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Überstunden durch Umkleidezeiten für auffällige Dienstkleidung

Auffällige Dienstkleidung

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 06. September 2017, Aktenzeichen 5 AZR 382/16

Eine Dienstbekleidung ist auffällig, wenn der Träger aufgrund seiner Kleidung in der Öffentlichkeit einem bestimmten Berufszweig oder einer bestimmten Branche zugeordnet werden kann. Das An- und Ablegen einer besonders auffälligen Dienstkleidung ist eine vergütungspflichtige Arbeit.

Ein Krankenpfleger machte beim Arbeitsgericht die Vergütung von Überstunden geltend. Die Überstunden seien durch das Anlegen von Dienstkleidung und damit verbundenen innerbetrieblichen Wegezeiten entstanden.

In einer Dienstvereinbarung (DV) über das Tragen von Dienst- und Schutzkleidung im Kreiskrankenhaus wurde das Pflegepersonal zum Tragen der weißen Dienstkleidung verpflichtet. Die Dienstkleidung weist keine Kennzeichnung auf. Das während des Dienstes zu tragende Namensschild ist abnehmbar.

In seiner Klage machte der Krankenpfleger geltend, er habe an 100 Arbeitstagen durchschnittlich 12 Minuten je Arbeitstag für das An- und Ablegen von Dienstkleidung und für die Wegezeiten vom Umkleideraum zur Arbeitsstelle und zurück benötigt. In der Zeitangabe seien auch 30 Sekunden für die Desinfektion der Hände enthalten. Insgesamt ergäben sich 20 Überstunden. Die Dienstvereinbarung (DV) lasse nur den Schluss zu, dass die Dienstkleidung nicht zu Hause angezogen und auf dem Weg zur Arbeit getragen werden dürfe.

 Die Arbeitgeberin beantragte Klageabweisung. Dem Krankenpfleger stünde es frei, die Dienstkleidung zu Hause an und abzulegen.

 Das Arbeitsgericht wies die Klage ab. Das Landesarbeitsgericht wies die Berufung des Krankenpflegers zurück. Mit der Revision vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) verfolgte der Krankenpfleger seine Klage weiter.

Das BAG entschied, die Revision sei begründet. Die Umkleide- und Wegezeiten seien in diesem Fall vergütungspflichtige Arbeitszeit.

 Die gesetzliche Vergütungspflicht der Arbeitgeberin basiere auf den versprochenen Diensten im Sinne von § 611 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch). Dazu zähle nicht nur die eigentliche Arbeit, sondern jede verlangte sonstige Tätigkeit oder Maßnahme, die mit der eigentlichen Tätigkeit oder der Art und Weise ihrer Erbringung unmittelbar zusammenhängt. Die Arbeitgeberin verspricht die Vergütung für alle Dienste, die sie dem Arbeitnehmer aufgrund seines arbeitsvertraglich vermittelten Weisungsrechts abverlangt. Arbeit, als Leistung der versprochenen Dienste, im Sinne des § 611 Absatz 1 BGB, ist jede Tätigkeit, die als solche der Befriedigung eines fremden Bedürfnisses dient.

Das An- und Ablegen einer besonders auffälligen Dienstkleidung sei eine vergütungspflichtige Arbeit. Der Arbeitnehmer habe kein objektiv feststellbares Eigeninteresse, die von ihm ausgeübte Tätigkeit gegenüber Dritten in der Öffentlichkeit offen zu legen. Die Notwendigkeit Dienstkleidung zu tragen, sowie damit verbundener Dienstwege, beruhe auf der Anweisung der Arbeitgeberin, Dienstkleidung während der Arbeitszeit zu tragen. Deshalb schulde die Arbeitgeberin die Vergütung für die dafür aufgewandte Zeit. Das Ankleiden mit einer vorgeschriebenen Dienstkleidung sei nur dann nicht lediglich fremdnützig und damit keine Arbeitszeit, wenn sie zu Hause angelegt und ohne besonders auffällig zu sein auf dem Weg zur Arbeitsstätte getragen werden könne.

