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Anspruch auf Urlaubsabgeltung kann als reiner Geldanspruch grundsätzlich Ausschlussfristen unterliegen

Ausschlussfrist für Urlaubsabgeltung

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 24.05.2022, Aktenzeichen 9 AZR 461/21

Eine arbeitsvertragliche Ausschlussfristenregelung, die eine Geltendmachung innerhalb einer Frist von nicht weniger als drei Monaten ab Fälligkeit verlangt, benachteiligt Arbeitnehmer nicht unangemessen entgegen den Geboten von Treu und Glauben. Der Anspruch eines Arbeitnehmers auf Urlaubsabgeltung kann als reiner Geldanspruch grundsätzlich Ausschlussfristen unterliegen.

Eine Rechtsanwaltsfachangestellte arbeitete in der Kanzlei einer Rechtsanwältin. Die Rechtsanwältin kündigte das Arbeitsverhältnis zum 19. Juli 2019.

Im Januar 2020 reichte die Rechtsanwaltsfachangestellte Klage beim Arbeitsgericht ein. Sie begehrte die Abgeltung von insgesamt 24 Urlaubstagen. Der Anspruch sei nicht erloschen, obwohl sie die Abgeltung erst nach Ablauf der in § 15 des Arbeitsvertrags bezeichneten Frist verlangt habe. Die Klausel sei intransparent und damit unwirksam.

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht wiesen die Klage ab. Mit der Revision vor dem Bundesarbeitsgericht verfolgte die Rechtsanwaltsfachangestellte ihr Begehren weiter.

Das Bundesarbeitsgericht entschied, die Klage ist unbegründet. Der Abgeltungsanspruch, welcher der Rechtsanwaltsfachangestellten nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zustand, ist mit dem Ablauf des 19. Oktober 2019 gemäß Arbeitsvertrag verfallen. Der Anspruch einer Arbeitnehmerin auf Urlaubsabgeltung kann als reiner Geldanspruch grundsätzlich Ausschlussfristen unterliegen.

Der vorformuliert Arbeitsvertrag unterliegt den Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Der Arbeitsvertrag weist keine individuellen Besonderheiten auf. Dass die Rechtsanwaltsfachangestellte auf den Inhalt des Arbeitsvertrags Einfluss nehmen konnte, hat die Rechtsanwältin nicht vorgetragen.

Die Ausschlussregelung ist durch die im Fettdruck hervorgehobene Überschrift „Verfallfristen-/Ausschlussfristen“ für den Vertragspartner deutlich erkennbar. Die Vereinbarung einer Ausschlussfrist entspricht einer weit verbreiteten Übung im Arbeitsleben.

Die Ausschlussregelung des Arbeitsvertrags stellt eine von Rechtsvorschriften abweichende Regelung dar (§ 307 Absatz 3 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch), denn gesetzlich bleiben Ansprüche abgesehen von einer Verwirkung (§ 242 BGB) erhalten und sind nur unter Beachtung des Verjährungsrechts geltend zu machen.

Die Regelung entspricht auch nicht einer tariflichen Bestimmung oder anderen Norm im Sinne des § 310 Absatz 4 Satz 3 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch), die auf das Arbeitsverhältnis der Parteien unmittelbar Anwendung finden kann.

Die Ausschlussfristenregelung des Arbeitsvertrags nimmt Ansprüche wegen vorsätzlichen Pflichtverletzungen aus. Damit ist sowohl den Vorgaben des § 276 Absatz 3 BGB, wonach die Haftung wegen Vorsatzes dem Schuldner nicht im Voraus erlassen werden darf, als auch denen des § 202 Absatz 1 BGB, wonach die Verjährung bei Haftung wegen Vorsatzes nicht im Voraus durch Rechtsgeschäft erleichtert werden kann, genügt.

Unter angemessener Berücksichtigung der tatsächlichen und rechtlichen Besonderheiten der Haftung im Arbeitsverhältnis führt es nicht zur Unwirksamkeit, dass die Ausschlussfristenregelung des Arbeitsvertrags nur die Haftung wegen Vorsatzes und grober Fahrlässigkeit ausnimmt, nach ihrem Wortlaut aber entgegen § 309 Nr. 7 Buchstabe a BGB Schäden aus der Verletzung des Lebens, des Körpers oder der Gesundheit, die auf einer fahrlässigen Pflichtverletzung beruhen, verfallen können.

