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Wann gibt es konzernweiten Kündigungsschutz?

Kündigungsschutz innerhalb einer Konzerngesellschaft

Arbeitsgericht Bonn, Urteil vom 03.02.2022, Aktenzeichen 3 Ca 1698/21

Ist eine Arbeitnehmerin in die Matrixstruktur des Konzerns eingebunden, muss ihre Kündigung auch innerhalb dieser Struktur betrachtet werden, nicht nur bezogen auf die jetzige Arbeitgeberin. Ein konzernweiter Kündigungsschutz kommt vor allem dann in Betracht, wenn im Arbeitsvertrag ein konzernweiter Einsatz der Arbeitnehmerin vereinbart wurde.

Eine leitende Mitarbeiterin im Marketing-Bereich erhielt Anfang Oktober 2021 die Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses zum Jahresende. Seit Ende November 2015 war die leitende Mitarbeiterin bei der Muttergesellschaft des Konzerns beschäftigt. Im Jahr 2020 wollte sie wegen eines Umzuges ihres Ehemannes ebenfalls von Deutschland aus tätig werden. Anfang September 2020 schlossen Arbeitgeberin und leitende Mitarbeiterin einen Arbeitsvertrag.

Die leitende Mitarbeiterin war innerhalb des Konzerns in einer Matrix-Struktur beschäftigt. Das bedeutet, die ihr vorgeordnete leitende Mitarbeiterin sowie der Marketing-Leiter des Konzerns arbeiteten in der Muttergesellschaft, ebenso wie die drei ihr unterstellten Designer.

Die Muttergesellschaft teilte der leitenden Mitarbeiterin im September 2021 mit, Tätigkeiten die von der leitenden Mitarbeiterin ausgeführt wurden, sollten nun von der Muttergesellschaft ausgeführt werden. Gleichzeitig habe die Muttergesellschaft ihre Marketing-Strategie verändert und führe nun ein Brand-Marketing durch.

Auf der gleichen Hierarchiestufe wie die leitende Mitarbeiterin wurde im November 2021 eine Mitarbeiterin im Bereich Vertrieb der Muttergesellschaft eingestellt.

Beim Arbeitsgericht beantragte die leitende Mitarbeiterin festzustellen, dass ihr Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst wurde. Die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt. Ihre vorherige Beschäftigungszeit in der Konzernmuttergesellschaft sei auf das Arbeitsverhältnis anzurechnen. Durch den Wechsel zur Arbeitgeberin habe es lediglich einen Wechsel des Arbeitsortes gegeben. Der Wechsel zur Arbeitgeberin sei auch nicht auf ihre Initiative hin erfolgt. Sie habe der Arbeitgeberin lediglich mitgeteilt, dass sie wegen des Umzuges ihres Ehemannes nunmehr von Deutschland aus tätig werden wolle. Der Arbeitsplatzwechsel sei dann auf Initiative der Arbeitgeberin erfolgt.

Die Entscheidung der Muttergesellschaft, die Arbeiten der leitenden Mitarbeiterin wieder in die Muttergesellschaft zurückzuholen, hätte einzig und allein dazu gedient, die Kündigung der leitenden Mitarbeiterin vorzubereiten. Es sei lediglich um den Austausch zwischen ihr und der neu eigestellten Mitarbeiterin gegangen. Diese sei jedoch nach ihrer Einstellung nicht in der Lage, Aufgaben der leitenden Mitarbeiterin zu übernehmen.

Die Arbeitgeberin hingegen hält die Kündigung für sozial gerechtfertigt. Da die Arbeitgeberin keine eigenen Marketingaktivitäten betreibe, sei mit der Ausführung der Arbeiten in der Muttergesellschaft der gesamte Beschäftigungsbedarf für die leitende Mitarbeiterin entfallen. Durch die Umstellung auf das Brand-Marketing seien 70% der Tätigkeiten der leitenden Mitarbeiterin entfallen. Die verbleibenden 30% würden von der neueingestellten Mitarbeiterin ausgeführt. Diese habe neben ihren Aufgaben im Brand-Marketing noch 30% Kapazitäten offen gehabt.

Die organisatorischen Maßnahmen der Muttergesellschaft hätten sich nicht nur auf die Kündigung der leitenden Mitarbeiterin beschränkt. Im Zuge der Umstrukturierung sei das gesamte Führungsteam im Marketing ausgewechselt worden. Verantwortlichkeiten wurden umverteilt, Aufgaben neu gewichtet und die Creative Services einheitlich eingeschränkt worden. Nur 10% des alten Corporate Marketing Teams seien bei der Muttergesellschaft beschäftigt. Die Positionen der übrigen Mitarbeiter seien entfallen oder neu besetzt worden.

