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Wirksamkeit fristlose Kündigung – Unentschuldigtes Fehlen

Fristlose Kündigung wegen unentschuldigten Fehlens

Landesarbeitsgericht Köln, Urteil vom 07.07.2022, Aktenzeichen 6 Sa115/22

Für die Wirksamkeit einer fristlosen Kündigung hat eine Verhältnismäßigkeitsprüfung stattzufinden, also eine Prüfung, ob das Mittel der fristlosen Kündigung zur Erreichung des Zwecks geeignet, erforderlich und verhältnismäßig im engeren Sinne ist.

Ein Unternehmen, das im Messebau angesiedelt ist, hatte bis Juli 2021, als Folge der Pandemie, keine Aufträge. Für den Zeitraum März 2020 bis 02.08.2021 ordnete die Arbeitgeberin deshalb Kurzarbeit „Null“ an. Da sich ein Auftrag anbahnte, wurden alle Mitarbeiter per E-Mail und WhatsApp aufgefordert am 02.08.2021 zur Arbeit zu erscheinen. Ein Schlosserhelfer im Messebau erschien nicht. Die Nachfrage der Arbeitgeberin vom 02.08.2021 blieb unbeantwortet.

Der Schlosserhelfer kehrte am 17.08.2021 zurück. Bei einem Mitarbeiter fragte er nach, ob er am folgenden Tag zur Arbeit erscheinen solle oder erst nach Beendigung seines Urlaubs. Die Arbeitgeberin kündigte das Arbeitsverhältnis am gleichen Tag fristlos.

Der Schlosserhelfer wandte sich vor dem Arbeitsgericht gegen die fristlose Kündigung. Er argumentierte, die Arbeitgeberin habe im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung mehr als zehn Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beschäftigt, das Kündigungsschutzgesetz (KSchG) sei also anwendbar. Im Zeitraum vom 19.07.2021 bis 20.08.2021 sei er im Urlaub gewesen. Den Urlaub habe er schriftlich bei der Sekretärin beantragt und vom Geschäftsführer auf Nachfrage mündlich genehmigt bekommen.

Die WhatsApp-Nachricht mit der Arbeitsaufforderung zum 02.08.2021 habe er zwar gelesen, aber nicht auf sich bezogen, da er davon ausgegangen sei, diese Nachricht sei nur an diejenigen Mitglieder der Gruppe gerichtet gewesen, die nicht im Urlaub oder aus anderen Gründen verhindert seien. Die Kündigung sei jedenfalls schon deshalb als fristlose oder verhaltensbedingte ordentliche Kündigung unwirksam, weil er nie eine Abmahnung erhalten habe.

Die Arbeitgeberin trug vor, sie beschäftige nicht mehr als zehn Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Dem Schlosserhelfer sei für den hier streitigen Zeitraum kein Urlaub genehmigt worden. Es liege auch kein schriftlicher Urlaubsantrag vor. Ein Urlaubsanspruch habe nach der aktuellen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts während der Kurzarbeit nicht entstehen können. Am 02.08.2021 sei der Schlosserhelfer unentschuldigt nicht zur Arbeit erschienen. Sie habe ihn wegen des unentschuldigten Fehlens mit Schreiben vom 06.08.2021 abgemahnt. Danach habe der Schlosserhelfer angekündigt, am 17.08.2021 zur Arbeit zu erscheinen. Er sei aber nicht erschienen. Deshalb sei schließlich die Kündigung ausgesprochen worden.

Das Arbeitsgericht stellte fest, das Arbeitsverhältnis habe nicht fristlos geendet, aber nach Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist.

Ein wichtiger Grund, der die fristlose Kündigung habe rechtfertigen können, sei nicht feststellbar. Aus den Darlegungen der Arbeitgeberin ergebe sich nicht, warum am 02.08.2021 eine Arbeitspflicht bestanden haben solle, wo doch bis zum 02.08.2021 Kurzarbeit angeordnet gewesen sei. Es ergebe sich nicht aus den Darlegungen der Arbeitgeberin, dass tatsächlich kein Urlaubsantrag des Schlosserhelfers eingegangen sei, ein bloßes Bestreiten reiche in diesem Kontext jedenfalls nicht. Es ergebe sich auch nicht aus den Darlegungen der Arbeitgeberin, dass dem Schlosserhelfer eine Abmahnung zugegangen sei, da auch hierzu jede Konkretisierung der Darlegung fehle. Die somit unwirksame fristlose Kündigung könne in eine hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung umgedeutet werden.

Aus den Darlegungen des Schlosserhelfers könne nicht geschlossen werden, dass im Betrieb der Arbeitgeberin mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigt seien. Er trage die Darlegungs- und Beweislast für die Behauptung dieser Tatsache.

Gegen das Urteil des Arbeitsgerichts legte die Arbeitgeberin Berufung beim Landesarbeitsgericht ein. Das Arbeitsgericht habe den Sachverhalt nicht hinreichend ausführlich aufgeklärt. Wenn es das getan hätte, wäre es zu dem Ergebnis gelangt, dass ein wichtiger Grund für eine fristlose Kündigung vorgelegen habe.

