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Auskunftsanspruch über anderweitigen Verdienst

Böswillig unterlassener anderweitiger Verdienst

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 27.05.2020, Aktenzeichen 5 AZR 387/19

Der Auskunftsanspruch über möglicherweise böswillig unterlassenen anderweitigen Verdienst erfordert, dass der Auskunftsberechtigte in entschuldbarer Weise über das Bestehen oder den Umfang seines Rechts im Ungewissen ist und sich die notwendigen Informationen nicht selbst auf zumutbare Weise beschaffen kann. Das bedeutet, dass er zunächst alle ihm zumutbaren Anstrengungen unternehmen muss, die Auskunft auf andere Weise zu erlangen. Die Gewährung materiell-rechtlicher Auskunftsansprüche darf die Darlegungs- und Beweissituation nicht unzulässig verändern.

Ein Bauhandwerker war seit 1996 bei der Arbeitgeberin beschäftigt. Seit dem Jahr 2011 sprach die Arbeitgeberin mehrere Kündigungen aus. Die Kündigungen wurden mit Kündigungsschutzklagen erfolgreich angegriffen, das Arbeitsverhältnis bestand weiter fort. Seit Februar 2013 zahlte die Arbeitgeberin dem Bauhandwerker keine Vergütung mehr.

Der Bauhandwerker erhob Klage auf Zahlung von Vergütung wegen Annahmeverzug unter Anrechnung von bereits erhaltenem Arbeitslosengeld. Die Arbeitgeberin argumentierte, der Bauhandwerker habe es böswillig unterlassen, anderweitig Verdienst zu erzielen.

Mit ihrer Widerklage begehrte die Arbeitgeberin Auskunft über die von der Agentur für Arbeit und dem Jobcenter in der Zeit vom 1. Februar 2013 bis zum 30. November 2015 dem Bauhandwerker unterbreiteten Stellenangebote Dritter. Die Arbeitgeberin begehrte, den Bauhandwerker zu verurteilen, der Arbeitgeberin schriftlich Auskunft zu erteilen, welche Arbeitsplatzangebote dem Bauhandwerker durch die Bundesagentur für Arbeit und das Jobcenter im Zeitraum vom 1. Februar 2013 bis zum 30. November 2015 unterbreitet wurden, unter Nennung der Tätigkeit, der Arbeitszeit und des Arbeitsortes sowie der Vergütung in Euro.

Das Arbeitsgericht gab der Widerklage der Arbeitgeberin in Form eines Teilurteils statt. Die Berufung des Bauhandwerkers wies das Landesarbeitsgericht (LAG) zurück. Mit seiner Revision vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) verfolgte der Bauhandwerker weiterhin die Abweisung der Widerklage.

Das BAG entschied, der Arbeitgeberin stehe ein Informationsanspruch zu.

In Auslegung der Klage führte das BAG aus, die erkennbaren Interessen der Arbeitgeberin gebieten es, dass lediglich über solche Informationen Auskunft erteilt werden soll, die von der staatlichen Arbeitsvermittlung dem Bauhandwerker persönlich zur Verfügung gestellt werden, nicht jedoch über solche, die für die Allgemeinheit und damit auch für die Arbeitgeberin öffentlich zugänglich sind. Die von der Arbeitgeberin verlangte schriftliche Auskunft sei als Auskunft in Textform nach § 126b BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) anzusehen.

Streitgegenstand der Widerklage sei die von der Arbeitgeberin geforderte Auskunft über Vermittlungsvorschläge, basierend auf ihrem Einwand, der Bauhandwerker müsse sich böswillig unterlassenen anderweitigen Verdienst auf einen Vergütungsanspruch wegen Annahmeverzugs anrechnen lassen. Die beiden selbständigen prozessualen Ansprüche – Zahlungsklage des Bauhandwerkers und Auskunftswiderklage der Arbeitgeberin – seien materiell-rechtlich miteinander verzahnt, weil die von der Arbeitgeberin verlangte Auskunft Grundlage für die Begründung ihrer gemäß § 11 Nr. 2 KSchG (Kündigungsschutzgesetz) erhobenen Einwendungen gegen den vom Bauhandwerker geltend gemachten Zahlungsanspruch ist.

