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Beschlussfassung des Betriebsrats – Ladung von Ersatzmitgliedern, kurzfristige Ladung von Ersatzmitgliedern, Tarifsperre nach § 77 Abs. 3 BetrVG, Vertreter ohne Vertretungsmacht, Anscheinsvollmacht

Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg (9. Kammer), Urteil vom 27.11.2023, Aktenzeichen 9 Sa 27/23

Amtliche Leitsätze:

1. Erfährt der Vorsitzende erst nach der Ladung zur Betriebsratssitzung von der Verhinderung eines Betriebsratsmitgliedes, so muss er die Ladung des Ersatzmitgliedes unverzüglich nachholen. Hierzu muss er alle ihm zur Verfügung stehenden und zumutbaren Kommunikationswege ausschöpfen, um die Ladung des Ersatzmitgliedes noch vor der Sitzung zu bewerkstelligen.

2. Deshalb ist bei einer kurzfristigen Verhinderung eine Ladung von Ersatzmitgliedern auch per Telefon oder auf elektronischem Weg geboten.

3. Unterlässt der Vorsitzende die gebotene Ladung eines Ersatzmitgliedes, ist der Beschluss des Betriebsrats, mit dem er einen anderen schwebend unwirksamen Beschluss genehmigen will, seinerseits unwirksam.

Sachverhalt:

Die Parteien streiten über die Entlohnung des Klägers. Die Beklagte, die nicht tarifgebunden ist, fällt unter den Geltungsbereich des MTV ERA der Metallindustrie. Der Kläger war vom 12. März 1990 bis zum 31. Dezember 2022 bei der Beklagten beschäftigt, ohne dass ein schriftlicher Arbeitsvertrag vorlag. Am 4. Mai 2007 schlossen die Beklagte und ihr Betriebsrat eine “Betriebsvereinbarung über NT ERA” ab, welche unter anderem die Umwandlung des Akkordlohns in einen Sockelbetrag beinhaltete. Am 4. Dezember 2020 unterzeichneten die Beklagte und ihr Betriebsrat einen “Nachtrag zur Betriebsvereinbarung über NT ERA”, der unter anderem eine 25%ige Kürzung des Sockelbetrags ab dem 1. Januar 2022 vorsah. Dieser Nachtrag wurde vom Betriebsratsvorsitzenden unterzeichnet. Bei der Beschlussfassung über diesen Nachtrag nahmen von 13 Mitgliedern des Betriebsrats lediglich neun teil. Als Vorsorgemaßnahme genehmigte der Betriebsrat in seiner Sitzung am 25. Juli 2023 den Nachtrag zur Betriebsvereinbarung vom 4. Dezember 2020. An dieser Sitzung nahmen von 13 Betriebsratsmitgliedern zehn teil. Für zwei verhinderte Betriebsratsmitglieder wurden Ersatzmitglieder eingeladen. Am Vormittag der Sitzung meldete sich ein weiteres Betriebsratsmitglied krank. Für die um 14 Uhr angesetzte Sitzung lud der Vorsitzende kein weiteres Ersatzmitglied ein. Das Arbeitsgericht wies die Klage ab. Vor dem Landesarbeitsgericht verfolgt der Kläger sein Ziel weiter.

Das Landesarbeitsgericht sprach dem Kläger seinen gewünschten Lohn zu. Die vom Betriebsratsvorsitzenden unterzeichnete Betriebsvereinbarung ist unwirksam. Hinsichtlich der Unwirksamkeit der Betriebsvereinbarung begründet das Landesarbeitsgericht wie folgt: 

Die Betriebsvereinbarung NT ERA sowie die darauffolgende modifizierende Betriebsvereinbarung vom 4. Dezember 2020 sind jedoch in Bezug auf die Regelung des Sockelbetrags gemäß § 5 der BV nicht aufgrund eines Verstoßes gegen § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG unwirksam. Dies wurde vom Arbeitsgericht korrekt festgestellt. Die Urteilsgründe auf Seite 9 ff werden vollständig berücksichtigt. 

