Anspruch auf Ăberstundenzuschlag fĂźr ungeplante Ăberstunden in Teilzeitbeschäftigung
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 23.03.2017, Aktenzeichen 6 AZR 161/16
FĂźr ungeplante Ăberstunden, die Ăźber die tägliche Arbeitszeit hinaus abweichend vom Schichtplan angeordnet werden, steht den betroffenen Arbeitnehmern Ăberstundenzuschlag zu, unabhängig davon ob sie in Vollzeit oder Teilzeit beschäftigt sind.
Ein Gesundheits- und Krankenpfleger arbeitete in Wechselschicht als Teilzeitbeschäftigter mit einem Arbeitsvolumen von 75% einer Vollzeitbeschäftigung.
Auf Anordnung der Arbeitgeberin ßberschritt der Krankenpfleger im Zeitraum von Dezember 2012 bis April 2014 mehrfach die im Schichtplan vorgesehene tägliche Arbeitszeit. Teilweise ßberschritt er damit das wÜchentliche Arbeitsvolumen seiner Teilzeitbeschäftigung.
Mit der Ausnahme von 1,77 Stunden glich die Arbeitgeberin die Ăźber das Teilzeitvolumen hinausgehenden Arbeitsstunden im monatlichen Rhythmus des Schichtplanes aus. Ăberstundenzuschläge wurden nicht gewährt.
Der Krankenpfleger verlangte Ăberstundenzuschläge fĂźr die Tage, an denen er die im Schichtplan ausgewiesene Arbeitszeit Ăźberschritten hatte. Die Stunden seien nach § 8 Absatz 1 Satz 2 Buchstabe a TVĂśD-K (Tarifvertrag Ăśffentlicher Dienst â Krankenhäuser) zuschlagspflichtig. Die Zuschlagspflicht entstehe, wenn die im Dienstplan ausgewiesene tägliche Arbeitszeit aufgrund der Anordnung weiterer Stunden durch âungeplanteâ Ăberstunden Ăźberschritten werde.
Mit seiner Klage beim Arbeitsgericht beantragte der Krankenpfleger die Zahlung der Ăberstundenzuschläge fĂźr die Zeit der ungeplanten Ăberstunden sowie weitere Ăberstundenzuschläge fĂźr Betriebsratsarbeit.
Die Arbeitgeberin argumentierte in ihrer Klageabweisung, der Krankenpfleger habe keine Ăberstunden geleistet, sondern lediglich Mehrarbeitsstunden. Aus dem Text des des Tarifvertrages ergebe sich, die Mehrarbeitsstunden seien nicht mit Ăberstunden gleichzusetzen. Arbeitsstunden, die Teilzeitbeschäftigte Ăźber ihre vereinbarte regelmäĂige Arbeitszeit hinaus bis zur regelmäĂigen wĂśchentlichen Arbeitszeit von Vollzeitbeschäftigten leisteten, seien nach § 7 Absatz 6 TVĂśD-K Mehrarbeit.
Ăberstunden kämen erst in Betracht, wenn die regelmäĂige Arbeitszeit von Vollzeitbeschäftigten Ăźberschritten werde, ohne dass bereits zwingend ein Anspruch begrĂźndet werde. Der Anspruch auf ĂberstundenvergĂźtung entstehe erst dann, falls die Ăberstunden nicht durch Freizeitausgleich im Schichtplanrhythmus ausgeglichen wĂźrden. FĂźr Arbeitsleistungen oberhalb der wĂśchentlichen Vollarbeitszeit habe der Krankenpfleger stets Freizeitausgleich erhalten, mit Ausnahme von 1,77 Stunden.
Das Arbeitsgericht gab der Klage bezĂźglich der ungeplanten Ăberstunden statt, wies aber die Forderung der Ăberstundenzuschläge fĂźr Betriebsratsarbeit ab. Die Klagestattgabe beruhte auf 1,77 Ăberstunden, die von der Arbeitgeberin anerkannt wurden, da sie Ăźber das wĂśchentliche Vollzeitvolumen hinausgingen, mit einem Betrag von 7,56 Euro brutto.
Das Landesarbeitsgericht (LAG) änderte die Klage teilweise ab und verurteilte die Arbeitgeberin zur Zahlung weiterer 58,51 Euro brutto und wies die weitergehende Klage ab. Es seien nur die Stunden zuschlagspflichtig, die ßber das wÜchentliche Vollzeitvolumen hinaus geleistet wurden. Diese Zuschlagspflicht habe nicht durch Freizeitausgleich beseitigt werden kÜnnen.
Beide Parteien legten Revision beim Bundesarbeitsgericht (BAG) ein.
Das BAG entschied, die Revision des Krankenpflegers sei begrĂźndet. Die Revision der Arbeitgeberin wies das BAG ab. Das LAG habe das Urteil des Arbeitsgerichtes zu unrecht teilweise abgeändert. Stunden, die Ăźber die im Schichtplan festgesetzte tägliche Arbeitszeit hinausgingen, seien Ăberstunden, die nach § 8 Absatz 1 Satz 2 Buchstabe a TVĂśD-K mit den eingeklagten Zuschlägen zu vergĂźten seien.
