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Fahrten zur auswärtigen Arbeitsstelle gelten als Arbeitszeit

Vergütung für Fahrten zur auswärtigen Arbeitsstelle

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 25.04.2018, Aktenzeichen 5 AZR 424/17

Fahrten zur auswärtigen Arbeitsstelle gelten als Arbeitszeit und sind vergütungspflichtig. Die Vergütungspflicht kann jedoch in Tarif- und Arbeitsverträgen gesondert geregelt werden.

Ein Aufzugsmonteur und gleichzeitig Mitglied im Betriebsrat war mit der Wartung, Reparatur und Montage von Aufzugsanlagen betraut. Das mit Werkzeugen und Ersatzteilen bestückte Dienstfahrzeug durfte er auch privat nutzen.

Arbeitsaufträge erteilte die Arbeitgeberin monatlich in Form von Sammelaufträgen. Abgesehen von Not- und Störfällen konnte der Monteur seine Arbeitseinsätze frei einteilen. Bis Anfang Dezember 2016 fuhr er morgens von seiner Wohnung zum ersten Kunden des Arbeitstags und vom letzten Kunden dorthin zurück. Den Betrieb der Arbeitgeberin besuchte er nur für organisatorische Tätigkeiten, wie etwa die Versorgung mit Ersatzteilen, Abgabe der Wochenmeldungen sowie für Betriebsratstätigkeiten.

Für die Fahrten zum ersten Kunden des Arbeitstages sowie für den Rückweg vom letzten Kunden des gleichen Tages erhielt er eine sogenannte Nahauslösung, entsprechend BMTV (Bundestarifvertrag für die besonderen Arbeitsbedingungen der Montagearbeiter in der Eisen-, Metall- und Elektroindustrie einschließlich des Fahrleitungs-, Freileitungs-, Ortsnetz- und Kabelbaues). Die Nahauslösung wurde für alle Arbeitstage gezahlt, an denen die einfache Entfernung zum Arbeitsort 80 km nicht überschreitet. Die Fahrten galten nicht als Bestandteil der Arbeitszeit.

Ab 16. Dezember 2016 wurde durch einen Spruch der Einigungsstelle geregelt, dass die Arbeitszeit für auswärtige Monteure vom Zeitpunkt der Abfahrt bis zur Rückkehr zur Wohnung am gleichen Tag als Arbeitszeit gilt.

Im August 2016 hatte der Aufzugsmonteur Vergütung für die streitigen Fahrten geltend gemacht. Für den Zeitraum November 2015 bis Dezember 2016 seien 278 Überstunden angefallen, die zu vergüten seien. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes würden die streitigen Fahrtstunden zur Arbeitszeit zählen. Der BMTV stehe seinen Forderungen nicht entgegen.

Das Arbeitsgericht wies die Klage ab. Die Berufung des Aufzugsmonteurs wies das Landesarbeitsgericht (LAG) zurück. Mit seiner Revision vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) verfolgte der Aufzugsmonteur seine Klage weiter.

Das Bundesarbeitsgericht stellte fest, die Klage sei unbegründet. Mit den streitgegenständlichen Fahrten würde zwar Arbeit erbracht. Eine gesonderte Vergütung sei jedoch nach § 5.1 Absatz 1 Satz 2 BMTV ausgeschlossen. Habe der Arbeitnehmer seine Tätigkeit außerhalb des Betriebes der Arbeitgeberin zu erbringen, gehöre das Fahren zur auswärtigen Arbeitsstelle zu den vertraglichen Hauptleistungsverpflichtungen, nach § 611 BGB. Die Vergütungspflicht der Arbeitgeberin knüpfe an die Leistung der versprochenen Dienste an. Versprochener Dienst sei jede Tätigkeit, die der Befriedigung fremder Bedürfnisse diene. Zu den versprochenen Diensten zähle nicht nur die eigentliche Tätigkeit, sondern jede sonstige Tätigkeit oder Maßnahme, die damit im Zusammenhang stehe.

