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Betriebsübergreifende Versetzung eines Mandatsträgers

Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats zu einer Versetzung

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 27.07.2016, Aktenzeichen 7 ABR 55/14

Die betriebsübergreifende Versetzung eines Mandatsträgers bedarf der Zustimmung des Betriebsrats.

Ein technischer Angestellter ist in der IT-Abteilung einer Niederlassung der Arbeitgeberin beschäftigt. Der als Schwerbehinderter anerkannte Angestellte wurde zur Vertrauensperson für schwerbehinderte Menschen gewählt. Bei Einleitung des Beschlussverfahrens war der Angestellte Ersatzmitglied des Betriebsrats. Später wurde er in den Betriebsrat gewählt.

Im Arbeitsvertrag des Angestellten ist geregelt, dass dem Mitarbeiter eine andere Arbeitsstelle innerhalb des Unternehmens bzw. in anderen Unternehmen innerhalb des Konzerns zugewiesen werden kann.

In einem Interessenausgleich mit dem Betriebsrat wurde festgelegt, dass der Geschäftsbereich, dem der Angestellte angehört, reorganisiert wird. Unter anderem sei der Bereich IT an einen anderen Ort, dem Sitz der Unternehmenszentrale, zu verlagern. Es seien neue Aufgabenfelder, Zuständigkeiten und Organisationsstrukturen zu schaffen. Der Angestellte wurde in der Anlage zum Interessenausgleich namentlich aufgeführt.

Bei Abschluss des Interessenausgleiches waren in der IT-Abteilung neben dem Angestellten der Betriebsratsvorsitzende und 1 weiterer Mitarbeiter beschäftigt. Der Betriebsratsvorsitzende wurde innerhalb der Niederlassung in eine andere Abteilung versetzt. Das Arbeitsverhältnis mit dem weiteren Mitarbeiter wurde beendet.

Nach einer längeren mehrmonatigen Arbeitsunfähigkeit des Angestellten verhandelte die Arbeitgeberin mit ihm erfolglos über die Fortsetzung seiner Tätigkeit in der Unternehmenszentrale oder eine einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses. In dieser Zeit wurde der Angestellte zunächst nicht beschäftigt.

Nachdem der Angestellte seinen Beschäftigungsanspruch geltend machte, versetzte die Arbeitgeberin ihn befristet, für etwas mehr als 6 Monate in die Unternehmenszentrale. Die Arbeitgeberin bat zuvor den Betriebsrat um Zustimmung zur befristeten Versetzung. Der Betriebsrat verweigerte seine Zustimmung. Das Arbeitsgericht wies den Antrag der Arbeitgeberin ab. Vor dem Landesarbeitsgericht erledigte sich der Antrag, da die Zeit für die beabsichtigte befristete Versetzung bereits abgelaufen war.

Die Arbeitgeberin unterrichtete dann den Betriebsrat, dass der Angestellte unbefristet als IT-Sachbearbeiter am Standort der Unternehmenszentrale beschäftigt werden soll und bat um Zustimmung des Betriebsrats zur beabsichtigten Versetzung. Die Maßnahme sei aus sachlichen Gründen dringend erforderlich. Der Betriebsrat verweigerte seine Zustimmung zur geplanten Versetzung und bestritt, dass die Versetzung aus sachlichen Gründen dringend notwendig sei.

Die Arbeitgeberin leitete daraufhin beim Arbeitsgericht ein Beschlussverfahren ein und beantragte, die Zustimmung des Betriebsrats zur unbefristeten Versetzung des Angestellten zu ersetzen. Die Arbeitgeberin habe eine unternehmerische Organisationsentscheidung getroffen, die Abteilung vollständig am Sitz der Unternehmenszentrale zu zentralisieren. Durch die Schließung der IT-Abteilung in der Niederlassung sei jede Beschäftigungsmöglichkeit für den Angestellten entfallen. Das ergebe sich auch aus seiner namentlichen Nennung im Interessenausgleich. Damit liege auch unter Berücksichtigung von § 1 Absatz 2 in Verbindung mit Absatz 5 KSchG (Kündigungsschutzgesetz) ein dringender betrieblicher Grund für die Versetzung des Angestellten im Sinne von § 103 Absatz 3 BetrVG (Betriebsverfassungsgesetz) vor.

Es sei erforderlich, den Angestellten in das IT-Team am Ort der Firmenzentrale einzubinden. Es bestehe die Notwendigkeit der Zusammenarbeit mit anderen Fachabteilungen und unerlässlicher persönlicher Gespräche. Nicht digitalisierte Unterlagen und Dokumentationen seien ausschließlich am Standort der Firmenzentrale vorhanden. All diese Umstände machten eine Tätigkeit des Angestellten in der Niederlassung unmöglich. Geschäftsführung und zweite Führungsebene in der Firmenzentrale seien zudem auf eine unmittelbare Zusammenarbeit mit der IT-Abteilung und persönliche Betreuung vor Ort angewiesen. Es bestünden für den Angestellten keine anderweitigen Beschäftigungsmöglichkeiten in der Niederlassung.