Die Annahme der Beklagten, dass § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG aufgrund der fehlenden Tarifbindung der Beklagten keine Anwendung finde, ist unzutreffend. Die Sperrwirkung des Absatzes 3 ist unabhängig von der Tarifbindung des Arbeitgebers (BAG 10.10.2006 – 1 ABR 59/05, NZA 2007, 523; 25.2.2015 – 5 AZR 481/13). § 77 Abs. 3 Satz 1 ist keine Kollisionsnorm, sondern regelt die Zuständigkeit (BAG 22.3.2005 – 1 ABR 64/03, NZA 2006, 383). Dies ergibt sich aus dem Normzweck des Absatzes 3 Satz 1, der darauf abzielt, eine funktionierende Tarifautonomie zu schützen. Zu diesem Zweck gewährt die Vorschrift den Tarifvertragsparteien Vorrang bei der Regelung von Arbeitsbedingungen. Um die ausgeübte und aktualisierte Tarifautonomie zu schützen, ist jede Normsetzung durch die Betriebsparteien ausgeschlossen, die inhaltlich mit den Regelungen der Tarifvertragsparteien konkurrieren würde (vgl. Fitting/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier/Schelz, 31. Aufl. 2022, BetrVG § 77 Rn. 78 mit zahlreichen weiteren Nachweisen).

Die Änderungsvorschrift bezüglich des Grundbetrags gemäß § 5 der BV NT ERA durch die Betriebsvereinbarung vom 04.12.2020 fällt unter das Mitbestimmungsrecht gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG, da sie die Strukturmerkmale der Vergütung betrifft, insbesondere die Zusammenstellung des Grundbetrags, der die Problematik des Übergangs zwischen den Vergütungssystemen des Arbeitgebers in Bezug auf die “Überschreitung” löst. Die Strukturmerkmale der Vergütung fallen jedoch genau unter das Mitbestimmungsrecht gemäß Nr. 10.

Die ursprüngliche Betriebsvereinbarung “NT ERA” von 2007 enthält zudem keine Festlegungen zu konkreten Löhnen, die zwar nicht der Mitbestimmung unterliegen, aber dem Tarifvorbehalt gemäß § 77 Absatz 3 BetrVG unterliegen würden. Stattdessen beschränkt sie sich auf Regelungen zur Ermittlung des Entgelts, die der Mitbestimmung gemäß § 87 Absatz 1 Nummer 10 BetrVG unterliegen. Es ist unerheblich, dass die Regelungen des Entgeltrahmen-Tarifvertrags der Metallindustrie im Wesentlichen übernommen und nur geringfügig modifiziert wurden, da auch diese Tarifverträge nicht das Entgelt selbst, sondern die Entgeltfindung und Tätigkeitsbewertung festlegen, was dem Mitbestimmungsrecht gemäß § 87 Absatz 1 Nummer 10 BetrVG unterliegt.

Daher war es den Betriebsparteien auch ohne Verstoß gegen § 77 Absatz 3 Satz 1 BetrVG möglich, die Regelungen zum Grundbetrag in § 5 der Betriebsvereinbarung “NT ERA” von 2007 durch die Betriebsvereinbarung vom 04.12.2020 zu ändern (vgl. BAG, 29.10.2002 – 1 AZR 573/01, NZA 2003, 393, beck-online).

Jedoch ist die Betriebsvereinbarung vom 04.12.2020 unwirksam, da der Vorsitzende des Betriebsrats zu diesem Zeitpunkt die Vereinbarung unterzeichnete, ohne dass ein gültiger Beschluss des Betriebsrats vorlag. Gemäß § 26 Absatz 2 BetrVG vertritt der Vorsitzende des Betriebsrats diesen nur im Rahmen der gefassten Beschlüsse. Ein wirksamer Beschluss des Betriebsrats ist daher eine Voraussetzung für jegliches rechtskräftige Handeln des Vorsitzenden des Betriebsrats. Ohne einen gültigen Betriebsratsbeschluss handelt der Vorsitzende des Betriebsrats bei der Unterzeichnung einer Betriebsvereinbarung als Vertreter ohne Befugnis, wodurch die unterzeichnete Vereinbarung vorläufig unwirksam ist (vgl. BAG, 8. Februar 2022 – 1 AZR 233/21 –, Rn. 24 und 33, juris).

Entgegen der Annahme des Arbeitsgerichts liegt jedoch kein gültiger Beschluss des Betriebsrats vor.

