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Yoga kann als Bildungsurlaub anerkannt werden

Yoga als berufliche Weiterbildung

Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 11.04.2019, Aktenzeichen 10 Sa 2076/18

Unter bestimmten Voraussetzungen kann Yoga als Bildungsurlaub anerkannt werden. Die Förderung der persönlichen Kompetenz zum Zwecke der Aufrechterhaltung der berufsfachlichen Kompetenzen im Arbeitsalltag genügt dem Begriff der betrieblichen Weiterbildung.

Ein System- und Qualitätsmanager ist seit April 2006 Mitglied im Betriebsrat der Arbeitgeberin. Im Mai 2018 beantragte er bei seiner Arbeitgeberin einen einwöchigen Bildungsurlaub, um im Oktober 2018 einen Yoga-Kurs zu besuchen. Der Kurs wurde unter dem Titel „Erfolgreich und entspannt im Beruf mit Yoga und Meditation“ von der Volkshochschule angeboten. Die Arbeitgeberin lehnte den Antrag ab, da der Kurs nach ihrer Meinung weder politischen noch beruflichen Zielen diene.

Vor dem Arbeitsgericht vertrat der Qualitätsmanager die Auffassung, er habe Anspruch auf bezahlte Freistellung für den angemeldeten Bildungsurlaub, da die gesetzlichen Voraussetzungen vorlägen. Er teile nicht die Ansicht der Arbeitgeberin, dass die Weiterbildungsmaßnahme gleichzeitig der beruflichen Qualifizierung dienen und gesellschaftliche und betriebliche Zusammenhänge vermitteln müsse.

Die Arbeitgeberin argumentierte, berufliche Weiterbildung bedeute lediglich fachliche Weiterbildung. Durch den Kurs werde keine fachliche Qualifikation gefördert, lediglich eine sonstige Qualifikation. Zudem müssten die in § 1 Absatz 2 BiUrlG (Berliner Bildungsurlaubsgesetz) genannten Voraussetzungen politische Bildung und berufliche Weiterbildung kumulativ vorliegen, ebenso wie die in § 1 Absatz 4 BiUrlG genannten Merkmale wie Erhaltung, Verbesserung oder Erweiterung der beruflichen Qualifikation einerseits und die Vermittlung der Kenntnis gesellschaftlicher und betrieblicher Zusammenhänge andererseits.

Das Arbeitsgericht entsprach der Klage des Qualitätsmanagers. Die gesetzlichen Voraussetzungen seien erfüllt. Die Veranstaltung werde von einer öffentlichen Volkshochschule durchgeführt und gelte daher nach § 11 Absatz 1 Satz 1 BiUrlG als anerkannt. Es handele sich um eine berufliche Bildungsveranstaltung. Der Kurs müsse auch nicht kumulativ der politischen Bildung und der beruflichen Weiterbildung dienen.

Es handele sich um einen Kurs der betrieblichen Weiterbildung, da er die berufliche Qualifikation erhalten, verbessern oder erweitern solle. Durch Vermittlung von Techniken, die es u.a. ermöglichen würden, mit im Beruf unvermeidlichen Stresssituationen umzugehen und ein konzentriertes Arbeiten wieder aufzunehmen, werde die persönliche Kompetenz des Qualitätsmanagers verbessert. Die Förderung der persönlichen Kompetenz zum Zwecke der Aufrechterhaltung der berufsfachlichen Kompetenzen im Arbeitsalltag genüge dem Begriff der betrieblichen Weiterbildung.

Zur beruflichen Qualifikation im Sinne von § 1 Absatz 4 BiUrlG zählten nicht nur die berufsfachliche Qualifikation, also die Fachkompetenz im engeren Sinne, sondern auch die persönliche und soziale Kompetenz, die gemeinsam erst im Zusammenspiel die sachgerechte und fortlaufende Ausübung einer beruflichen Tätigkeit ermöglichen würden.

