Anspruch des Betriebsrats auf Auskunft über die Beschäftigung schwerbehinderter Personen
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20.03.2018, Aktenzeichen 1 ABR 11/17
Ein Betriebsrat kann Auskunft über im Betrieb beschäftigte schwerbehinderte Personen verlangen. Hingegen kann nur der Gesamtbetriebsrat Auskunft über alle im gesamten Unternehmen beschäftigte schwerbehinderte Personen verlangen.
Ein Betriebsrat erhielt von der Arbeitgeberin Auskunft über schwerbehinderte und ihnen gleichgestellte behinderte Menschen, die im Betrieb mit mehr als 18 Wochenstunden beschäftigt waren. Hingegen erhielt der Betriebsrat keine Kopien der an die Bundesagentur für Arbeit übermittelten Anzeige zur Berechnung des Umfangs der Beschäftigungspflicht und der Ausgleichsabgabe sowie der Verzeichnisse der schwerbehinderten oder ihnen gleichgestellten behinderten Menschen sowie der sonstigen anrechnungsfähigen Personen.
Daraufhin begehrte der Betriebsrat Auskunft über alle im Betrieb und im gesamten Unternehmen der Arbeitgeberin beschäftigten schwerbehinderten Menschen sowie eine Kopie der an die Bundesagentur für Arbeit übermittelten Anzeige einschließlich der zugehörigen Verzeichnisse nach § 163 Absatz 2 Satz 3 SGB IX (Sozialgesetzbuch 9).
Der Betriebsrat führte in seinem Antrag beim Arbeitsgericht aus, sein Auskunftsanspruch beruhe auf § 80 Absatz 2 Satz 1 in Verbindung mit § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG (Betriebsverfassungsgesetz) und aus § 154 SGB IX. Es sei seine Aufgabe darüber zu wachen, ob die Arbeitgeberin ihrer Pflicht zur Beschäftigung schwerbehinderter Menschen nachkomme. Nach § 80 Absatz 1 Nummer 4 BetrVG sei der Betriebsrat verpflichtet, die Eingliederung schwerbehinderter Menschen sowie den Abschluss von Inklusionsvereinbarungen zu fördern. Er müsse die Namen sowie die Betriebsstätte aller betroffenen Arbeitnehmer im gesamten Unternehmen kennen, um diese Aufgabe erfüllen zu können.
Die Arbeitgeberin beantragte Auftragsabweisung. Allenfalls stehe dem Gesamtbetriebsrat ein Auskunftsanspruch zu.
Während dieser Zeit hatte das Landesarbeitsgericht (LAG) einen Feststellungsantrag des Gesamtbetriebsrats rechtskräftig abgewiesen, der darauf gerichtet war, ihm eine Kopie der an die Bundesagentur für Arbeit übermittelten Anzeige sowie der dazugehörigen Verzeichnisse zu übermitteln. Dem Begehren des Gesamtbetriebsrats auf Auskunft über Namen und Betriebsstätte der im gesamten Unternehmen beschäftigten schwerbehinderten Menschen und der ihnen Gleichgestellten im Sinne des § 2 SGB IX zu erteilen gab das LAG hingegen statt. Die Betriebsräte wurden in diesem Verfahren nicht angehört.
Das Arbeitsgericht gab den Anträgen des Betriebsrats statt. Die Beschwerde der Arbeitgeberin hat das Landesarbeitsgericht zurückgewiesen. Mit ihrer Rechtsbeschwerde vor dem Bundesarbeitsgericht verfolgte die Arbeitgeberin ihr Begehren weiter.
Das Bundesarbeitsgericht hielt die Beschwerde der Arbeitgeberin für begründet. Das Arbeitsgericht habe den Anträgen des Betriebsrats teilweise rechtsfehlerhaft stattgegeben.
Der Gesamtbetriebsrat und die anderen Betriebsräte seien nicht anzuhören. Es seien nur diejenigen Stellen zu beteiligen, die durch die begehrte Entscheidung in ihrer betriebsverfassungsrechtlichen Stellung unmittelbar betroffen sind. Basierend auf der Entscheidung des Landesarbeitsgerichtes stehe fest, dass ihm der begehrte Auskunftsanspruch zustehe. Dem antragstellenden Betriebsrat gehe es ausschließlich um die Geltendmachung eigener Auskunfts- und Vorlageansprüche. Andere Betriebsräte des Unternehmens seien deshalb nicht zu beteiligen.
Der auf eine einmalige Auskunft gerichtete Leistungsantrag des Betriebsrats sei nur teilweise zulässig und im Übrigen unbegründet. Soweit sich der auf einmalige Auskunft gerichtete Leistungsantrag auf die Namen der beschäftigten schwerbehinderten Menschen im Betrieb des antragstellenden Betriebsrats beziehe, fehle bereits das erforderliche Rechtsschutzinteresse.
Das Rechtschutzinteresse folge aus der Nichterfüllung des behaupteten Anspruchs und sei bei Leistungsklagen regelmäßig gegeben. Ob der Anspruch besteht, sei grundsätzlich eine Frage der Begründung. Es fehle am Rechtschutzbedürfnis, wenn der Antragsteller die gerichtliche Hilfe zur Erzielung seines Zieles nicht mehr bedarf.
Das Auskunftsbegehren für den eigenen Betrieb des Betriebsrats sei insofern unzulässig, da bereits aus der Entscheidung des Arbeitsgerichtes feststehe, dass die Arbeitgeberin zur Erteilung dieser Auskunft verpflichtet ist. Darüber hinausgehende Ansprüche seien unbegründet.
