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Adipositas als körperliche Behinderung

Adipositas (Übergewichtigkeit) kann als körperliche Behinderung gelten

EuGH, Urteil vom 18.12.2014, Aktenzeichen C-354/13

Falls ein Arbeitnehmer mit Adipositas durch damit zusammenhängende eingeschränkte Mobilität oder auftretende Krankheitsbilder an der Verrichtung seiner beruflichen Tätigkeit dauerhaft gehindert oder beeinträchtigt wird, so kann er als körperlich behindert im Sinne der europäischen Richtlinie 2000/78 (Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf vom 27. November 2000) gelten.

 In einer dänischen Gemeinde war ein Kinderbetreuer 15 Jahre als Beschäftigter der öffentlichen Verwaltung angestellt. Der Kinderbetreuer war während seiner gesamten Beschäftigungszeit übergewichtig im Sinne der Definition der WHO (Weltgesundheitsorganisation).

Bei seinen Versuchen, Gewicht zu verlieren, wurde der Kinderbetreuer zeitweise von der Gemeinde finanziell für die Teilnahme an Sportkursen und anderen Aktivitäten unterstützt. Durch die Aktivitäten verlor er Gewicht, nahm aber anschließend wieder zu, wie bereits bei früheren Versuchen Gewicht zu verlieren.

Wenige Wochen danach nahm der Kinderbetreuer ein Jahr Urlaub aus familiären Gründen. Nach seiner Rückkehr zur Arbeit wurde der Kinderbetreuer mehrmals unangekündigt aufgesucht und nach seinem Gewichtsverlust befragt. Sein Gewicht war nahezu unverändert geblieben. Später im gleichen Jahr hatte er wegen rückläufiger Kinderzahlen nur drei statt der möglichen vier Kinder zu betreuen.

Die pädagogischen Beauftragten der Gemeinde wurden wegen der rückläufigen Kinderzahlen gebeten, einen Vorschlag zu machen, welcher Kinderbetreuer entlassen werden sollte. Die Wahl fiel auf den übergewichtigen Betreuer. Am 1. November des gleichen Jahres wurde dem übergewichtigen Betreuer telefonisch mitgeteilt, dass man erwäge, ihn zu entlassen. Anschließend wurde das bei Entlassungen im öffentlichen Dienst übliche Anhörungsverfahren eingeleitet. Am 4. November erfolgte die schriftliche Information über die beabsichtigte Entlassung, und eine Aufforderung dazu Stellung zu nehmen.

In seiner Stellungnahme vom 10.November erklärte der Angestellte seinen Eindruck, wegen seiner Adipositas entlassen zu werden. Am 22. November erhielt der Angestellte seine schriftliche Kündigung, in der erklärt wurde, die Kündigung erfolge nach einer konkreten Prüfung vor dem Hintergrund des Rückgangs der Kinderzahlen. Auf seine Stellungnahme hingegen wurde nicht reagiert und es wurde nicht erklärt, warum die Wahl gerade auf ihn fiel.

Beim Kündigungsgespräch sei die Adipositas ein Thema gewesen, es bestehe jedoch Uneinigkeit darüber, wie diese Frage erörtert wurde. Die Gemeinde gab jedenfalls an, die Adipositas sei kein Grund für die Entlassung gewesen.

Die dänische Gewerkschaft FOA (Fag og Arbejde) als Vertreterin des Kinderbetreuers erhob Klage gegen die Entlassung. Sie machte geltend, der Kinderbetreuer sei Opfer einer Diskriminierung wegen Adipositas geworden und verlangte Schadensersatz. Das Gericht setzte zunächst das Verfahren aus, um dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) Fragen zur Entscheidung vorzulegen.

Es war unter anderem zu klären, ob eine Diskriminierung wegen Adipositas gegen Unionsrecht verstoße. Weiterhin sollte geklärt werden, ob Adipositas als eine vom Schutz der europäischen Richtlinie 2000/78 (Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf vom 27. November 2000) umfasste Behinderung betrachtet werden kann.

Der EuGH stellte fest, dass es im Bereich Beschäftigung und Beruf keine europäische Richtlinie gäbe, die eine Diskriminierung wegen Adipositas verbiete. Adipositas sei auch nicht in der Richtlinie 2000/78 erwähnt. Es gäbe also kein allgemeines Verbot der Diskriminierung wegen Adipositas.

Eine Adipositas könne jedoch eine Behinderung im Sinne von Richtlinie 2000/78 sein. Eine Behinderung sei eine dauerhafte physische, geistige oder psychische Beeinträchtigung, die in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren den Beschäftigten daran hindere, voll und gleichberechtigt mit anderen Beschäftigten am Berufsleben teilnehmen zu können. Behinderung bedeute nicht zwangsläufig, dass ein Beruf nicht ausgeführt werden könne, sondern bedeute auch, die Beeinträchtigung der Ausübung einer Tätigkeit.

Der Begriff Behinderung im Sinne der Richtlinie 2000/78 hänge nicht davon ab, inwiefern der Betroffene selbst zur Behinderung beigetragen habe.

Bringe die Adipositas jedoch dauerhaft insbesondere physische, körperliche und psychische Einschränkungen mit sich, handele es sich um eine Behinderung im Sinne der Richtlinie 2000/78. Das wäre etwa der Fall, wenn ein übergewichtiger Arbeitnehmer wegen eingeschränkter Mobilität oder dem Auftreten von Krankheitsbildern an der Verrichtung seiner Arbeit gehindert oder in der Ausführung seiner beruflichen Tätigkeit beeinträchtigt wäre.

Der EuGH legte die Beurteilung, ob die Adipositas des Kinderbetreuers als Behinderung gelte, in die Hände des anfragenden dänischen Gerichtes.