BLOG RECHTSPRECHUNG

Kündigungsfrist im Kollektivvertrag nach Betriebsübergang

Geltung von Kollektivverträgen bei Betriebsübergang

Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 06.04.2017, Aktenzeichen C 336/15

Beschäftigungszeiten zur Berechnung der Kündigungsfrist sind nach einem Betriebsübergang entsprechend den Kollektivverträgen des veräußernden Unternehmens anzurechnen, wenn keine Anpassung der Arbeitsbedingungen erfolgte und die Bestimmungen der Kollektivverträge unverändert gleichlautend sind. Es dürfen keine schlechteren Bedingungen als vor dem Übergang auferlegt werden.

Zwei schwedische Unternehmen wurden im Rahmen von Betriebsübergängen in ein anderes schwedisches Unternehmen eingebunden. Insgesamt vier Mitarbeiter erhielten nach einem Zeitraum von mehr als einem Jahr nach den Betriebsübergängen eine betriebsbedingte Kündigung. Die vier Mitarbeiter waren Mitglied in der Gewerkschaft „Unionen“ und mindestens 55 Jahre alt. Die Beschäftigungszeiten, einschließlich Vorbeschäftigung bei der jeweiligen Vorgängerin, betrugen bei allen mehr als zehn Jahre. In den Veräußerungsbetrieben bestanden Kollektivverträge, in denen geregelt war, dass sich bei betriebsbedingter Kündigung von Mitarbeitern, die das 55. Lebensjahr aber nicht das 64. Lebensjahr vollendet hatten und eine ununterbrochene Beschäftigungszeit von zehn Jahren vorweisen konnten, die Kündigungsfrist um 6 Monate verlängert.

Das erwerbende Unternehmen hatte ebenfalls mit der Gewerkschaft Unionen einen Kollektivvertrag abgeschlossen. Für betriebsbedingte Kündigungen waren die gleichen Regelungen vorgesehen wie bei den veräußernden Unternehmen. Die Erwerberin gestand den Mitarbeitern aber keine um sechs Monate verlängerte Kündigungsfrist zu. Die Mitarbeiter würden die Voraussetzungen nicht erfüllen, da sie bei der Erwerberin nicht 10 Jahre ununterbrochenen beschäftigt gewesen seien.

Die Gewerkschaft Unionen wandte sich gegen die Auffassung der Erwerberin und argumentierte, die Rechte ihrer Mitglieder würden verletzt. Die Erwerberin hätte die bei den Veräußerern zurückgelegten Beschäftigungszeiten berücksichtigen müssen. Die Gewerkschaft beantragte, die Arbeitgeberin zum Schadenersatz gegenüber den 4 Gewerkschaftsmitgliedern zu verurteilen. Der Arbeitsgerichtshof Schweden stellte fest, der Rechtsstreit werfe Fragen zur Auslegung des europäischen Unionsrechts auf und wandte sich an den Europäischen Gerichtshof (EuGH). Dieser Rechtsstreit unterscheide sich von vorherigen Fällen, die dem EU-Gerichtshof zu früheren Zeitpunkten zur Entscheidung vorgelegt wurden. In vorliegenden Fall seien die Rechte der Arbeitnehmer erst nach Ablauf einer Schutzfrist von einem Jahr nach dem Übergang verletzt worden.

Der EuGH führte aus, die Richtlinie 2001/23 ziele auf den Schutz der Ansprüche von Arbeitnehmern bei Unternehmensübergängen ab. Mit der Richtlinie werde den Arbeitnehmern die Möglichkeit verschafft, bei einem Wechsel des Inhabers das Arbeitsverhältnis mit dem neuen Arbeitgeber zu den Bedingungen fortzusetzen, die mit dem Veräußerer vereinbart waren. Das Arbeitsverhältnis bzw. der Arbeitsvertrag solle mit dem Erwerber in unveränderter Form fortgesetzt werden. Es solle verhindert werden, dass sich das Arbeitsverhältnis allein aufgrund des Überganges verschlechtert.

Ein weiteres Ziel der Richtlinie sei es, einen gerechten Ausgleich zwischen den Interessen von Arbeitnehmer und Erwerber zu gewährleisten. Dem Erwerber müsse es ermöglicht werden, die für die Fortsetzung seiner Tätigkeit notwendigen Anpassungen vorzunehmen.

Zurückgelegte Beschäftigungszeiten beim Veräußerer stellten kein Recht dar, könnten aber dazu dienen, finanzielle Rechte der Arbeitnehmer zu bestimmen sowie zur Aufrechterhaltung dieser Rechte beim Erwerber. Die Auslegung der europäischen Rechtsvorschrift Artikel 3 Absatz 1 Unterabsatz 1 der Richtlinie 2001/23 ergebe, der Erwerber habe bei der Berechnung finanzieller Rechte alle beim Veräußerer geleisteten Beschäftigungsjahre zu berücksichtigen, soweit sich diese Verpflichtung aus dem Arbeitsverhältnis zwischen Arbeitnehmer und Veräußerer ergab.

Es sei unstreitig, dass die Verlängerung der Kündigungsfrist um 6 Monate einen Anspruch auf Zahlung von 6 Monatsgehältern eröffne und damit als finanzielles Recht einzustufen sei. Die Aufrechterhaltung der die Arbeitsbedingungen erhaltenen Klauseln aus dem beim Veräußerer geltenden Kollektivvertrag gelte nur für ein Jahr, falls der Erwerber zum Erwerbszeitpunkt bereits durch einen anderen Kollektivvertrag gebunden sei.

Der Erwerber sei also berechtigt, nach Ablauf der einjährigen Frist betriebsbedingt die Klauseln aus dem Kollektivvertrag mit dem Veräußerer nicht länger aufrecht zu erhalten. Aus den gerichtlichen Akten ließen sich jedoch keine betriebsbedingten Anpassungen der Arbeitsbedingungen zum Nachteil der übernommenen Arbeitnehmer feststellen. Nach den vorliegenden Informationen sei der Kollektivvertrag, der auf die übernommenen Arbeitnehmer anzuwenden war, weder gekündigt noch neu verhandelt, abgelaufen oder durch einen Anderen ersetzt worden. Daraus folge, den übernommenen Arbeitnehmern dürften bei gleichlautenden Bestimmungen der Kollektiverträge von Veräußerer und Erwerber nach Ablauf eines Jahres keine schlechteren Bedingungen als vor dem Übergang auferlegt werden.

Unter Berücksichtigung der Bedingungen im Ausgangsverfahren seien bei der Kündigung der Arbeitnehmer, mehr als ein Jahr nach dem Übergang, für die Bestimmung der Kündigungsfrist die Beschäftigungszeiten zu berücksichtigen, die beim Veräußerer zurückgelegt wurden.