Der Wechsel zur Arbeitgeberin sei auf Initiative der leitenden Mitarbeiterin erfolgt. Damit habe sie erstmals im Konzern Kündigungsschutz erhalten, da dieser bei der Muttergesellschaft nicht vorhanden war.

Das Arbeitsgericht entschied, die Kündigung ist sozial nicht gerechtfertigt und hat das Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst. Die Arbeitgeberin habe den Wegfall des Beschäftigungsbedürfnisses nicht hinreichend dargelegt. Im Rahmen eines konzernweiten Kündigungsschutzes zu Gunsten der leitenden Mitarbeiterin könne sich die Arbeitgeberin rechtlich im Rahmen des § 1 Absatz 1 und 2 KSchG (Kündigungsschutzgesetz) nicht auf den Wegfall des Beschäftigungsbedürfnisses bei der Arbeitgeberin berufen.

Betriebliche Erfordernisse für eine Kündigung im Sinne von § 1 Absatz 2 KSchG könnten sich aus innerbetrieblichen Umständen (Unternehmerentscheidungen wie z.B. Rationalisierungsmaßnahmen, Umstellung oder Einschränkung der Produktion) oder durch außerbetriebliche Gründe (z.B. Auftragsmangel oder Umsatzrückgang) ergeben. Diese betrieblichen Erfordernisse müssen dringend sein und eine Kündigung im Interesse des Betriebes notwendig machen. Die Kündigung müsse wegen der betrieblichen Lage unvermeidbar sein. Der Vortrag der Arbeitgeberin muss deutlich erkennen lassen, ob das Bedürfnis an der Tätigkeit der gekündigten Arbeitnehmerin wegfällt.

Vorliegend reiche es aufgrund eines in diesem Fall eingreifenden konzernweiten Kündigungsschutzes nicht aus, nur einen Wegfall der Aufgaben bei der Arbeitgeberin zu betrachten. Vielmehr ist aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalles darauf abzustellen, ob Aufgaben der Arbeitnehmerin bei der Konzernmuttergesellschaft entfallen sind. Dies ist vorliegend nach dem Vortrag der Arbeitgeberin zu verneinen. Vielmehr stellt sich die ausgesprochene Kündigung als rechtsunwirksame Austauschkündigung in Bezug auf die Konzernmuttergesellschaft dar.

Grundsätzlich bezieht sich das Kündigungsschutzgesetz auf einzelne Unternehmen, nicht auf Konzerne. Besondere Sachverhalte können jedoch eine Betrachtung bezogen auf den ganzen Konzern notwendig machen. Die Arbeitnehmerin kann nach dem Arbeitsvertrag von vornherein für den Unternehmens- und den Konzernbereich eingestellt worden sein oder sich vertraglich mit einer Versetzung innerhalb des Unternehmens- bzw. Konzerngruppe einverstanden erklärt haben. Bei einer solchen Vertragsgestaltung muss die Arbeitgeberin als verpflichtet angesehen werden, zunächst eine Unterbringung der Arbeitnehmerin in einem anderen Konzernbetrieb zu versuchen, bevor sie der Arbeitnehmerin aus betriebsbedingten Gründen gekündigt.

Einen konzernweiten Kündigungsschutz hat das BAG (Bundesarbeitsgericht) insbesondere angenommen, wenn arbeitsvertraglich ein konzernweiter Einsatz der Arbeitnehmerin vereinbart war.

In der Literatur wird vertreten, dass ein konzernbezogener Kündigungsschutz aus Vertrauensgesichtspunkten im Fall der Selbstbindung der Arbeitgeberin bestehen könne. Seien für den Fortfall des Arbeitsplatzes konzerninterne Gründe (wie etwa die Verlagerung der Tätigkeiten auf anderer Konzernunternehmen) ursächlich, sei die bisherige Arbeitgeberin gegebenenfalls nicht zur betriebsbedingten Kündigung berechtigt, sondern müsse für eine Weiterbeschäftigung der betroffenen Arbeitnehmer in dem anderen Konzernunternehmen sorgen.

Für die Matrixstruktur wird vertreten, dass die Kündigung einer Arbeitnehmerin, die aufgrund der Matrixstruktur nicht in dem Vertragsunternehmen, sondern nur im Konzernunternehmen eingegliedert worden ist, das Konzernunternehmen als “Auch-Arbeitgeberin” ebenso an die Vorgaben des Kündigungsschutzgesetz gebunden ist. Soweit die Position jedoch nur von der Vertragsarbeitgeberin zur weisungsgebenden Arbeitgeberin verschoben werde, dürfte die “Auch-Arbeitgeberin” nicht den Wegfall des Arbeitsplatzes begründen können, sondern müsse ebenfalls freie Arbeitsplätze in ihrem Unternehmen berücksichtigen.