Fahrten zur auswärtigen Arbeitsstelle gehörten in diesem Falle zu den vertraglichen Hauptleistungspflichten. Das wirtschaftliche Ziel der Tätigkeit sei darauf ausgerichtet, verschiedene Kunden aufzusuchen um dort Dienstleistungen zu erbringen, oder Geschäfte für die Arbeitgeberin zu vermitteln oder abzuschließen. Die Anreise gehöre zwingend dazu. Sowohl die Fahrten zwischen den Kunden als auch die Anfahrt zum ersten Kunden und Rückfahrt vom letzten Kunden bildeten mit der übrigen Tätigkeit eine Einheit und seien insgesamt als Dienstleistung anzusehen.

Das gelte unabhängig davon, ob Fahrtantritt und -ende vom Betrieb der Arbeitgeberin oder der Wohnung des Arbeitnehmers erfolge und umsomehr, wenn der Arbeitnehmer bei An- und Abreise ein Fahrzeug gefüllt mit Werkzeugen und Ersatzteilen zu führen habe.

Mit dieser Einordnung als Arbeitszeit sei jedoch nicht die Vergütungspflicht für die streitgegenständlichen Fahrtzeiten geklärt. In Arbeits- und Tarifverträgen könne eine gesonderte Regelung für andere als die eigentlichen Tätigkeiten und damit auch für die Fahrten zur auswärtigen Arbeitsstelle getroffen werden.

Das Unionsrecht stehe dem nicht entgegen. Unter bestimmten Umständen könne die Fahrzeit zwischen dem Wohnort und auswärtiger Arbeitsstelle nach Unionsrecht als Arbeitszeit gelten. Die Arbeitszeitrichtlinie der Europäischen Union regele jedoch nicht Fragen des Arbeitsentgelts. Dieser Aspekt liege außerhalb der Zuständigkeit der Union.

Eine gesonderte Vergütung für die Fahrten des Aufzugsmonteurs von seiner Wohnung zum ersten Kunden des Arbeitstags und vom Letzten zurück zur Wohnung sei nach § 5.1 Absatz 1 Satz 2 BMTV ausgeschlossen.

Trotz des eingeräumten Spielraumes, die Reihenfolge der Fahrten zu den Kunden selbst bestimmen zu können, entfalle nicht seine Weisungsgebundenheit. Der Aufzugsmonteur könne nicht selbst bestimmen, ob er auf Montage arbeiten wolle, sondern lediglich die Reihenfolge innerhalb eines Monats bestimmen, nach der er die Kunden aufsucht.

Der BMTV schließe eine gesonderte Vergütung der Fahrt von der Wohnung zum ersten Kunden des Arbeitstags und vom Letzten zurück zur Wohnung aus. Es sei unerheblich ob die Fahrten von der Wohnung des Mitarbeiters oder vom entsendenden Betrieb aus beginnen und enden. Das gelte auch dann, wenn der Montagestammarbeiter auf Anordnung der Arbeitgeberin ein werkseitig gestelltes Fahrzeug lenke. In diesem Falle erhöhe sich lediglich die Nahauslösung um 25%. Im Gegensatz dazu werde tariflich bei der Fernmontage die notwendige Reisezeit einschließlich der An- und Abreisezeiten grundsätzlich wie Arbeitszeit vergütet.

Mit der Nahauslösung und dem Tarifentgelt für die eigentliche Arbeitstätigkeit seien die Fahrten innerhalb eines Arbeitstages zum ersten Kunden und vom Letzten zurück abgegolten.

Die Gerichte für Arbeitssachen hätten diese Vergütungsregelung hinzunehmen. Es seien keine Anhaltspunkte erkennbar, dass die Tarifparteien den ihnen eingeräumten Gestaltungsspielraum überschritten hätten. Lediglich falls mit der Regelung der Anspruch auf gesetzlichen Mindestlohn unterschritten würde, stände dies außerhalb der Regelungsmacht der Tarifparteien. Dafür gäbe es im vorliegenden Fall keinen Anhaltspunkt.