Nach § 309 BGB ist in Allgemeinen Geschäftsbedingungen ein Ausschluss oder eine Begrenzung der Haftung für Schäden aus der Verletzung des Lebens, des Körpers oder der Gesundheit, die auf einer fahrlässigen Pflichtverletzung des Verwenders oder einer vorsätzlichen oder fahrlässigen Pflichtverletzung eines gesetzlichen Vertreters oder Erfüllungsgehilfen des Verwenders beruhen, unwirksam.

Ebenso unwirksam ist ein Ausschluss oder eine Begrenzung der Haftung für sonstige Schäden, die auf einer grob fahrlässigen Pflichtverletzung des Verwenders oder auf einer vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Pflichtverletzung eines gesetzlichen Vertreters oder Erfüllungsgehilfen des Verwenders beruhen.

  • 15 Absatz 1 Satz 2 des Arbeitsvertrags trägt den Klauselverboten des § 309 Nr. 7 BGB nur insoweit Rechnung, als Ansprüche, die auf Handlungen wegen Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit beruhen, von einem Verfall ausdrücklich ausgenommen sind. Die Haftung der Rechtsanwältin für Schäden aus der Verletzung des Lebens, des Körpers oder der Gesundheit, die auf einer fahrlässigen Pflichtverletzung des Verwenders oder seiner gesetzlichen Vertreter oder Erfüllungsgehilfen resultieren, wird von der Klausel erfasst.

Entgegen der Ansicht der Rechtsanwaltsfachangestellten erfasst diese Ausnahme auch Ansprüche, die auf vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Pflichtverletzungen eines gesetzlichen Vertreters oder Erfüllungsgehilfen des Verwenders beruhen. Die Bestimmung differenziert nicht danach, wer handelt.

Die ausdrückliche Ausnahme bestimmter Ansprüche des Arbeitsvertrags zeigt im Umkehrschluss, dass sich der Anwendungsbereich der Ausschlussklausel auf Ansprüche erstrecken soll, die nicht als ausgenommen aufgeführt sind.

Erfasst von der Verfallmöglichkeit des Arbeitsvertrags sind danach die Haftung des Verwenders für Schäden aus der Verletzung des Lebens, des Körpers oder der Gesundheit, die aus einer fahrlässigen Pflichtverletzung des Verwenders oder seiner gesetzlichen Vertreter oder Erfüllungsgehilfen resultieren.

Haftungsansprüche der Arbeitnehmerin wegen fahrlässiger Verletzung von Leben, Körper oder Gesundheit können danach nur dann nach einer „alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis“ erfassenden Ausschlussfristenregelung verfallen, wenn, was in der betrieblichen Praxis den Ausnahmefall darstellt, der Anwendungsbereich der §§ 104 ff. SGB VII (Sozialgesetzbuch) nicht eröffnet ist.

Erfasst eine Ausschlussfristenregelung diese verbleibenden Haftungsansprüche der Arbeitnehmerin wegen fahrlässiger Pflichtverletzung, ist der Verstoß gegen § 309 Nr. 7 Buchstabe a BGB unter Berücksichtigung der im Arbeitsrecht geltenden Besonderheiten nicht so gewichtig, dass er zur Unwirksamkeit der Verfallklausel führt.

Die dreimonatige Ausschlussfrist verstößt nicht im Hinblick auf die Fristlänge gegen § 307 Absatz 1 Satz 1 BGB. Eine arbeitsvertragliche Ausschlussfristenregelung, die eine Geltendmachung innerhalb einer Frist von nicht weniger als drei Monaten ab Fälligkeit verlangt, benachteiligt die Arbeitnehmerin nicht unangemessen entgegen den Geboten von Treu und Glauben.

Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass die Klausel nicht intransparent ist, weil Ansprüche, deren Erfüllung die Rechtsanwältin zugesagt, die sie anerkannt oder streitlos gestellt hat, nicht ausdrücklich ausgeklammert worden sind. Anerkenntnis, Streitlosstellung oder Erfüllungszusage betreffen nicht den abstrakten Geltungsbereich einer Ausschlussfristenregelung. Sie bewirken einen punktuellen, auf einen konkreten Einzelfall bezogenen tatsächlichen Verzicht auf die Geltendmachung der Forderung innerhalb der vereinbarten Ausschlussfrist.

Die Arbeitgeberin muss unmissverständlich zum Ausdruck bringen, dass sie auf die Einhaltung der Ausschlussfrist keinen Wert legt und sich auf einen Verfall aufgrund der Ausschlussfristenregelung nicht berufen werde. Ausreichend ist hierfür bereits ein tatsächliches Verhalten ohne rechtsgeschäftlichen Erklärungswert, mit dem der Anspruchsgegner den Anspruch außer Streit stellt.