Mit der erteilten Auskunft stehe keineswegs fest, dass der Bauhandwerker es böswillig unterlassen habe, eine ihm zumutbare Arbeit anzunehmen. Ob die Stellenangebote Dritter zumutbare Arbeit zum Gegenstand hatten und in dem Verhalten des Arbeitnehmers ein böswilliges Unterlassen gesehen werden kann, habe weiterhin die Arbeitgeberin im Rechtsstreit über die Zahlung der Annahmeverzugsvergütung darzulegen und im Streitfall zu beweisen.

Grundsätzlich bestehe keine Pflicht zur Auskunftserteilung für die Parteien des Rechtsstreits. Die Zivilprozessordnung kenne keine über die anerkannten Fälle der Pflicht zum substantiierten Bestreiten hinausgehende Aufklärungspflicht der nicht darlegungs- und beweisbelasteten Partei.

Auskunftsansprüche können aber nach Treu und Glauben bestehen, wenn die Rechtsbeziehungen zwischen den Parteien es mit sich bringen, dass der Berechtigte in entschuldbarer Weise über den bestehenden Umfang seines Rechts im Ungewissen ist und der Verpflichtete die zur Beseitigung der Ungewissheit erforderliche Auskunft unschwer geben kann, ohne dass durch die Gewährung materiell-rechtlicher Auskunftsansprüche die Darlegungs- und Beweissituation im Prozess unzulässig verändert werden darf.

Der Auskunftsanspruch erfordere zudem, dass der Auskunftsberechtigte in entschuldbarer Weise über das Bestehen oder den Umfang seines Rechts im Ungewissen ist und sich die notwendigen Informationen nicht selbst auf zumutbare Weise beschaffen kann. Das bedeutet, dass er zunächst alle ihm zumutbaren Anstrengungen unternehmen muss, die Auskunft auf andere Weise zu erlangen.

Für den Berechtigten darf kein anderer, näher liegender und leichterer Weg zur Beseitigung seines Informationsdefizits bestehen. Die Auskunftserteilung muss dem Anspruchsgegner zumutbar sein, er muss die Auskunft unschwer erteilen können.

Die gesetzliche Verteilung der Darlegungs- und Beweislast im Prozess muss berücksichtigt werden. Die Gewährung materiell-rechtlicher Auskunftsansprüche darf die Darlegungs- und Beweissituation nicht unzulässig verändern.

Nach diesen Grundsätzen sei der Bauhandwerker der Arbeitgeberin zur Erteilung der begehrten Auskunft verpflichtet.

Die geforderte Wahrscheinlichkeit, dass die Einwendung böswillig unterlassener anderweitiger Arbeit begründet ist, bestehe. Der Bauhandwerker hatte sich nach der Kündigung bei der Agentur für Arbeit arbeitssuchend gemeldet. Diese sei verpflichtet, Arbeitsvermittlung anzubieten. Entsprechendes gelte für das Jobcenter. Es seien keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass diese Behörden ihren gesetzlichen Aufgaben nicht nachgekommen sind und es in Bezug auf den Bauhandwerker im Streitzeitraum keine Möglichkeit der Arbeitsvermittlung gab.

Die Arbeitgeberin sei in entschuldbarer Weise über das Bestehen und den Umfang der Vermittlungsangebote im Ungewissen und könne sich die notwendigen Informationen nicht selbst auf zumutbare rechtmäßige Weise beschaffen. Im Hinblick auf das durch § 35 SGB I (Sozialgesetzbuch) geschützte Sozialgeheimnis habe sie keinen Anspruch gegen die Agentur für Arbeit oder das Jobcenter auf Mitteilung der dem Arbeitnehmer unterbreiteten Vermittlungsvorschläge.

Auch aus dem Bekanntwerden der Verhängung einer Sperrzeit nach § 159 SGB III könne die Arbeitgeberin nicht zuverlässig auf das Vorliegen von Vermittlungsvorschlägen schließen, weil das zu einer solchen Sperrzeit führende versicherungswidrige Verhalten ganz unterschiedliche Gründe haben könne. Ohne Auskunftsanspruch laufe damit die gesetzlich vorgesehene Anrechnungsmöglichkeit jedenfalls in Bezug auf anderweitig erzielten Verdienst und Arbeitsmöglichkeiten bei Dritten faktisch leer.

Hiervon ausgehend war die Arbeitgeberin in entschuldbarer Weise über das Bestehen und den Umfang der Vermittlungsangebote im Ungewissen. Sie hatte keine andere rechtmäßige Möglichkeit, sich die zur Begründung ihrer Einwendung nach § 11 Nr. 2 KSchG notwendigen Informationen zu beschaffen.

Der Bauhandwerker könne die zur Beseitigung der Ungewissheit erforderliche Auskunft unschwer geben. Er kennt die von der Agentur für Arbeit und dem Jobcenter an ihn übermittelten Vermittlungsvorschläge. Der Auskunftserteilung stünden auch keine schützenswerten Interessen des Bauhandwerkers entgegen, die dafür sprechen könnten, die Übermittlung von Vermittlungsvorschlägen geheim zu halten, um so der von Gesetzes wegen nach § 615 Satz 2 BGB und § 11 Nr. 2 KSchG eintretenden Anrechnung böswillig unterlassenen anderweitigen Verdienstes zu entgehen.

Insbesondere begründe das die Agentur für Arbeit und das Jobcenter gegenüber dem Arbeitgeber nach § 35 SGB I bindende Sozialgeheimnis im Verhältnis des Arbeitnehmers zur Arbeitgeberin kein schützenswertes Interesse des Arbeitnehmers an der Geheimhaltung der ihm übermittelten Vermittlungsvorschläge. Insoweit sei zu berücksichtigen, dass sowohl § 615 Satz 2 BGB als auch § 11 Nr. 2 KSchG eine Anrechnung böswillig unterlassenen anderweitigen Verdienstes ausdrücklich vorsehen und somit im Gesetz bereits angelegt ist, dass die Arbeitgeberin im Annahmeverzugsprozess von anderweitigen Beschäftigungsmöglichkeiten Kenntnis erlangen kann.

Durch die Gewährung eines Auskunftsanspruchs über Vermittlungsvorschläge der staatlichen Arbeitsvermittlungsstellen werde die Darlegungs- und Beweissituation im Prozess nicht unzulässig verändert. Allein durch die Information über Vermittlungsvorschläge der Agentur für Arbeit und des Jobcenters sei nicht zwangsläufig der Einwand der Böswilligkeit des Unterlassens anderweitiger zumutbarer Arbeit begründet. Dieser Einwand sei auf den nach der Auskunft erfolgenden Vortrag der Arbeitgeberin noch zu prüfen. Nach Erteilung der Auskunft liege es noch immer an der Arbeitgeberin, diese Einwendung so substanziell zu begründen, dass sich der Arbeitnehmer im Wege abgestufter Darlegungs- und Beweislast hierzu einlassen kann.

Inhaltlich habe der Bauhandwerker Auskunft über die Vermittlungsvorschläge der Agentur für Arbeit und des Jobcenters unter Nennung von Tätigkeit, Arbeitszeit, Arbeitsort und Vergütung zu erteilen. Die Auskunft sei in Textform im Sinne von § 126b Satz 1 BGB zu erteilen. Sie habe sich auf die Vermittlungsvorschläge unter Nennung von Tätigkeit, Arbeitszeit, Arbeitsort und Vergütung zu erstrecken. Nur wenn die Arbeitgeberin von diesen Arbeitsbedingungen der Vermittlungsvorschläge Kenntnis hat, sei sie in der Lage, Indizien für die Zumutbarkeit der Arbeit und eine mögliche Böswilligkeit des Unterlassens anderweitigen Erwerbs vorzutragen. Sodann obliege es im Wege abgestufter Darlegungs- und Beweislast dem Bauhandwerker, diesen Indizien entgegenzutreten und darzulegen, weshalb es nicht zu einem Vertragsschluss gekommen ist bzw. ein solcher unzumutbar war.