Konsultationspflicht des Betriebsrats bei Massenentlassungen
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 21.03.2013, Aktenzeichen 2 AZR 60/12 (Parallelentscheidungen: 2 AZR 61/12, 2 AZR 62/12, 2 AZR 63/12, 2 AZR 64/12, 2 AZR 65/12, 2 AZR 66/12, 2 AZR 67/12, 2 AZR 70/12, 2 AZR 71/12, 2 AZR 72/12)
Fehlt das erforderliche Konsultationsverfahren mit dem Betriebsrat, sowie eine ordentliche Anzeige der Massenentlassungen, sind die betriebsbedingten Kündigungen unwirksam.
Eine Arbeitgeberin beabsichtigte, das Unternehmen einzustellen und allen 36 verbliebenen Arbeitnehmern betriebsbedingt zu kündigen, da der einzige Auftraggeber des Unternehmens gekündigt habe. Der Betriebsrat wurde über die betriebsbedingten Kündigungen informiert, erhielt jedoch keine Möglichkeit mit der Arbeitgeberin darüber zu beraten, wie die Entlassungen vermieden bzw. deren Folgen vermindert werden können.
Die gleichzeitige Übergabe sämtlicher Anhörungsbögen habe der Betriebsrat mangels näherer Erläuterung nur als Einleitung des Verfahrens nach § 102 BetrVG und nicht auch des Verfahrens nach § 17 Abs. 2 KSchG verstehen können.
Die vom Betriebsrat erklärten Widersprüche im Rahmen der Anhörung nach § 102 BetrVG enthielten die Auffassung des Betriebsrats, dass er für die Arbeitnehmer anderweitige Beschäftigungsmöglichkeiten sehe und die Entlassungen für vermeidbar halte. Das Widerspruchsschreiben enthielt jedoch keine Anhaltspunkte, dass die Stellungnahme des Betriebsrats das Ergebnis von Beratungen gem. § 17 Abs. 2 Satz 2 KSchG gewesen wäre.
In der Vorinstanz gelangte das Landesarbeitsgericht Düsseldorf (Urteil vom 08.November 2011, Aktenzeichen 17 Sa 512/11) zu der Auffassung, mit der Übergabe sämtlicher Anhörungsbögen käme nicht zum Ausdruck, dass damit das nach § 17 Abs. 2 KschG erforderliche Konsultationsverfahren verbunden sein soll. Ohne Konsultation des Betriebsrats zu den geplanten Massenentlassungen könnten keine Kündigungen ausgesprochen werden.
Das BAG erläutert dazu:
§ 17 Abs. 2 KSchG ist ein Verbotsgesetz iSv. § 134 BGB…
Mit Blick auf diesen Gesetzeszweck ist § 17 Abs. 2 KSchG als gesetzliches Verbot zu verstehen, Kündigungen vor Durchführung des Konsultationsverfahrens auszusprechen.
Für die Arbeitgeberin ist es also unerlässlich, vor Massenentlassungen den Betriebsrat zu konsultieren. Zweck dieser Regelung ist es, Möglichkeiten zu erkunden die Massenentlassungen vermeiden oder beschränken, sowie deren Folgen durch soziale Maßnahmen mildern.
Die Arbeitgeberin habe auch nicht die vorgeschriebene Frist von zwei Wochen zwischen der Information des Betriebsrats und der Anzeige bei der Agentur für Arbeit eingehalten.
Das BAG schließt nicht aus, das Anzeigeverfahren an die Agentur für Arbeit bereits vor Beendigung der Konsultationen des Betriebsrats durchzuführen. Dann müsste in der Anzeige dargelegt werden, dass die Konsultationen des Betriebsrats nicht abgeschlossen sind.
Kündigungserklärungen dürften erst nach der Anzeige und Abschluss der Konsultationen des Betriebsrats ausgesprochen werden.
Die Rechtsprechung will ausschließen, dass Kündigungen ausgesprochen werden, bevor die Konsultationen mit dem Betriebsrat abgeschlossen sind. Der Betriebsrat soll nicht einfach vor vollendete Tatsachen gestellt werden. Den Betriebsratsmitgliedern würde es deutlich schwerer fallen, bereits ausgesprochene Kündigungen während der Konsultationen rückgängig machen zu lassen. Das Amt für Arbeit wird hingegen mit einer frühzeitigen Anzeige in die Lage versetzt, die Folgen der Massenentlassungen rechtzeitig zu mildern.
Die von der Arbeitgeberin übermittelte Anzeige genüge nicht den Anforderungen nach § 17 Abs. 3 Satz 2 und Satz 3 KschG, da die Stellungnahme des Betriebsrates nicht beigefügt war. Auch sonst erfülle die Anzeige nicht die gesetzlichen Anforderungen von § 17 Abs. 3 Satz 3 des Kündigungsschutzgesetzes. Dieser Umstand alleine führe laut BAG bereits gem. § 134 BGB zu einer Unwirksamkeit der Kündigungen.
Die Unwirksamkeit der Anzeige würde nicht von der bereits erfolgten Bestätigung der Anzeige durch die Agentur für Arbeit berührt. Die Mitteilung der Agentur für Arbeit, dass die Entlassungen wie geplant vorgenommen werden können, sei keine Entscheidung mit bindender Wirkung. Hier handele es sich lediglich um eine Auskunft über die Bewertung der Massenentlassungsanzeige und deren gesetzlichen Rechtsfolgen.
Die Übermittlung der Stellungnahme des Betriebsrats sei nur dann nicht erforderlich, wenn im Rahmen des Interessenausgleichs eine Namensliste gem. § 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG der Anzeige beigefügt wird.
Die vom Betriebsrat eingelegten Widersprüche gegen die beabsichtigten Entlassungen stellen keine Stellungnahme nach dem KschG dar, erläutert das BAG. Eine Stellungnahme müsste sich auf das Ergebnis der Beratungen zwischen Arbeitgeberin und Betriebsrat beziehen. Aus der Stellungnahme müsste ersichtlich sein, dass soziale Maßnahmen mit dem Betriebsrat besprochen und eventuell vereinbart wurden und welche Möglichkeiten der Betriebsrat sieht, die Massenentlassungen zu vermeiden oder zu minimieren.
Basierend auf den genannten Argumenten des BAG waren die Kündigungen wirkungslos. Diese Wirkungslosigkeit bestand bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens.