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Dem Betriebsrat muss bei einer Zustimmungsbitte zu einer Eingruppierung auch die vorgesehene Entgeltstufe vom Arbeitgeber mitgeteilt werden, da sonst der Betriebsrat nicht ordungsgemäß unterrichtet ist

Bundesarbeitsgericht (1. Senat), Beschluss vom 16.07.2024, Aktenzeichen 1 ABR 25/23

Leitsatz:

Verfügt ein Unternehmen über ein Entgeltschema mit unterschiedlichen Entgeltgruppen und -stufen, muss der Arbeitgeber dem Betriebsrat im Rahmen eines Zustimmungsersuchens zur Eingruppierung regelmäßig und von sich aus auch die konkret vorgesehene Entgeltstufe mitteilen. Erfolgt dies nicht, ist der Betriebsrat nicht gemäß § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ordnungsgemäß unterrichtet, was zur Folge hat, dass die Frist für eine Zustimmungsverweigerung nicht zu laufen beginnt.

Sachverhalt:

Die Parteien streiten über die Verpflichtung der Arbeitgeberin, Zustimmungsersetzungsverfahren durchzuführen.

Die Arbeitgeberin betreibt mehrere Betriebe im Schienennahverkehr, die durch einen Zuordnungstarifvertrag gemäß § 3 BetrVG gebildet wurden. Sie ist Mitglied im Arbeitgeber- und Wirtschaftsverband der Mobilitäts- und Dienstleister e. V. (AGV MOVE). Der Antragsteller ist der Betriebsrat des Wahlbetriebs R.7.2. in Leipzig.

Der AGV MOVE hat mit der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) als auch mit der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) Tarifverträge abgeschlossen, die Verzeichnisse für Entgeltgruppen für die im Geltungsbereich erfassten Arbeitnehmer enthalten. In der Vergangenheit vereinbarte der AGV MOVE mit beiden Gewerkschaften einen Verzicht auf die Anwendung von § 4a TVG. Der Tarifvertrag mit der GDL endete am 31. Dezember 2020 ohne Nachwirkung.

Am 22. März 2021 teilte die Arbeitgeberin dem Betriebsrat schriftlich mit, dass sie künftig für bestimmte Tätigkeiten im Betrieb nur noch die Tarifverträge der GDL anwenden werde, da diese Gewerkschaft die meisten Mitglieder unter den betroffenen Arbeitnehmern habe.

Der Betriebsrat erhielt von der Arbeitgeberin Zustimmungsersetzungsgesuche der Arbeitgeberin zur Einstellung der Arbeitnehmer Z und S als Lokomotivführer und zu deren Eingruppierung in die Entgeltgruppe LF 5 des mit der GDL abgeschlossenen Bundes-Rahmentarifvertrages für das Zugpersonal der Schienenbahnen des Personen- und Güterverkehrs (BuRa-ZugTV). Die Gesuche enthielten jeweils eine Anlage, aus der hervorging, dass beide neu einzustellenden Lokomotivführer zuvor bisher als solche bei anderen Eisenbahnunternehmen gearbeitet hatten.

Am 24. Juni 2021 erteilte der Betriebsrat die Zustimmung zu den Einstellungen; seine Zustimmung zu den vorgesehenen Eingruppierungen hat er jedoch – aus seiner Sicht wirksam – verweigert. Der Betriebsrat sah sich nicht ordnungsgemäß unterrichtet, und zwar über die Mehrheitsverhältnisse und damit über den auf Grund dessen nach § 4 Abs. 2 Satz 2 TVG im Betrieb anzuwendenden Tarifvertrag.

Sinngetreu beantragt der Betriebsrat, der Arbeitgeberin aufzugeben, ein betriebsverfassungsrechtliches Beschlussverfahren einzuleiten, um die von ihm verweigerte Zustimmung zur Eingruppierung der Arbeitnehmer Z und S ersetzen zu lassen.

Die Arbeitgeberin beantragte, die Anträge abzuweisen.

Das Arbeitsgericht wies die Anträge ab und das Landesarbeitsgericht lehnte die sodann eingelegte Beschwerde des Betriebsrats ab.

Entscheidung:

Das Bundesarbeitsgericht hat den Beschluss des Landesarbeitsgerichts aufgehoben und den Beschluss des erstinstanzlichen Arbeitsgerichts soweit abgeändert, wie das Gericht die Anträge, die die Arbeitnehmer Z und S betreffen, abgewiesen hatte. Zudem hat das Bundesarbeitsgericht der Arbeitgeberin die Durchführung eines gerichtlichen Zustimmungsersetzungserfahrens aufgegeben.

Nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts war die Beschwerde des Betriebsrats gegen die antragsabweisende Entscheidung des Arbeitsgerichts zulässig und hatte auch in der Sache Erfolg. Nach gebotener Auslegung sind die Anträge des Betriebsrats zulässig und hinreichend bestimmt und zudem – entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts – begründet.

Nach § 101 Satz 1 BetrVG kann der Betriebsrat beim Arbeitsgericht die Aufhebung einer personellen Maßnahme durch die Arbeitgeberin beantragen, wenn diese ohne seine Zustimmung von ihr durchgeführt wird. Diese Regelung dient dazu, das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats aus § 99 Abs. 1 BetrVG sicherzustellen. In Fällen der Eingruppierung, die unter das Mitbeurteilungsrecht des Betriebsrats fallen (Unternehmen mit in der Regel mehr als 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern), kann dieser ein Zustimmungsersetzungsverfahren gemäß § 99 Abs. 4 BetrVG verlangen.

Weil im Unternehmen der Arbeitgeberin unbestritten mehr als 20 wahlberechtigte Arbeitnehmer tätig sind, unterfallen die im Verfahren behandelten personellen Einzelmaßnahmen als Eingruppierungen nach § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats.

Bei der beabsichtigten Eingruppierung handelt es sich um eine personelle Einzelmaßnahme im Sinne von § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG. Da im Unternehmen mehr als 20 wahlberechtigte Arbeitnehmer beschäftigt sind, musste der Betriebsrat über die Maßnahme informiert werden, um zu prüfen, ob einer der Zustimmungsverweigerungsgründe vorliegt.

Die Zustimmung des Betriebsrats zu den Eingruppierungen ist nicht als erteilt anzusehen, da er nicht ordnungsgemäß unterrichtet wurde. Die Unterrichtung durch die Arbeitgeberin war unzureichend; insbesondere fehlte die erforderliche Information über die vorgesehene Entgeltstufe und die Anrechnung von Berufserfahrung. Bei einer geplanten Eingruppierung muss der Arbeitgeber den Betriebsrat über alle relevanten Faktoren informieren, die zu einer unterschiedlichen Eingruppierung und damit zu einem abweichenden Entgelt führen können. Das Mitbeurteilungsrecht des Betriebsrats nach § 99 Abs. 1 BetrVG umfasst nicht nur die Einordnung in eine Entgeltgruppe, sondern auch die Zuordnung zu Stufen, die von der Beschäftigungsdauer abhängen. Der Arbeitgeber kann das Beteiligungsverfahren nicht auf einzelne Teile der Eingruppierung beschränken, da es sich um ein einheitliches Verfahren handelt.  Die Anlage 2a zum BuRa-ZugTV für Lokomotivführer sieht in der Entgeltgruppe LF 5 sieben Stufen vor, die sich nach der Berufserfahrung in Jahren richten. Diese Berufserfahrung ist auch dann zu berücksichtigen, wenn sie außerhalb des tariflichen Geltungsbereichs erworben wurde. Der Arbeitgeber hatte bei der Einstufung keinen Ermessensspielraum und hätte den Betriebsrat daher ohne Anfrage über die angestrebte Entgeltstufe der Arbeitnehmer informieren müssen. Da beide Arbeitnehmer bereits als Lokomotivführer tätig waren und auch bei der Arbeitgeberin entsprechend eingesetzt werden sollten, war eine bloße Unterrichtung über die Entgeltgruppe unzureichend.

Angesichts der tariflichen Vorgaben und der dem Betriebsrat mitgeteilten relevanten Vorbeschäftigungen der Arbeitnehmer konnte und musste der Betriebsrat das Ersuchen der Arbeitgeberin nicht so verstehen, dass sie stillschweigend um Zustimmung zur Einreihung in die “Eingangsstufe” (Stufe 1) bat.

Die Mitteilung der Entgeltstufen war nicht entbehrlich, da der Betriebsrat diese nicht aus den vorhandenen Informationen selbst hätte erschließen können. Dies gilt insbesondere, weil die Arbeitgeberin den Betriebsrat nicht über die Dauer der bisherigen Berufserfahrung der