FĂźr sogenannte ungeplante Ăberstunden bestehe im Gegensatz zu den im Schichtplan geplanten Ăberstunden keine MĂśglichkeit des Freizeitausgleiches. Der Arbeitnehmer habe Anspruch auf Ăberstundenzuschlag. Das gelte auch fĂźr Arbeitnehmer in Teilzeit, wenn Ăberstunden Ăźber die Teilzeitquote hinaus geleistet werden, ohne die regelmäĂige Vollarbeitszeit zu Ăźberschreiten.
Der Krankenpfleger habe unstreitig an den im Einzelnen bezeichneten Tagen das fĂźr ihn im Schichtplan vorgesehene Tagespensum Ăźberschritten. Entgegen der Ansicht der Arbeitgeberin bestehe keine MĂśglichkeit, die Ăberstunden im Schichtplanrhythmus auszugleichen. Die Erschwernis fĂźr Ăberstunden sei nicht von der Schicht- oder Wechselschichtzulage gedeckt. Diese solle lediglich einen Ausgleich fĂźr den gestĂśrten Tagesrhythmus gewährleisten. Bei ungeplanten Ăberstunden in Wechselschicht träfen zwei Belastungsfaktoren zusammen, die eine Doppelbelastung durch Schichtarbeit und ungeplanten Ăberstunden darstelle und damit einen Ausgleichszeitraum fĂźr Ăberstunden ausschlieĂe.
Nach § 4 Absatz 1 Satz 1 TzBfG (Teilzeit- und Befristungsgesetz) dßrfe ein teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer wegen der Teilzeitarbeit nicht schlechter behandelt werden als ein vergleichbarer vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer, es sei denn, sachliche Grßnde rechtfertigten eine unterschiedliche Behandlung. Einem teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer sei Arbeitsentgelt oder eine andere teilbare geldwerte Leistung nach § 4 Absatz 1 Satz 2 TzBfG mindestens in dem Umfang zu gewähren, der dem Anteil seiner Arbeitszeit an der Arbeitszeit eines vergleichbaren vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers entspreche. Dieses Diskriminierungsverbot kÜnne nicht durch tarifvertragliche Regelungen umgangen werden.
Ein Teilzeitbeschäftigter werde wegen der Teilzeitarbeit ungleichbehandelt, wenn die Dauer der Arbeitszeit das Kriterium darstelle, an das die Differenzierung hinsichtlich der unterschiedlichen Arbeitsbedingungen anknĂźpfe. Danach wĂźrde eine Verletzung des § 4 Absatz 1 TzBfG erfolgen, wenn vollschichtig eingesetzte Teilzeitbeschäftigte bei ungeplanten Ăberstunden Ăźber ihre Teilzeitquote hinaus von den Ăberstundenzuschlägen des § 8 Absatz 1 Satz 2 Buchstabe a TVĂśD-K ausgenommen wĂźrden.
WĂźrde fĂźr die Ăberstundenzuschläge eines in Teilzeit beschäftigten Arbeitnehmers die Voraussetzung der Ăberschreitung der regelmäĂigen Arbeitszeit von Vollzeitbeschäftigten in § 7 Abs. 7 TVĂśD-K herangezogen und damit eine identische Belastungsgrenze fĂźr Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigte festgelegt, wĂźrde fĂźr Teilzeitbeschäftigte eine hĂśhere individuelle Belastungsgrenze gezogen. FĂźr Teilzeitbeschäftigte wĂźrde die Grenze der Entstehung ihres Anspruchs nicht proportional zu ihrer Arbeitszeit vermindert. Sie wĂźrden deshalb gegenĂźber vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmern unmittelbar ungleichbehandelt.
Erhielten Teilzeit- als auch Vollzeitbeschäftigte erst dann Ăberstundenzuschläge, wenn die Arbeitszeit eines Vollzeitbeschäftigten Ăźberschritten wäre, mĂźndete das in eine Ungleichbehandlung. FĂźr Teilzeitbeschäftigten hätte das bei Ăberschreitung ihrer Teilzeitquote und Unterschreitung der regelmäĂigen Arbeitszeit von Vollzeitbeschäftigten nach § 7 Abs. 6 TVĂśD-K fĂźr den Entgeltbestandteil âĂberstundenzuschlagâ unmittelbare nachteilige Auswirkungen auf das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung.
Bei enger Auslegung von § 7 Abs. 7 und Abs. 8 TVĂśD-K erhielte ein Vollzeitbeschäftigter bereits fĂźr die erste Stunde, die Ăźber die regelmäĂige wĂśchentliche Arbeitszeit hinausgehe, einen Ăberstundenzuschlag. Ein Teilzeitbeschäftigter mĂźsste dagegen erst die gesamte Differenz zur Vollarbeitszeit Ăźber seine Teilzeitquote hinaus arbeiten, um fĂźr die nächste Stunde einen Ăberstundenzuschlag zu erlangen. Damit ginge wegen ihrer Teilzeitquote eine hĂśhere Belastungsgrenze von Teilzeitbeschäftigten gegenĂźber Vollzeitbeschäftigten einher. Darin läge eine unmittelbare Benachteiligung Teilzeitbeschäftigter.
Ein Tarifverständnis, das Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigte gleichbehandele, fĂźhre nicht zu einer ungerechtfertigten Besserstellung von Teilzeitbeschäftigten. Sie erhielten fĂźr die gleiche Belastung, die durch die Ăźberobligatorische Inanspruchnahme ihrer Arbeitsleistung eintritt, den gleichen Ăberstundenzuschlag wie Vollzeitbeschäftigte.