Wurde dem Arbeitnehmer jedoch gestattet, eine besonders auffällige Dienstkleidung außerhalb der Arbeitszeit zu tragen und er kleidet sich nicht im Betrieb um, dient das Umkleiden außerhalb des Betriebs nicht nur einem fremden Bedürfnis, weil der Arbeitnehmer keine eigenen Kleidungsstücke auf dem Arbeitsweg einsetzen muss oder sich aus anderen, selbstbestimmten Gründen gegen das An- und Ablegen der Dienstkleidung im Betrieb entscheidet.

Die im Pflegedienst bei der Arbeitgeberin beschäftigten Arbeitnehmer seien nach Nummer 3 Dienstverordnung zum Tragen der unternehmenseinheitlichen Dienstkleidung verpflichtet. Es handele es sich bei den zu tragenden Kleidungsstücken des Pflegepersonals um besonders auffällige Dienstkleidung.

Die in einer ausschließlich weißen Farbe gehaltenen Kleidung könne zwar nicht ohne Weiteres einem bestimmten Arbeitgeber zugeordnet werden. Um eine besonders auffällige Dienstkleidung handele es sich jedoch auch, wenn der Arbeitnehmer aufgrund der Ausgestaltung seiner Kleidungsstücke in der Öffentlichkeit mit einem bestimmten Berufszweig oder einer bestimmten Branche in Verbindung gebracht wird. An einer solchen Offenlegung seiner beruflichen Tätigkeit gegenüber Dritten habe der Arbeitnehmer regelmäßig kein eigenes Interesse. Für die Zuordnung zu einer Branche bzw. einem Berufszweig sei ohne Bedeutung, ob die Dienstkleidung in dezenten oder auffälligen Farben gehalten ist. 

Die ausschließlich in der Farbe „Weiß“ gehaltene Dienstkleidung sei im öffentlichen Straßenbild als „auffällig“ zu bezeichnen und lasse typischerweise auf eine Zugehörigkeit des Trägers zu einem Heil- oder hierzu gehörenden Hilfsberuf schließen. Das entspreche auch dem von der Arbeitgeberin mit der DV verfolgten Zweck. Durch die besondere Ausgestaltung der Dienstkleidung sollen die Krankenhauspatienten und -besucher die Mitarbeiter des Pflegepersonals als solche erkennen können.

Das BAG könne anhand der bisherigen Feststellungen des Landesarbeitsgerichtes nicht darüber entscheiden, ob, auf welcher Grundlage und in welcher Höhe Vergütungsansprüche des Krankenpflegers bestehen. Bei der erneuten Verhandlung habe das Arbeitsgericht zu berücksichtigen, welche tariflichen Regelungen im entsprechenden Zeitraum auf das Arbeitsverhältnis anwendbar waren und ob diese den rechtlichen Anspruch nach § 611 Absatz 1 BGB ausschließen oder besonders ausgestalten.

Die Klage sei teilweise unschlüssig, da sich aus der überreichten Auflistung nur 92 Arbeitstage, gegenüber den beanspruchten 100 Arbeitstagen, ergeben. Die Desinfektion der Hände sei nach der Arbeitsanweisung Händehygiene unabhängig vom Umkleidevorgang und den damit verbundenen Wegezeiten bereits im Rahmen der regelmäßigen Arbeitszeit vorzunehmen und deshalb nicht als Überstundenvergütung zu betrachten.

Ergebe sich, dass Umkleide- und Wegezeiten auf Veranlassung der Arbeitgeberin entstanden, könne aber der Krankenpfleger seiner Darlegungs- oder Beweislast für den zeitlichen Umfang, in dem diese erforderlich waren, nicht in jeder Hinsicht genügen, habe das Gericht die erforderlichen Umkleide- und damit verbundenen Wegezeiten zu schätzen.

Das Urteil des LAG wurde aufgehoben und die Sache zur Neuverhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.