Die Bildungsinhalte müssten sich nicht unmittelbar auf die ausgeübte berufliche Tätigkeit beziehen. Eingeschlossen seien auch Bildungsinhalte, die zum Vorteil der Arbeitgeberin verwendet werden könnten. Stress und Anspannung durch Yoga abzubauen und Konflikte besser zu bewältigen wirke sich gerade im beruflichen Bereich zu Gunsten der Arbeitgeberin aus.

Gegen das Urteil des Arbeitsgerichts legte die Arbeitgeberin Berufung beim Landesarbeitsgericht (LAG) ein.

Der Anwendungsbereich des Gesetzes sei vom Arbeitsgericht gegen den Wortlaut des Gesetzes unzulässig erweitert worden. Mangels didaktischen Konzeptes und besonderer Lerninhalte unterscheide der Kurs sich nicht von einem bloßen Fitness- und Gesundheitskurs. Der Kurs diene nicht der politischen Bildung, was jedoch zwingend erforderlich sei. Er diene aber auch nicht der beruflichen Weiterbildung. Der Begriff „beruflich“ könne nicht als Oberbegriff für „persönlich, fachlich, sozial“ verwendet werden. Wenn der Kurs der beruflichen Qualifikation dienen müsse, könne nicht eine mittelbare Wirkung auf den Arbeitsplatz ausreichend sein. Die besondere Nützlichkeit des Kurses im Arbeitsverhältnis erschließe sich nicht.

Das LAG entschied, die Berufung der Arbeitgeberin sei nicht begründet. Das LAG folge dem Arbeitsgericht weitgehend, auch hinsichtlich der Begründung. Es genüge, wenn eine Veranstaltung entweder der politischen oder der beruflichen Weiterbildung im Sinne von § 1 Absatz 2 BiUrlG diene. Der Kurs diene auch der beruflichen Qualifikation des Qualitätsmanagers und vermittele gesellschaftliche und betriebliche Zusammenhänge. Schließlich basiere der Kurs auf einem didaktischen Konzept.

Nach § 1 Abs. 2 Satz 1 BiUrlG diene Bildungsurlaub „der politischen Bildung und der beruflichen Weiterbildung“. Diese Und-Verknüpfung sei, wie vom Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt mehrdeutig. Der Wille des Gesetzgebers ergebe sich aber aus den Gesetzesmaterialien. In der Vorgängerregelung bezüglich der Teilnahme an Bildungsveranstaltungen sollten diese an staatsbürgerliche oder politische Mitarbeit im Staat heranführen oder der beruflichen Weiterbildung dienen. In der Präambel der Begründung wurde darauf verwiesen, dass mit dem neuen Gesetz vor allem der Kreis der Anspruchsberechtigten auf die über 25-jährigen erweitert werden sollte. Im Wortprotokoll der Beratung im Ausschuss für Wirtschaft vom 24. September 1990 (Wirt 11/21) wurde an keiner Stelle diskutiert, dass die jeweilige Bildungsveranstaltung politischen und zugleich beruflichen Zwecken dienen müsse. Vielmehr wurde angemerkt, dass die berufliche Weiterbildung gegenüber der politischen einen höheren Stellenwert verdiene.

Es sei eindeutig, dass der streitige Kurs auch der beruflichen Qualifikation des Qualitätsmanagers diene.

Aus den Gesetzesmaterialien zum BiUrlG ergebe sich eindeutig, dass der Landesgesetzgeber dabei von einem weiten Begriff der beruflichen Weiterbildung ausgegangen ist. Nach der Präambel der Gesetzesbegründung soll mit dem Bildungsurlaubsanspruch die Anpassungsfähigkeit und Selbstbehauptung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern unter den Bedingungen des fortwährenden und sich beschleunigenden technischen und sozialen Wandels gefördert werden. Als weitere Begründung ist dort genannt, dass mit dem BiUrlG unter anderem eine Stärkung der Persönlichkeitsentwicklung der Arbeitnehmer erreicht werden soll.

Neben den verstärkten individuellen Kompetenzanforderungen gewinnen durch die Digitalisierung und Vernetzung von verschiedenen Geschäftsfeldern sowie die zunehmende internationalisierte Projektarbeit auch fachübergreifende Prozesskenntnisse und Softskills, wie z. B. Selbstorganisation, Teamarbeit, interkulturelle Kommunikation und Sprachen an Bedeutung.