Es sei unstreitig, dass aus Gründen der Pandemie bis zum Ende des Monats Juli 2021 keine Aufträge vorgelegen hätten. Es sei unstreitig, dass Kurzarbeit Null bis zum 02.08.2021 angeordnet worden sei. Es sei unstreitig, dass der Schlosserhelfer schriftlich, von ihm durch seine Unterschrift bestätigt, über die Tatsache informiert worden sei, dass während der Kurzarbeit Null keine Urlaubsansprüche entstehen könnten.

Die Behauptung des Schlosserhelfers, er habe einen genehmigten Urlaub in Anspruch genommen, sei “unlogisch” und “wirres Zeug”, denn er habe doch selbst die Information unterschrieben, dass während der Kurzarbeit ein Urlaubsanspruch nicht entstehe. Der Schlosserhelfer habe in der wichtigen Phase der Wiederaufnahme der Geschäftstätigkeit gefehlt. Trotz Aufforderung habe er seine Arbeitsleistung beharrlich verweigert. Die Arbeitgeberin sei daher gezwungen gewesen, das Arbeitsverhältnis zu beenden.

Der Schlosserhelfer verteidigt das Urteil des Arbeitsgerichts und vertieft seinen erstinstanzlichen Vortrag. Insbesondere wies er auf die milderen Mittel hin, die statt der Beendigungskündigung in Betracht gekommen seien: Die Änderungskündigung, die Abmahnung, die Versetzung.

Das Landesarbeitsgericht bestätigte die Entscheidung des Arbeitsgerichts, dass die streitgegenständliche Kündigung das Arbeitsverhältnis nicht vor dem 30.09.2021 beendet hat. Die Arbeitgeberin war nicht, wie sie meint, “gezwungen” das Arbeitsverhältnis fristlos zu beenden. Vielmehr war es als milderes Mittel geboten, zunächst eine Abmahnung auszusprechen.

Für die Wirksamkeit einer fristlosen Kündigung bedarf es eines wichtigen Grundes “an sich”; sodann ist eine Interessenabwägung vorzunehmen zwischen dem Interesse der Arbeitgeberin, das Arbeitsverhältnis vor Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist zu beenden und dem Bestandsinteresse des Schlosserhelfers. Abschließend hat eine Verhältnismäßigkeitsprüfung stattzufinden, also eine Prüfung, ob das Mittel der fristlosen Kündigung zur Erreichung des Zwecks geeignet, erforderlich und verhältnismäßig im engeren Sinne ist. Der zu erreichende Zweck ist die Beseitigung der durch das behauptete Verhalten des Schlosserhelfers eingetretenen betrieblichen Störung oder gegebenenfalls, des eingetretenen Vertrauensverlustes.

Das Arbeitsgericht hatte dargelegt, unsubstantiiert ist die Behauptung, der Schlosserhelfer sei mit dem Schreiben vom 06.08.2021 ordnungsgemäß abgemahnt worden. Es bleibt schon unklar wie und wann dem Schlosserhelfer das Schreiben zugegangen sein soll. Dazu hat die Arbeitgeberin nichts vorgetragen. Demgegenüber legt der Schlosserhelfer in seiner Berufungserwiderung noch einmal besonderen Wert auf die Prüfung des milderen Mittels und dabei insbesondere auf die Tatsache, dass eine Abmahnung als milderes Mittel in Betracht komme. Dieser Vortrag des Schlosserhelfers blieb von der Arbeitgeberin unbeantwortet. Es ist davon auszugehen, dass der Schlosserhelfer vor Ausspruch der fristlosen Kündigung keine Abmahnung erhalten hat.

Die zwei Wochen Abwesenheit des Schlosserhelfers nach insgesamt 1,5 Jahren Kurzarbeit sind keine erhebliche Zeit in diesem Sinne. Hinzu kommt die damals offensichtlich bestehende Auffassung des Schlosserhelfers, es sei ihm über das Ende der Kurzarbeit hinaus Urlaub bewilligt worden. Diese Auffassung allein, die sich in seiner WhatsApp vom 17.08.2021 widerspiegelt und damit glaubhaft werden lässt, lässt seine Abwesenheit in weit milderem Licht erscheinen, selbst wenn sich die Annahme des Schlosserhelfers, ihm sei ausdrücklich Urlaub bewilligt worden, als Irrtum darstelle würde.

Die Anordnung der Kurzarbeit führt nicht dazu, dass ein einmal bestehender Urlaubsanspruch untergeht, oder dass im laufenden Jahr überhaupt kein Urlaubsanspruch entstünde.

In der Zeit vom 03.08.2021 bis zum 17.08.2021 lagen 11 Arbeitstage. Urlaubsbedingte Abwesenheit während dieser Zeit war also grundsätzlich möglich. Diese Möglichkeit scheiterte jedenfalls nicht an einem fehlenden Urlaubsanspruch, dessen Annahme mithin, entgegen der Auffassung der Arbeitgeberin, weder “unlogisch” noch “wirres Zeug” ist.

Das Fehlen einer einschlägigen, dem Schlosserhelfer tatsächlich zugegangenen Abmahnung führt nach dem Vorgesagten bereits dazu, dass die zugunsten der Arbeitgeberin angenommene Arbeitsverweigerung nicht beharrlich war. Erst recht wäre die Abmahnung im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung als milderes Mittel zu erkennen und zu ergreifen gewesen. Damit stellt sich die Kündigung als unverhältnismäßig und auch aus diesem Grunde als unwirksam dar.

Eine Revision zu diesem Urteil wurde nicht zugelassen.