Es liegt in der Verantwortung der Beklagten als Partei, die aus dieser Betriebsvereinbarung Rechte ableiten möchte, im Falle eines Bestreitens deren Wirksamkeit darzulegen und zu beweisen. Dieser Ansatz wurde vom Arbeitsgericht korrekt berücksichtigt. Da die Frage der Beschlussfassung des Betriebsrats in der Regel nicht von den klagenden Arbeitnehmern thematisiert wird, können sie das Vorhandensein eines Beschlusses gemäß den allgemeinen prozessualen Grundsätzen mit Nichtwissen (gemäß § 138 Absatz 4 ZPO) bestreiten. Der beklagte Arbeitgeber ist dann verpflichtet, detaillierte Angaben zu machen (vgl. BAG, 8. Februar 2022 – 1 AZR 233/21, Rn. 42, juris). Diese Angaben umfassen nicht nur die Existenz eines Betriebsratsbeschlusses, sondern die Beklagte muss auch darlegen, dass der Beschluss gemäß den maßgeblichen Vorschriften von § 29 Absatz 2 BetrVG und § 33 BetrVG zustande gekommen ist, da dies wesentliche Voraussetzungen für die Wirksamkeit des Beschlusses sind.

Im vorliegenden Fall war die Beklagte jedoch anfangs nicht in der Lage, die Wirksamkeit der Betriebsvereinbarung zu erläutern, da der Betriebsrat trotz mehrfacher Bemühungen und Aufforderungen keine erforderlichen Unterlagen, insbesondere das Protokoll der Sitzung, die Einladung und die Teilnehmerliste, zur Verfügung gestellt hat. Aus diesem Grund war es gerechtfertigt, dass das Arbeitsgericht eine Beweisaufnahme durchführte, um die Wirksamkeit des Betriebsratsbeschlusses und somit die Gültigkeit der Betriebsvereinbarung zu klären. Dieser Schritt ist insbesondere dann angebracht, wenn der Betriebsrat dem Arbeitgeber keine Informationen über die Zustandekommen des Beschlusses gibt, da sich der Arbeitgeber in einer unverschuldeten Beweisnot befindet. Darüber hinaus ist die Feststellung der Existenz eines gültigen Betriebsratsbeschlusses ein integraler Bestandteil der Überprüfung der Wirksamkeit einer Rechtsnorm, nämlich der Betriebsvereinbarung, die in einem Streit zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat, der normalerweise direkt im Beschlussverfahren ausgetragen wird, von Amts wegen gemäß § 83 ArbGG von Beginn an zu prüfen wäre.

Für die Entscheidung im Berufungsverfahren ist es nicht entscheidend, ob die Aussage des Zeugen B. allein ausreichte, um einen wirksamen Beschluss des Betriebsrats anzunehmen. Ebenso kann offenbleiben, ob das Arbeitsgericht berechtigt war, die Frage des Klägers nach den Teilnehmern der Beschlussfassung vom 04.12.2020 abzulehnen. Die Beklagte hat mittlerweile die relevanten Unterlagen zur Beschlussfassung vom 04.12.2020 von ihrem Betriebsrat erhalten und im Berufungsverfahren vorgelegt.

Daher ist die Beklagte nunmehr im Berufungsverfahren dazu verpflichtet, detailliert zur Wirksamkeit des Beschlusses des Betriebsrats vorzutragen, da sie nunmehr über die entsprechenden Unterlagen verfügt. Dies hat sie durch die Vorlage der relevanten Dokumente getan. Jedoch ergibt sich aus diesen Unterlagen, dass der Beschluss des Betriebsrats vom 04.12.2020 unwirksam ist.

Der Beschluss des Betriebsrats ist daher unwirksam, da gemäß der vorgelegten Teilnehmerliste (Anlage B 12) von insgesamt 13 Betriebsratsmitgliedern fünf nicht anwesend waren (Herr G., Herr K., Frau S1, Frau S. und Frau H1). Es wurde jedoch nur ein Ersatzmitglied geladen, nämlich Herr A1. Im Rahmen ihrer Verpflichtung zur Darlegung der Wirksamkeit der Betriebsvereinbarung hätte es der Beklagten obgelegen, nachzuweisen, dass die Einladung zur Betriebsratssitzung gemäß § 29 Absatz 2 BetrVG ordnungsgemäß erfolgte. Gemäß § 29 Absatz 2 Satz 6 BetrVG ist der Vorsitzende verpflichtet, für ein verhindertes Betriebsratsmitglied das entsprechende Ersatzmitglied einzuladen. In diesem Fall wurde jedoch versäumt, weitere Ersatzmitglieder einzuladen, ohne dass ersichtlich ist, warum dies der Fall war.

