BLOG RECHTSPRECHUNG

Wann kann Urlaub verfallen?

Verfall von Urlaubsanspruch

Landesarbeitsgericht Köln, Urteil vom 09. April 2019, Aktenzeichen 4 Sa 242/18

Urlaub kann in der Regel nur dann verfallen, wenn die Arbeitgeberin den Arbeitnehmer aufgefordert hat den Urlaub zu nehmen und ihm klar und deutlich erklärte, dass der Urlaub sonst nach Ablauf des Urlaubsjahres bzw. Übertragungszeitraumes verfällt.

Ein Bote lieferte für eine Apotheke regelmäßig Medikamente aus. Im Arbeitsvertrag war geregelt, dass der Bote als Sonderregelung seinen Jahresurlaub in Form von Arbeitszeitverkürzung erhält. Statt 30 Stunden pro Woche betrug seine Arbeitszeit 27,5 Stunden pro Woche. Unter der Überschrift Verfallsfristen war im Arbeitsvertrag geregelt, dass alle Ansprüche, die sich aus dem Arbeitsverhältnis ergeben, innerhalb einer Frist von 3 Monaten schriftlich geltend gemacht werden müssen. Lehnt die Gegenpartei den Anspruch ab, sei der Anspruch innerhalb von 2 Monaten gerichtlich geltend zu machen.

Die Arbeitgeberin kündigte das Arbeitsverhältnis im September 2016 zu Ende März 2017. Mit Schreiben vom Dezember 2016 stellte die Arbeitgeberin den Boten bis zum Kündigungstermin von den Arbeiten in der Apotheke bedingt frei.

Im Mai 2017 forderte der Bote seine ehemalige Arbeitgeberin auf, seinen Urlaubsanspruch für die Jahre 2014 bis 2017 abzugelten. Die Arbeitgeberin lehnte diese Forderung ab.

Im Juni 2017 forderte der Bote vor dem Arbeitsgericht Schadenersatz im Umfang von jeweils 22 Urlaubstagen für die Jahre 2014, 2015 und 2016 sowie sechs Urlaubstage für das Jahr 2017. Die Arbeitgeberin habe ihm gesetzeswidrig während seines Arbeitsverhältnisses keinen Urlaub gewährt. Der Erholungszweck des gesetzlich zustehenden Urlaubs könne nicht in Form einer Arbeitszeitverkürzung von 2,5 Stunden je Woche erfüllt werden. Basierend auf der Arbeitszeitverkürzung von 2,5 Stunden je Woche lasse sich ein jährlicher Urlaubsanspruch von 22 Tagen ableiten. Durch den Arbeitsvertrag habe die Arbeitgeberin suggeriert, es bestehe kein Urlaubsanspruch. Daher könne dem Boten nicht entgegengehalten werden, dass er zuvor nicht auf die Gewährung von Urlaub bestanden habe.  

Die Regelung zur Arbeitszeitverkürzung im Arbeitsvertrag sei von der Arbeitgeberin so vorgegeben worden. An Sonnabenden habe er in den gesamten mehr als 20 Jahren, die er für die Apotheke tätig war, nicht gearbeitet. Die vorgegebene Stundenzahl von 30 Stunden habe er regelmäßig an 5 Wochentagen erreicht. Seine Tätigkeit habe aber nicht in der Ableistung von Stunden, sondern im Ausliefern von Medikamenten bestanden. Er sei stets solange gefahren, bis alle Medikamente zugestellt worden seien. Mitunter habe dies länger als 6 Stunden am Tag gedauert, mitunter weniger, im Schnitt aber mindestens 30 Stunden pro Woche.

Die Arbeitgeberin argumentierte in ihrer Klageabweisung, der Urlaubsanspruch sei erfüllt worden. Die Regelung zur Arbeitszeitverkürzung sei auf ausdrücklichen Wunsch des Boten aufgenommen worden, da dieser am Samstag frei haben wolle. Diese Regelung, am Samstag nicht zu arbeiten, sei bereits mit dem vorherigen Inhaber der Apotheke auf ausdrücklichen Wunsch des Boten getroffen worden. Die Urlaubsansprüche für die Jahre 2014 bis 2016 seien auch bereits verfallen. Schadenersatzanspruch komme nicht in Frage, da der Bote den Urlaub auch nicht beantragt hätte.