Die Arbeitgeberin beantragte, die Zustimmung des Betriebsrats zur beabsichtigten Versetzung des Angestellten zu ersetzen. Der Betriebsrat und der Angestellte beantragten die Antragsabweisung. Aus dem Interessenausgleich ergebe sich nicht, dass der Angestellte zur Unternehmenszentrale zu versetzen sei. Der Angestellte könne aufgrund der unternehmensweiten Vernetzung problemlos in der Niederlassung arbeiten. Er könne zu Besprechungen zum Sitz der Unternehmenszentrale fahren. Es sei nicht notwendig am Sitz der Zentrale vollschichtig zu arbeiten.

Aus der Organisation der Unternehmenszentrale ergebe sich, dass nicht ständig sämtliche Mitarbeiter der IT-Abteilung vor Ort seien. Der Angestellte sei wegen seiner Ausbildung zum Datenverarbeitungskaufmann auch im Bereich des Zählermanagements der Niederlassung einsetzbar. Das Interesse des Angestellten an der Weiterbeschäftigung in der Niederlassung überwiege das Interesse der Arbeitgeberin an seiner Versetzung zum Standort der Unternehmenszentrale, insbesondere auch in seiner Funktion als Gesamtschwerbehindertenvertreter.

Das Arbeitsgericht wies den Antrag zur Ersetzung der Zustimmung ab. Das Landesarbeitsgericht (LAG) wies die Beschwerde der Arbeitgeberin zurück. Mit ihrer Rechtsbeschwerde vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) verfolgte die Arbeitgeberin ihren Antrag zur Ersetzung der Zustimmung weiter.

Das BAG hob die Entscheidung des LAG auf. Mit der vom LAG gegebenen Begründung könne der Antrag nicht abgewiesen werden. Es bedürfe der Feststellung weiterer Tatsachen.

Führe die Versetzung zu einem Verlust des Amtes oder der Wählbarkeit bedürfe sie nach § 103 Absatz 3 Satz 1 BetrVG der Zustimmung des Betriebsrats, vorausgesetzt die betroffene Person ist mit der Versetzung nicht einverstanden ist.

Für den Angestellten gelte in seiner Funktion als Vertrauensperson für schwerbehinderte Menschen und seiner Funktion als Betriebsrat der persönliche Anwendungsbereich von § 103 Absatz 3 Satz 1 Absatz 1 BetrVG. Im Falle einer Versetzung verlöre er sein Mandat als Vertrauensperson für schwerbehinderte Menschen. Die gleiche Rechtsfolge ergebe sich aus § 24 Nummer 4 BetrVG für das Mandat des Betriebsrats. Zudem ist der Angestellte mit seiner Versetzung nicht einverstanden.

Das BAG könne jedoch aufgrund der bisher vom LAG getroffenen Tatsachenfeststellungen nicht entscheiden, ob der Zustimmungsantrag begründet sei. Der Betriebsrat wurde zur beabsichtigten Versetzung in gebotenem Umfang unterrichtet und das Zustimmungsverfahren wurde ordnungsgemäß eingeleitet.

Bei der Versetzung von Amtsträgern habe die Arbeitgeberin unter Vorlage der erforderlichen Urkunden zu unterrichten. Der Betriebsrat sei in die Lage zu versetzen anhand der mitgeteilten Tatsachen zu prüfen, ob ein Zustimmungsverweigerungsgrund vorhanden sei.

Entgegen der Beurteilung des Landesarbeitsgerichts sei der Antrag der Arbeitgeberin begründet. Die Zustimmung des Betriebsrats zur Versetzung eines Mandatsträgers könne ersetzt werden, wenn die Versetzung unter Berücksichtigung der betriebsverfassungsrechtlichen Stellung des Betroffenen aus dringenden betrieblichen Gründen notwendig ist.

Es handele sich um einen dringenden betrieblichen Grund, wenn die Arbeitskraft des Mandatsträgers im Beschäftigungsbetrieb nicht mehr gefordert sei. Die unternehmerische Entscheidung zur Umorganisierung sei bis zur Grenze der offensichtlichen Unsachlichkeit, Unvernunft oder Willkür frei.

Die Arbeitgeberin sei wegen der Schutzfunktion von § 103 Absatz 3 BetrVG jedoch in besonderem Maße verpflichtet, die Versetzung möglichst durch andere Maßnahmen zu vermeiden. Bestehe eine zumutbare Möglichkeit, den Mandatsträger im Ursprungsbetrieb sinnvoll zu beschäftigen, werde sie diesen in der Regel weiter entsprechend einzusetzen haben. Erst wenn alle denkbaren Alternativen ausschieden, könne die Versetzung aus dringenden betrieblichen Gründen notwendig sein. Die Arbeitgeberin müsse jedoch keine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit neu schaffen, um eine Versetzung zu vermeiden. Die Organisationsentscheidung müsse auch nicht mit dem Ziel modifiziert werden, den Arbeitsplatz des Mandatsträgers zu erhalten.