Wenn Betriebsratsmitglieder nicht zur Sitzung eingeladen werden, ist der Beschluss des Betriebsrats stets unwirksam, unabhängig von den Abstimmungsverhältnissen (vgl. BAG 23.08.1984 – 2 AZR 391/83). Zur Darlegung der Wirksamkeit eines Betriebsratsbeschlusses gehört daher auch die Nachweisführung, dass alle stimmberechtigten Betriebsratsmitglieder, einschließlich der einzuladenden Ersatzmitglieder, zur Sitzung eingeladen wurden. Vor allem angesichts der Tatsache, dass der Betriebsrat mit nur neun von insgesamt 13 Mitgliedern besetzt war, hätte die Beklagte zu diesem Punkt nähere Ausführungen machen müssen.

Obwohl die Beklagte in ihrem Schreiben vom 19.07.2023 (oben auf Seite 10) behauptet, dass aus der vorgelegten Anlage B 10 die ordnungsgemäße Einladung zur Betriebsratssitzung hervorgehe, trifft das nicht zu. Die Anlage B 11 zeigt zwar, dass unter Angabe der Tagesordnung eingeladen wurde, jedoch geht daraus nicht hervor, ob auch Ersatzmitglieder eingeladen wurden.

Nachdem die Beklagte die entsprechenden Unterlagen erhalten hatte, hätte sie jedoch näher dazu vortragen müssen, gegebenenfalls indem sie sich beim nunmehr auskunftsbereiten Betriebsrat erkundigte.

Auch aus der Aussage des Zeugen Herrn B. lässt sich entgegen der Behauptung der Beklagten nicht schlussfolgern, dass die Ersatzmitglieder ordnungsgemäß eingeladen wurden. Obwohl der Zeuge in der Niederschrift vom 14.03.2023 aussagte, dass 13 Betriebsratsmitglieder ordnungsgemäß geladen wurden, reicht das Angesichts des Fehlens von Ersatzmitgliedern nicht aus, um die ordnungsgemäße Ladung plausibel darzustellen.

Daher ist der Beschluss vom 01.12.2020 unwirksam, was bedeutet, dass der Betriebsratsvorsitzende Herr B. die Betriebsvereinbarung vom 04.12.2020 nicht im Rahmen der vom Betriebsrat gefassten Beschlüsse unterzeichnet hat und somit als Vertreter ohne Vertretungsmacht gehandelt hat.

Eine Vertretungsmacht von Herrn B. ergibt sich auch nicht aus der behaupteten Anscheinsvollmacht der Beklagten.

Gemäß der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts können die Grundsätze der Anscheinsvollmacht nicht unmittelbar auf das Verhältnis zwischen Betriebsrat und seinem Vorsitzenden angewendet werden (vgl. BAG, 8. Februar 2022 – 1 AZR 233/21 –, Rn. 26, juris). Dieser Rechtsprechung schließt sich das Berufungsgericht ausdrücklich an und nimmt Bezug auf die Entscheidungsgründe der zitierten Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts.

Eine Anscheinsvollmacht setzt voraus, dass der Vertretene das Handeln des Scheinvertreters nicht kennt, es aber bei pflichtgemäßer Sorgfalt hätte erkennen und verhindern können, und die andere Vertragspartei darauf vertraut hat oder vertrauen durfte, dass der Vertretene das Handeln des Vertreters kennt und billigt. Im vorliegenden Fall war für den Betriebsrat nicht erkennbar, dass eine Vertretungsmacht für das Handeln des Vorsitzenden, also des Zeugen B., nicht vorlag. Im vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall fehlte es überhaupt an einem Betriebsratsbeschluss, was den übrigen Betriebsratsmitgliedern hätte bekannt sein müssen. Im vorliegenden Fall gab es einen Betriebsratsbeschluss, dessen Wirksamkeit jedoch daran scheiterte, dass die Ladung von Ersatzmitgliedern unterblieb. Die ordnungsgemäße Ladung der Mitglieder zur Betriebsratssitzung obliegt dem Vorsitzenden (§ 29 Abs. 2 S. 3 und 6 BetrVG). Es gibt verschiedene Gründe dafür, warum keine Ersatzmitglieder geladen wurden, zum Beispiel, weil auch diese verhindert waren. Es ist unangemessen, von den anwesenden Betriebsratsmitgliedern zu verlangen, die Rechtmäßigkeit der Einladungen durch den Vorsitzenden, dem diese Aufgabe von Gesetzes wegen zugewiesen ist, in der Betriebsratssitzung zu kontrollieren. Sie dürfen sich darauf verlassen, dass der Vorsitzende die Ladung der Betriebsratsmitglieder ordnungsgemäß durchführt.