Weist die Arbeitgeberin etwa Ansprüche gegenüber einer Arbeitnehmerin in einer Entgeltabrechnung oder auf einem Arbeitszeitkonto aus, kann hierin, unabhängig davon, dass es im Regelfall an einer rechtsgeschäftlichen Erklärung fehlt, ein tatsächliches Anerkenntnis liegen.

Anerkenntnis, Streitlosstellung oder Erfüllungszusage sind keine Tatbestände, die aus Transparenzgründen in einer Ausschlussfristenregelung von vornherein ausdrücklich auszuklammern sind. Es bedarf keiner klarstellenden Regelung, dass der Gläubiger seine Ansprüche nicht innerhalb der Ausschlussfrist geltend machen muss, wenn der Schuldner hierauf verzichtet.

Der Annahme der Rechtsanwaltsfachangestellten, § 15 Absatz 1 des Arbeitsvertrags sei intransparent im Sinne von § 307 Absatz 1 Satz 2 BGB, weil die Klausel tarifliche Ansprüche und Ansprüche aus Betriebsvereinbarungen erfasst, steht bereits entgegen, dass bei Vertragsschluss der Anwendungsbereich von § 4 Absatz 4 Satz 3 TVG (Tarifvertragsgesetz) und § 77 Absatz 4 Satz 4 BetrVG nicht eröffnet war. Zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses wirkten keine Kollektivnormen mit unmittelbarer und zwingender Wirkung auf das Arbeitsverhältnis der Parteien ein. Eine Arbeitgeberin ist nicht gehalten, Ausschlussklauseln im Hinblick auf die unmittelbare und zwingende Wirkung von Kollektivnormen einschränkend zu formulieren, wenn solche Bestimmungen bei Vertragsschluss auf das Arbeitsverhältnis nicht normativ einwirken.

Zudem ist eine in AGB enthaltene Ausschlussfristenklausel, welche die von § 77 Absatz 4 Satz 4 BetrVG und § 4 Absatz 4 Satz 3 TVG (Tarifvertragsgesetz) geschützten Ansprüche umfasst und deshalb zu weit gefasst ist, nicht wegen dieses Verstoßes und sich nur daraus ergebender unzureichender Transparenz unwirksam. Die angemessene Berücksichtigung der arbeitsrechtlichen Besonderheiten, die in § 77 Absatz 4 Satz 4 BetrVG und § 4 Absatz 4 Satz 3 TVG verbunden sind, verlangt eine solche überschießende Rechtsfolge nicht, sondern steht ihr entgegen. Sie würde dem begrenzten Schutzzweck der Bestimmung nicht gerecht, der als Besonderheit des Arbeitsrechts auch bei der Rechtsfolgenbetrachtung zu berücksichtigen ist.

Die Klausel ist nicht intransparent, weil die Haftung für Schäden, die auf vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Pflichtverletzung eines gesetzlichen Vertreters oder eines Erfüllungsgehilfen der Rechtsanwältin beruht, nicht ausdrücklich ausgenommen ist.

Eine Beschränkung der Ausschlussklausel im Hinblick auf gesetzliche Vertreter war schon deshalb nicht geboten, weil die Rechtsanwältin zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht gesetzlich vertreten wurde.

Es ist außerdem nicht erforderlich, die Erfüllungsgehilfen ausdrücklich in der Ausschlussklausel zu nennen. Dass die Rechtsanwältin für das Handeln der von ihr eingesetzten Erfüllungsgehilfen grundsätzlich wie für ihr eigenes Verhalten zu haften hat, erschließt sich einem aufmerksamen und sorgfältigen Teilnehmer am Wirtschaftsverkehr ohne weiteres. Es ist ausreichend, die Haftung der Rechtsanwältin für Schäden, die auf vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Pflichtverletzungen beruhen, allgemein auszunehmen.

Entgegen der Ansicht der Rechtsanwaltsfachangestellten ist die Ausschlussfrist nicht intransparent, weil sie Ansprüche aus einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts umfasst.

Ausschlussklauseln erfassen auch Ansprüche wegen der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Der Gesetzgeber hat sich in § 309 Nr. 7 Buchstabe a BGB dafür entschieden, nur den Verfall von Ansprüchen wegen der Verletzung von Leben, Körper und Gesundheit zu untersagen. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht hat er dort nicht genannt.