Unter Berücksichtigung dieser Rechtsauffassung kommt das Arbeitsgericht im vorliegenden Fall zu folgendem Ergebnis:

Aufgrund der Matrixstruktur ist nicht erkennbar, dass die leitende Mitarbeiterin bei der Arbeitgeberin eingegliedert war. Vielmehr war die leitende Mitarbeiterin weiterhin auch nach ihrem Wechsel zu der Arbeitgeberin unverändert in die Matrixstrukturen der Konzern-Mutter eingebunden.

Nach dem Vortrag der Parteien ist der Inhalt der Tätigkeit der leitenden Mitarbeiterin und deren hierarchische und disziplinarische Einordnung anlässlich ihres Wechsels von der Konzernmutter zur Arbeitgeberin unverändert geblieben. Dies ergibt sich schon daraus, dass die Arbeitgeberin vorgetragen hat, keine eigenen Marketingaktivitäten zu unterhalten, sodass die Tätigkeiten der leitenden Mitarbeiterin abgesehen von dem Ortswechsel und der arbeitsvertraglichen Beziehung mit der Arbeitgeberin unverändert geblieben sind.

Aufgrund der tatsächlichen Möglichkeit der Konzernmutter, die Tätigkeiten der leitenden Mitarbeiterin von der Konzernmutter auf die Arbeitgeberin und zurück wieder auf die Konzernmutter zu übertragen, ist für die leitende Mitarbeiterin im Sinne eines Vertrauenstatbestandes eine Selbstbindung der Einheit aus Konzernmutter und Vertragsarbeitgeberin entstanden.

Daraus folgt, dass es nicht allein auf den Wegfall der Tätigkeiten der leitenden Mitarbeiterin bei der Arbeitgeberin ankommt, sondern auch zu einem Wegfall der Tätigkeiten insgesamt bei der Konzernmutter gekommen sein muss, um die Kündigung betrieblich zu rechtfertigen. Auf die Möglichkeit der Arbeitgeberin als Vertragsarbeitgeberin, Einfluss auf die Weiterbeschäftigung der leitenden Mitarbeiterin bei der Konzernmutter oder einem anderen Konzernunternehmen zu nehmen, komme es angesichts dieses Vertrauenstatbestandes nicht an.

Bei der Prüfung, ob die von der leitenden Mitarbeiterin ausgeübten Tätigkeiten entfallen sind, ist daher auf den konzerndimensionalen Verbund der Arbeitgeberin zusammen mit der Muttergesellschaft abzustellen. Schon nach dem Vortrag der Arbeitgeberin kann nicht erkannt werden, dass die Tätigkeiten der leitenden Mitarbeiterin im Verbund der Arbeitgeberin und der Konzernmutter entfallen sind.

Ohne weiteren Vortrag der Arbeitgeberin muss das Arbeitsgericht davon ausgehen, dass Brand-Marketing nur eine andere inhaltliche Ausrichtung des Marketings eines Unternehmens ist, vor allem im Gegensatz zum Produkt Marketing. Ohne weitere Angaben muss das Arbeitsgericht auch davon ausgehen, dass die leitende Mitarbeiterin mit ihrer langjährigen Berufserfahrung und angesichts der Höhe ihrer regelmäßigen Vergütung durchaus in der Lage ist, eine andere inhaltliche Ausrichtung des Marketings im Rahmen ihrer arbeitsvertraglichen Pflichten auszufüllen.

Dass die Tätigkeiten der leitenden Mitarbeiterin nicht entfallen sind, ergibt sich nach Auffassung des Arbeitsgerichts auch daraus, dass auf gleicher Hierarchiestufe wie die leitende Mitarbeiterin eine Neueinstellung erfolgt ist.

Soweit die Arbeitgeberin vorträgt, dass bei dieser Neueinstellung andere Anforderungen erforderlich waren und die leitende Mitarbeiterin andere Tätigkeiten ausübt, beschränkt sich der Vortrag der Arbeitgeberin ausschließlich auf Schlagworte. Aus der vorgelegten Stellenausschreibung sei beispielsweise nicht erkennbar, dass die leitende Mitarbeiterin dort aufgeführte Anforderungen nicht erfüllt. Insbesondere habe die Arbeitgeberin auch nicht dargelegt, ob und wie das Stellenprofil angesichts des Ausschreibungstextes gegenüber den Tätigkeiten der leitenden Mitarbeiterin abgeändert und insbesondere neuen Anforderungen, die die Arbeitgeberin nicht beschreibt, angepasst worden ist. Daher müsse zulasten der Arbeitgeberin als darlegungs- und beweispflichtige Partei davon ausgegangen werden, dass die Tätigkeiten der leitenden Mitarbeiterin bei der Konzernmutter weiter vorhanden sind und im Verbund der Arbeitgeberin zusammen mit der Konzernmutter nicht weggefallen sind.

Eine Berufung zu diesem Urteil wurde nicht zugelassen.