Da trotz allgemein hoher Arbeitszufriedenheit gleichzeitig viele Beschäftigte über zunehmenden Stress, Arbeitsdruck, Schlafstörungen und Erschöpfung klagen, und zwar nicht nur bei mobiler digitaler Arbeit, sondern auch in den traditionellen Arbeitsformen, diene die Bewältigung dieser Belastungsfaktoren der Verbesserung und Erweiterung der beruflichen Qualifikation und damit dem Gesetzeszweck des § 1 Absatz 4 BiUrlG.

Für die Annahme einer beruflichen Weiterbildung sei es bereits ausreichend, dass die berufliche Qualifikation erhalten, verbessert und erweitert werde. Der streitige Kurs vermittle darüber hinaus auch noch Kenntnisse von gesellschaftlichen bzw. betrieblichen Zusammenhängen. Das Erkennen, das Annehmen und die Verarbeitung der stressauslösenden Faktoren erfolge unmittelbar aus den gesellschaftlichen und den betrieblichen Zusammenhängen. Nur wenn die stressauslösenden Faktoren im Kontext ihrer Entstehung und ihrer Wirkung gesehen werden, könne es zu einer entsprechenden Verarbeitung dieser Faktoren kommen.

Auch die Teilnahmebestätigung zu dem streitigen Seminar wies aus, dass „eine gesunde Balance im Beruf“ durch ein präventives Achtsamkeitstraining erreicht werden sollte. Hinsichtlich der im Kurs eingesetzten Methode wurde durch das salutogenese Modell, eine kognitive Bewältigungsstrategie zur Abwendung von Gesundheitsrisiken, der gesellschaftliche bzw. betriebliche Zusammenhang von Gesundheitsrisiken und ihrer Bewältigung deutlich.

Entgegen der Ansicht der Arbeitgeberin liege ein entsprechendes didaktisches Konzept für den hier streitigen Kurs vor. Ein didaktisches Konzept setze sich aus mehreren Teilelementen zusammen. Dazu gehören das Lernziel, der Lerninhalt und die Organisation des Kurses bzw. des Unterrichts.

Lernziel, Lerninhalt und Kursorganisation seien bereits in der Kursankündigung und später in der Teilnahmebescheinigung aufgeführt worden. Als Lernziel war in der Kursankündigung „Stressabbau und Konfliktbewältigung durch bewusste Annahme und Verarbeitung der stressauslösenden Faktoren“ angegeben. Dem entsprechend wies die Teilnahmebescheinigung die „Selbstwahrnehmung für Stressreduktion“ als Ziel aus.

Als Lerninhalt war in der Kursankündigung die „Einführung in verschiedene Entspannungstechniken wie Yoga, Tiefenentspannung, Muskelentspannung, Atemarbeit und Konzentrationsübungen“ aufgeführt. Dem entsprechend wies die Teilnahmebescheinigung „autogene Trainingsmethoden in Theorie/Praxis“ sowie „Vorstellung und Training von Entspannungsmethoden wie z.B. Progressive Muskel- und Tiefenentspannung, Atem- und Konzentrationsübungen sowie Yoga“ aus. Auch das „Achtsamkeitstraining für eine gesunde Balance im Beruf“ war als Lerninhalt angegeben. Als Kursorganisation waren in der Kursankündigung Zeit und Ort sowie die Kursleiterin angegeben.

Das LAG wies noch darauf hin, dass ein konkreter Kursplan für die Bewilligung des Bildungsurlaubes nicht vorliegen müsse, weil es dafür keine Rechtsgrundlage gebe.

 Bildungsurlaub, der der beruflichen Weiterbildung dient, sei ausschließlich der beruflichen Sphäre zuzuordnen, selbst wenn die Kursinhalte teilweise auch privat genutzt werden könnten.

Eine Revision zu diesem Urteil wurde nicht zugelassen.