Die Regelung in § 15 Absatz 1 Satz 1 Halbsatz 1 und Satz 2 des Arbeitsvertrags gibt damit die Rechtslage zutreffend wieder, wenn demnach Ansprüche wegen Persönlichkeitsverletzungen verfallen, solange sie nicht auf vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Handlungen beruhen.

Die Ausschlussklausel ist schließlich nicht deswegen intransparent, weil sie Urlaubsansprüche im bestehenden Arbeitsverhältnis nicht ausdrücklich ausnimmt.

  • 7 Absatz 3 BUrlG (Bundesurlaubsgesetz) sieht für den Verfall des gesetzlichen Mindesturlaubs ein spezielles Fristenregime vor. Von den dort vorgesehenen Fristen können die Arbeitsvertragsparteien gemäß § 13 Absatz 1 Satz 3 BUrlG nicht zuungunsten des Arbeitnehmers abweichen.

Demgegenüber können die Arbeitsvertragsparteien Urlaubsansprüche, die den gesetzlichen Mindesturlaub übersteigen, frei regeln.

Die Auslegung des Vertrags nach dem anzuwendenden abstrakt-generellen Prüfungsmaßstab ergibt, dass für den Urlaubsanspruch die Sonderregelung in § 5 Absatz 2 des Arbeitsvertrags die allgemeine Ausschlussklausel in § 15 Absatz 1 Satz 1 Halbsatz 1 des Arbeitsvertrags als speziellere Regelung verdrängt. Ein aufmerksamer und sorgfältiger Arbeitnehmer muss auch ohne gesonderte Erwähnung der Urlaubsansprüche im Arbeitsvertrag davon ausgehen, dass Urlaubsansprüche allein innerhalb der in § 5 Absatz 2 des Arbeitsvertrags vorgesehenen Fristen geltend zu machen seien, ohne dass die allgemeine Ausschlussfrist des § 15 Absatz 1 Satz 1 Halbsatz 1 des Arbeitsvertrags zu beachten sei.

Aber auch ohne eine entsprechende vertragliche Regelung erschließt es sich für einen aufmerksamen und sorgfältigen Arbeitnehmer ohne weiteres, dass er seinen Anspruch auf „Jahresurlaub“, d.h. den ihm in jedem Kalenderjahr zustehende Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub, nicht in den ersten drei Monaten des Urlaubsjahrs in Textform geltend machen muss, um ihn vor einem Verfall zu bewahren, sondern dass er ihn im gesamten Urlaubsjahr verlangen kann.

Der Anspruch der Rechtsanwaltsfachangestellten auf Urlaubsabgeltung ist nach § 15 Absatz 1 Satz 1 Halbsatz 1 des Arbeitsvertrags erloschen. Die Rechtsanwaltsfachangestellte hat die erste Stufe der vertraglichen Ausschlussfrist nicht gewahrt.

Zu den von § 15 Absatz 1 Satz 1 Halbsatz 1 des Arbeitsvertrags erfassten Ansprüchen „aus dem Arbeitsverhältnis“ gehört u.a. der Anspruch auf Urlaubsabgeltung.

Finden sich keine sachlichen Einschränkungen, so fallen unter den Begriff der „Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis“ alle gesetzlichen, tariflichen und vertraglichen Ansprüche, die Arbeitsvertragsparteien aufgrund ihrer durch den Arbeitsvertrag begründeten Rechtsstellung gegeneinander haben. Es kommt damit nicht auf die materiell-rechtliche Anspruchsgrundlage, sondern auf den Entstehungsbereich des Anspruchs an.

Der Urlaubsabgeltungsanspruch ist nicht gemäß § 15 Absatz 1 Satz 3 des Arbeitsvertrags von der Ausschlussfrist ausgenommen. Es handelt sich nicht um einen Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn.

Der Anspruch auf Urlaubsabgeltung wurde gemäß § 7 Absatz 4 BUrlG mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 19. Juli 2019 fällig. Der Lauf der dreimonatigen Ausschlussfrist endete mit dem Ablauf des 19. Oktober 2019.

Die Rechtsanwaltsfachangestellte hat einen Anspruch auf Urlaubsabgeltung erstmals mit ihrer Klage vom 16. Januar 2020 geltend gemacht. Zum Zeitpunkt der Zustellung der Klageschrift an die Rechtsanwältin am 23. Januar 2020 war ihr Anspruch auf Urlaubsabgeltung bereits verfallen.