Das Arbeitsgericht gab der Klage soweit statt, dass Urlaubsabgeltung für 6 Tage im Jahr 2017 zu gewähren sei. Der Urlaubsanspruch sei entgegen der Auffassung der Arbeitgeberin nicht in Natura gewährt worden, da die Freistellung nur bedingt erfolgte. Im Übrigen wies das Arbeitsgericht die Klage ab. Es bestehe kein Anspruch auf Schadenersatz für nicht gewährten Urlaub in den Jahren 2014 bis 2016, da diese Ansprüche bereits verfallen seien. Der Bote habe vor dem Verfallsdatum keine Urlaubsgewährung verlangt.

Gegen das Urteil des Arbeitsgerichts legte der Bote Berufung beim Landearbeitsgericht (LAG) ein. Er mache den Anspruch auf der Grundlage des nunmehr ergangenen Urteils des Europäischen Gerichtshofes geltend.

Das LAG entschied, die Klage sei im Wesentlichen begründet. Der Bote habe gegenüber seiner Arbeitgeberin Anspruch auf Abgeltung des Jahresurlaubs für die Jahre 2014, 2015 und 2016 in Höhe von jeweils 20 Tagen. Der Anspruch basiere auf einer 5-Tage Arbeitswoche. Der Urlaubsanspruch sei nicht verfallen und auch nicht durch Erfüllung erloschen. Der Zahlungsanspruch sei auch nicht durch Aufrechnung erloschen.

Eine wöchentliche Arbeitszeitverkürzung von 2,5 Stunden stelle keinen Erholungsurlaub dar. Entsprechend dem Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) werde der Urlaubsanspruch in Tagen berechnet. Urlaub könne nicht stundenweise berechnet oder gewährt werden. Urlaub sei grundsätzlich zusammenhängend zu nehmen. Dem Arbeitnehmer solle mit der Urlaubsgewährung die Wiederherstellung und Auffrischung der Arbeitskraft ermöglicht werden. Das könne nicht mit einer wöchentlichen Arbeitszeitverringerung von 2,5 Stunden erreicht werden.

Der Urlaubsanspruch sei nicht verfallen.  In korrekter Auslegung von § 7 BUrlG könne der Verfall von Urlaub in der Regel nur eintreten, wenn die Arbeitgeberin den Arbeitnehmer zuvor konkret aufgefordert hat, den Urlaub zu nehmen, und ihn klar und rechtzeitig darauf hingewiesen hat, dass der Urlaub anderenfalls mit Ablauf des Urlaubsjahres oder Übertragungszeitraums erlischt. Diese Verpflichtung der Arbeitgeberin sei nicht auf den originären Urlaubsanspruch im jeweiligen Kalenderjahr beschränkt, sondern beziehe sich auch auf Urlaub aus vorangegangenen Kalenderjahren. Die Arbeitgeberin sei ihren Verpflichtungen vorliegend nicht nachgekommen.

Der gesetzliche Urlaubsanspruch erlösche mit Ablauf des Kalenderjahres soweit kein Übertragungsgrund vorliegt. Andernfalls zum Ende des Übertragungszeitraumes. Nach bisheriger Rechtsprechung trat der Verfall selbst dann ein, wenn der Arbeitnehmer die Arbeitgeberin rechtzeitig aufforderte Urlaub zu gewähren, diese der Aufforderung aber nicht nachkam.

Der Arbeitgeberin bleibe es vorbehalten, die zeitliche Lage des Urlaubs unter Berücksichtigung der Urlaubswünsche des Arbeitnehmers festzulegen. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes in der Entscheidung vom 06. November 2018 (C 684/16) ist es Aufgabe der Arbeitgeberin, konkret und in völliger Transparenz dafür zu sorgen, dass der Arbeitnehmer tatsächlich in der Lage ist seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen, erforderlichenfalls ihn förmlich dazu aufzufordern.