Der Informationsanspruch setze voraus, dass eine Aufgabe des Betriebsrats zu erfüllen sei. Der Betriebsrat habe in seinem Antrag darzulegen, dass im Einzelfall die Information zur Wahrnehmung der Aufgabe notwendig ist. Die vom Betriebsrat begehrte Auskunft lasse keinen Aufgabenbezug im Sinne von § 80 Absatz 2 Satz 1 in Verbindung mit Absatz 1 Nummer 4 BetrVG erkennen.
Der Betriebsrat habe nicht dargelegt, für welche Aufgabe er die Namen der in anderen Betrieben der Arbeitgeberin Beschäftigten benötigt. Sein Hinweis auf die enge Zusammenarbeit mit dem Gesamtbetriebsrat sei dafür ungeeignet. Das gelte auch für seine Ausführungen, er könne ggf. darauf hinwirken, dass die Beschäftigungsquote nach § 154 Absatz 1 Satz 1 SGB IX in dem Betrieb, für den er gewählt wurde, erfüllt oder, wenn sie in anderen Betrieben nicht erreicht werde, sogar übererfüllt werde. Dafür bedürfe es nicht der Auskunft über einzelne schwerbehinderte Menschen in allen anderen Betrieben.
Der Betriebsrat habe auch keine Schutzvorschrift zugunsten von Arbeitnehmern genannt, deren Einhaltung er zu überwachen habe. Die betriebsverfassungsrechtliche Überwachungsaufgabe im Sinne des § 80 Absatz 1 Nr. 1 BetrVG sei nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut auf die Durchführung u.a. von Gesetzen gerichtet, also auf Gebote und Verbote. Die Pflicht der Arbeitgeberin zur Beschäftigung schwerbehinderter Menschen sei jedoch keine zugunsten der Arbeitnehmer geltende Bestimmung. Die Vorschrift begründe für die Arbeitgeberin eine öffentlich rechtliche Pflicht. Sie führe nicht zu einer rechtlichen Verpflichtung zugunsten einzelner Schwerbehinderter oder Stellenbewerber. Die Vorschrift vermittle diesen Personen keine unmittelbaren subjektiven Rechte.
Eine Verletzung des Prüf- und Konsultationsverfahrens nach § 164 Abs. 1 SGB IX könne zwar einen Betriebsrat zur Zustimmungsverweigerung bei einer beabsichtigten Einstellung berechtigen. Damit sei aber kein subjektiver Anspruch zugunsten betroffener schwerbehinderter Menschen gebildet.
Der Betriebsrat könne von der Arbeitgeberin nicht nach der Vorlagepflicht des § 163 Absatz 2 Satz 3 SGB IX die jährliche Übermittlung einer Kopie der aktuellen unternehmensbezogenen Anzeige nebst den Verzeichnissen für mehrere Betriebe verlangen. Ein solcher Anspruch stehe nur dem Gesamtbetriebsrat zu.
Der Inhalt der Anzeigepflicht nach § 163 Abs. 2 Satz 1 SGB IX sei unternehmensbezogen ausgestaltet und diene vor allem der Veranlagung zur Ausgleichsabgabe. Die Arbeitgeberin habe im Wege der Selbstveranlagung zu ermitteln, ob und in welcher Höhe eine Ausgleichsabgabe für das gesamte Unternehmen zu entrichten sei. Die Vorlageverpflichtung an die jeweilige Interessenvertretung richte sich an den Gesamtbetriebsrat. Dieser sei in der Lage, die vorstehend dargestellten Angaben zur unternehmensbezogen ausgestalteten Beschäftigungspflicht auf ihre Richtigkeit zu überprüfen und ggf. bei der Arbeitgeberin auf eine Berichtigung hinzuwirken. Über seine Mitglieder könne er sich erforderliche Kenntnisse über den jeweiligen Betrieb verschaffen.
Würden die Verzeichnisse im Sinne des § 163 Absatz 1 SGB IX an einen örtlichen Betriebsrat übermittelt, würde dies der gesetzlichen Zuständigkeitsverteilung entgegenstehen.
Soweit im jeweiligen Betrieb eines Unternehmens mit mehreren Betrieben ein Betriebsrat besteht, könne er von der Arbeitgeberin die notwendigen Auskünfte nach § 80 Absatz 2 Satz 1 BetrVG verlangen, um die Durchführung der die Arbeitnehmer schützenden Vorschriften im Betrieb überwachen zu können.
Zur Wahrnehmung seiner weiteren Aufgaben nach § 80 Abs. 1 BetrVG sei der Betriebsrat gleichfalls im erforderlichen Umfang durch die Arbeitgeberin zu unterrichten. Der Betriebsrat könne daraufhin seiner Aufgabe, die Eingliederung schwerbehinderter Menschen im Betrieb zu fördern auf Grundlage der für ihn erforderlichen Unterrichtung nachkommen.
Die Pflicht der Arbeitgeberin, im Rahmen der Selbstveranlagung zur Ausgleichsabgabe und der hierbei zu fertigenden Anzeige nach § 163 Absatz 2 Satz 1 SGB IX sowie den beizufügenden Verzeichnissen handele es sich um eine öffentlich-rechtliche Verpflichtung der Arbeitgeberin, nicht aber um ein zugunsten einzelner Arbeitnehmer geltendes Gesetz.
Aus dem Vortrag des Betriebsrats sei nicht erkennbar, wofür er die in der Anzeige und in den Verzeichnissen enthaltenen Daten benötige.