könne auch eine einstweilige Verfügung sein.

Eine billige Leistungsbestimmung sei nicht möglich, da der Arbeitsvertrag dafür keinen Spielraum hergebe. Im vorliegenden Fall erweise sich die Anweisung der Arbeitgeberin als offensichtlich rechtswidrig, weil sie nicht vom Arbeitsvertrag gedeckt ist.

Unter Abwägung beidseitiger Interessen erschien es dem LAG erforderlich, der Arbeitgeberin aufzugeben, die Verkäuferin nicht in der entfernten Filiale einzusetzen.

Im Sinne der Verkäuferin sei zu berücksichtigen, dass sie gekündigt werden könne, falls sie die Weisung der Arbeitgeberin nicht befolge. Damit sie dieses Risiko nicht eingehen brauche, sei eine einstweilige Verfügung gerechtfertigt. Die Verkäuferin müsste ohne einstweilige Verfügung bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache auf ihre Rechtsposition verzichten, um die Nachteile zum Bestand des Arbeitsverhältnisses zu vermeiden. Im Hinblick auf die erheblichen Fahrzeiten zum Arbeitsort sei das der Verkäuferin nicht zumutbar. Das Verhältnis der Fahrzeit zur täglichen Arbeitszeit würde sich erheblich ändern.

Für die Arbeitgeberin ergäben sich keine Argumente, die das Interesse der Verkäuferin überwiegen würden. Die Arbeitgeberin könne zwar die Verkäuferin in der Kündigungsfrist nicht weiterbeschäftigen, da der Arbeitsplatz entfallen ist. Dieser Fall trete aber nur dann ein, wenn die Arbeitgeberin im Rechtsstreit der Hauptsache gewinnen würde. Der Umstand, dass die Arbeitgeberin der Verkäuferin ohne Arbeitsleistung keine Vergütung zahlen möchte, werde von der einstweiligen Verfügung nicht berührt. Mit der einstweiligen Verfügung werde auch nicht berührt, ob die Voraussetzungen eines Entgeltanspruches vorlägen. Damit würden die schutzwürdigen Interessen der Arbeitgeberin nicht berührt.

Wegen der überwiegenden Interessen der Verkäuferin an einer vorläufigen Regelung bestand ein Grund zum Erlass einer einstweiligen Verfügung.

Der Arbeitgeberin wurde aufgegeben, es zu dulden, dass die Verkäuferin ihre Tätigkeit in der entfernten Filiale nicht aufnimmt.

Es bedürfe dazu keiner Rücknahme der Versetzungsweisung der Arbeitgeberin. Mit dieser gerichtlichen Regelung könne die Verkäuferin der Arbeit fernbleiben, ohne dass die Arbeitgeberin dieses Verhalten zum Anlass arbeitsrechtlicher Sanktionen wie Abmahnung oder Kündigung nehmen könne. Etwaige Vergütungsansprüche seien im Hauptsacheverfahren zu klären.

Gegen diese Entscheidung war kein Rechtsmittel gegeben.