Die Versetzung müsse die kollektiven Interessen der Belegschaft an der Kontinuität der Amtsführung gegenüber den betrieblichen Interessen der Arbeitgeberin abwägen. Die individuellen Interessen des Mandatsträgers seien in die Abwägung einzubeziehen. Sei die Versetzung schon individual-rechtlich unzulässig oder aus anderen Gründen unwirksam, werde regelmäßig kein überwiegendes Interesse der Arbeitgeberin an der Versetzung vorliegen.

Die Entscheidung des LAG lasse nicht erkennen, dass der zentrale Vortrag der Arbeitgeberin zur Erforderlichkeit der Beschäftigung des Angestellten berücksichtigt wurde. Es habe keine Auseinandersetzung mit einzelnen Aussagen der Arbeitgeberin stattgefunden, wie etwa, dass die IT-Tätigkeit nicht von der Niederlassung aus durchgeführt werden könne. Das LAG habe nicht erläutert, wie unter Berücksichtigung der von der Arbeitgeberin getroffenen Organisationsentscheidung ohne deren Modifizierung, die Arbeitstätigkeit des Angestellten in der Niederlassung gestaltet werden sollte.

Das  Verfahren nach § 103 Absatz 3 BetrVG gehe für die Versetzung eines Mandatsträgers vor das Beteiligungsverfahren nach § 99 Absatz 1 und Absatz 4 BetrVG. Für diesen Fall sei nur das Zustimmungsverfahren nach § 103 Absatz 3 BetrVG durchzuführen. Der Betriebsrat könne dann seine Zustimmung auch unter Berücksichtigung der Gründe in § 99 Absatz 2 BetrVG verweigern.

Der Versetzungsschutz sei in § 103 BetrVG weiter ausgestaltet als im Verfahren nach § 99 BetrVG, da die Verweigerung der nach § 103 Absatz 3 BetrVG erforderlichen Zustimmung an keinen besonderen Grund gebunden sei. Durch § 103 Absatz 3 BetrVG soll vor allem verhindert werden, dass die Arbeitgeberin durch betriebsübergreifende Versetzungen auf die betriebsverfassungsrechtliche Stellung Einfluss nehmen oder die Unabhängigkeit der Amtsführung beeinflussen könne.

Die Auslegung des Formulararbeitsvertrags des Angestellten ergebe, dass sein Einsatzort nicht vertraglich festgelegt sei. Fehle es an einer Festlegung des Inhalts oder des Orts der Leistungspflicht im Arbeitsvertrag, ergebe sich der Umfang der Weisungsrechte der Arbeitgeberin aus § 106 GewO (Gewerbeordnung).

Es ergebe sich aus dem Arbeitsvertrag zwar zunächst eine Festlegung der regelmäßigen Arbeitsstätte im Verwaltungsgebäude in der Niederlassung. Die Parteien hätten aber vereinbart, dass dem Angestellten grundsätzlich auch eine andere Arbeitsstätte im Tätigkeitsbereich des Unternehmens bzw. bei anderen Unternehmen des Konzerns zugewiesen werden könne. Damit hätten die Parteien klargestellt, dass § 106 Satz 1 GewO gelten und eine Versetzungsbefugnis an einen anderen Arbeitsort bestehen soll.

Das Landesarbeitsgericht (LAG) werde unter Beachtung der dargestellten rechtlichen Grundsätze und unter Berücksichtigung des übergangenen Vorbringens der Arbeitgeberin erneut zu prüfen haben, ob die Versetzung des Angestellten gemäß § 103 Absatz 3 Satz 2 BetrVG auch unter Berücksichtigung seiner betriebsverfassungsrechtlichen Stellung aus dringenden betrieblichen Gründen notwendig sei.

Das LAG werde gegebenenfalls aufzuklären haben, ob das behauptete unternehmerische Konzept tatsächlich durchgeführt werde und ob es aus sich heraus einen Wegfall des Arbeitsplatzes des Angestellten innerhalb der IT-Abteilung der Niederlassung mit sich bringe. Soweit die Arbeitsplätze innerhalb der IT-Abteilung in der Niederlassung entfallen sein sollten, werde das Landesarbeitsgericht eine Abwägung der betrieblichen Belange und der Belegschaftsinteressen an der Amtskontinuität vorzunehmen haben.

Gegebenenfalls werde das LAG zu prüfen haben, ob die beabsichtigte Versetzung auch unter Berücksichtigung der Verpflichtungen nach § 81 Abs. 4 SGB IX (Sozialgesetzbuch Nr. 9) und den berechtigten persönlichen Belangen des Angestellten der gebotenen Ausübungskontrolle am Maßstab von § 106 GewO sowie § 315 Absatz 3 Satz 1 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) standhalte.

Das Verfahren wurde zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LAG zurück verwiesen.