Des Weiteren hat der Betriebsrat die schwebend unwirksame Betriebsvereinbarung vom 04.12.2020 auch nicht nachträglich durch den Beschluss vom 25.07.2023 genehmigt. Grundsätzlich ist die Genehmigung des Handelns des Betriebsratsvorsitzenden ohne Vertretungsmacht nach § 177 Abs. 1 BGB mit Rückwirkung möglich (vgl. BAG, 8. Februar 2022 – 1 AZR 233/21 –, Rn. 33, juris).

Die Beklagte weist zu Recht darauf hin, dass der Gedanke des Vertrauensschutzes des Klägers dem nicht entgegensteht, da für den Kläger von Anfang an durch die Betriebsvereinbarung vom 04.12.2020 erkennbar war, dass der Sockelbetrag abgesenkt werden würde.

Jedoch fehlt es an einer wirksamen Genehmigung des vollmachtlosen Handelns von Herrn B., da der Beschluss vom 25.07.2023 ebenfalls unwirksam ist, da die Ladung eines Ersatzmitglieds unterblieb.

Gemäß der vorgelegten Teilnehmerliste (Anlage B 19) waren die Betriebsratsmitglieder Herr K. und Herr W1 krank, und das Betriebsratsmitglied Herr M1 befand sich im Urlaub. Jedoch wurden unter den Nummern 14 und 15 der Teilnehmerliste nur zwei Ersatzmitglieder geladen, nämlich Herr B1 und Herr O. Angesichts der vorliegenden Verhinderungen hätte jedoch ein weiteres Ersatzmitglied geladen werden müssen.

Es liegt in der Verantwortung der Beklagten, im Rahmen der Darlegung der Wirksamkeit des Betriebsratsbeschlusses zu erklären, warum die Ladung eines weiteren Ersatzmitglieds unterblieben ist. Die Beklagte hat diesbezüglich erklärt, dass zur Sitzung am 20.07.2023 eingeladen wurde und für die Betriebsratsmitglieder K. und M1 die Ersatzmitglieder geladen wurden. Herr W1 habe sich erst am 25.07.2023 im Laufe des Vormittags nur wenige Stunden vor der Sitzung krankgemeldet. Seine Verhinderung sei so kurzfristig gewesen, dass nicht mehr rechtzeitig ein weiteres Ersatzmitglied hätte geladen werden können. Es handle sich also um einen Ausnahmefall, der das rechtzeitige Laden eines weiteren Ersatzmitglieds verhinderte.

Die Voraussetzungen für ein ausnahmsweise zulässiges Unterlassen der Ladung eines Ersatzmitglieds liegen jedoch nicht vor, wie von der Beklagten angenommen. Die Beklagte weist zwar zutreffend darauf hin, dass die Ladung eines Ersatzmitglieds unterbleiben kann, wenn ein Betriebsratsmitglied plötzlich verhindert ist und es dem Betriebsrat nicht mehr möglich ist, das richtige Ersatzmitglied rechtzeitig zu laden. Eine Ausnahme hiervon ist jedoch nur gerechtfertigt, wenn ein Betriebsratsmitglied plötzlich verhindert ist und es dem Betriebsrat nicht mehr möglich ist, das Ersatzmitglied rechtzeitig zu laden (vgl. BAG, 18. Januar 2006 – 7 ABR 25/05 –, Rn. 10, juris).

Im vorliegenden Fall liegt diese Ausnahme nicht vor. Dem Betriebsratsvorsitzenden bzw. der stellvertretenden Vorsitzenden war es möglich, noch ein weiteres Ersatzmitglied zu laden. Der Sitzungsbeginn war um 14:00 Uhr, und nach Angaben der Beklagten meldete sich Herr W1 erst am Vormittag des 25.07.2023 krank. Die Anforderungen an die Bemühungen des Betriebsratsvorsitzenden, bei kurzfristigem Ausfall eines Mitglieds ein Ersatzmitglied zu laden, werden zwar nicht genau beschrieben. Es ist jedoch erforderlich, dass der Vorsitzende unverzüglich nach Erhalt der Information über die Verhinderung des Mitglieds die Ladung des Ersatzmitglieds veranlasst. Dazu müssen alle zumutbaren Kommunikationswege genutzt werden, um die Ladung noch vor der Sitzung zu ermöglichen. Dabei kann in Eilfällen auch eine ganz kurzfristige Ladung per Telefon oder elektronischem Weg erforderlich sein. Angesichts des hohen Stellenwerts, den das Gesetz der Sicherstellung der Beschlussfähigkeit und der Beschlussfassung mit der vorgeschriebenen Mitgliederzahl beimisst, liegt es auch nicht im Ermessen des Vorsitzenden, von einer Ladung abzusehen (vgl. GK BetrVG/Raab BetrVG, § 29 Rn 44).

Es wäre Aufgabe der Beklagten gewesen, darzulegen, warum es unter Berücksichtigung dieser Umstände nicht möglich war, ein weiteres Ersatzmitglied zu laden, beispielsweise durch einen Telefonanruf oder über andere elektronische Kommunikationswege. Angesichts des Zeitraums von mindestens noch 2 Stunden – wahrscheinlich sogar mehr – zwischen der Benachrichtigung über die Verhinderung von Herrn W1 und dem Beginn der Sitzung um 14:00 Uhr sowie der Tatsache, dass ein Telefonanruf oder die Nutzung eines Messenger-Dienstes nur wenige Minuten in Anspruch genommen hätten, war es unverzichtbar, zumindest einen Versuch zu unternehmen, ein Ersatzmitglied zu laden. Da dies jedoch nicht erfolgte, war der Betriebsrat auch in diesem Fall nicht vollständig eingeladen und besetzt, da ein stimmberechtigtes Betriebsratsmitglied, einschließlich eines hinzuzuziehenden Ersatzmitglieds, von der Sitzung und somit von der Beschlussfassung ausgeschlossen war. Der Beschluss des Betriebsrats vom 25.07.2023 ist daher nicht ausreichend demokratisch legitimiert und somit unwirksam. Das vollmachtlose Handeln des damaligen Vorsitzenden, Herrn B., am 04.12.2020 wurde somit nicht nachträglich genehmigt.

Die Beklagte kann sich auch nicht darauf berufen, dass sie gutgläubig darauf vertraute, dass der Vorsitzende, Herr B., seinerzeit im Rahmen eines wirksam gefassten Betriebsratsbeschlusses handelte. Obwohl das Bundesarbeitsgericht in seinem Urteil vom 8. Februar 2022 (1 AZR 233/21) nicht explizit darauf einging, ob der Arbeitgeber unter bestimmten Umständen gutgläubig darauf vertrauen kann, dass der Vorsitzende innerhalb seiner Vertretungsmacht handelt, ist ein solcher Vertrauensschutz des Arbeitgebers nicht gänzlich ausgeschlossen. Er könnte unter Umständen angenommen werden, wenn der Arbeitgeber den Fehler in der Beschlussfassung des Betriebsrats nicht aus den ihm übergebenen Unterlagen erkennen konnte oder wenn der Betriebsrat es versäumte, dem Arbeitgeber die entsprechenden Unterlagen zeitnah auszuhändigen.

Jedoch traf keines von beiden in diesem Fall zu. Die Beklagte unternahm keine zeitnahen Anstrengungen, um die Unterlagen des Betriebsrats bezüglich der Beschlussfassung vom 01.12.2020 zur Zustimmung der Betriebsvereinbarung vom 04.12.2020 zu erhalten. Sie hätte die Fehler in der Beschlussfassung problemlos erkennen können. Daher besteht im vorliegenden Fall kein Grund, über einen möglichen Vertrauensschutz für die Beklagte zu spekulieren.

Somit ist der Beschluss des Betriebsrats, den Sockelbetrag abzusenken, unwirksam und hat keine Wirkung gegenüber dem Kläger. Aus diesem Grund ist dem Feststellungsantrag des Klägers stattzugeben und das Urteil des Arbeitsgerichts ist entsprechend zu ändern.