Es sei Aufgabe der Arbeitgeberin, klar und rechtzeitig mitzuteilen, dass der Urlaub am Ende des Bezugs- oder Übertragungszeitraum verfällt, falls er nicht genommen wird. Der Verfall von Urlaub kann in der Regel deshalb nur dann geschehen, wenn die Arbeitgeberin den Arbeitnehmer klar und rechtzeitig darauf hingewiesen hat, dass der Urlaub andernfalls mit Ablauf des Urlaubsjahres oder Übertragungszeitraumes erlischt.

Könne die Arbeitgeberin nicht nachweisen, dass sie mit aller Sorgfalt gehandelt hat, um den Arbeitnehmer in die Lage zu versetzen den ihm zustehenden Jahresurlaub tatsächlich zu nehmen, würde das Erlöschen des Urlaubsanspruches am Ende des Bezugs- oder zulässigen Übertragungszeitraums und – bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses – das entsprechende Ausbleiben der Zahlung einer finanziellen Vergütung für den nicht genommenen Jahresurlaub gegen Artikel 7 Absatz 1 und 2 der Richtlinie 2003/88 sowie gegen Artikel 31 Absatz 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verstoßen.

Der Zweck des Jahresurlaubs liege darin, dem Arbeitnehmer zu ermöglichen, sich von der Ausübung seiner Arbeitsaufgaben zu erholen, und über einen Zeitraum von Entspannung und Freizeit zu verfügen. Zum wirksamen Schutz seiner Sicherheit und Gesundheit soll der Arbeitnehmer über eine tatsächliche Ruhezeit verfügen können.

Die Arbeitgeberin sei ihrer Verpflichtung, den Boten konkret aufzufordern, seinen Jahresurlaub zu nehmen, für die Jahre 2014, 2015 und 2016 nicht nachgekommen. Durch die konkrete Vertragsgestaltung sei hingegen der Eindruck entstanden, über eine wöchentliche Arbeitszeitverkürzung hinaus bestehe kein Urlaubsanspruch. Die Arbeitgeberin erfüllte ihre Verpflichtung auch nicht dadurch, dass im Arbeitsvertrag eine Regelung zum Verfall von Urlaub enthalten war, da nach den Regelungen des Arbeitsvertrages dem Boten nur eine Arbeitszeitverkürzung und kein Jahresurlaub zustand.

Der Urlaubsanspruch des Boten für die streitigen 3 Jahre sei auch nicht durch Erfüllung erloschen. Eine Verringerung der Arbeitszeit um 2,5 Stunden pro Woche, stelle keine Urlaubsgewährung im Sinne des Bundesurlaubsgesetzes dar. Selbst mit der im Schreiben vom 13. Dezember 2016 erfolgten Freistellung habe die Arbeitgeberin den Urlaubsanspruch nicht erfüllt. Die Freistellung lasse nicht hinreichend erkennen, dass eine Befreiung von der Arbeitspflicht zur Erfüllung des Urlaubsanspruchs erfolgte. Der Bote wurde zudem nur bedingt freigestellt, nicht unwiderruflich. Der Erfüllungsanspruch für Erholungsurlaub setze jedoch voraus, dass der Arbeitnehmer im Voraus durch eine unwiderrufliche Freistellungserklärung zu Erholungszwecken von seiner Arbeitspflicht befreit wurde.

Wegen des bereits beendeten Arbeitsverhältnisses, war der Urlaub finanziell abzugelten. Der Zahlungsanspruch war nicht infolge Aufrechnung erloschen. Der Anspruch der Arbeitgeberin auf die nach ihrer Ansicht Überbezahlung von 2,5 Stunden je Woche oder hilfsweise als Aufrechnung gegen den geltend gemachten Urlaubsanspruch zu setzen, sei nicht hinreichend dargelegt und zudem nicht hinreichend innerhalb der vertraglich vereinbarten Verfallsfrist geltend gemacht worden.

Eine Revision zu dieser Entscheidung wurde nicht zugelassen.