BLOG RECHTSPRECHUNG

Dienstvertrag oder Arbeitnehmerüberlassung

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20.09.2016, Aktenzeichen 9 AZR 735/15

Die Arbeitnehmerüberlassung ist dadurch gekennzeichnet, dass Arbeitskräfte zur Verfügung gestellt, in den Betrieb des Entleihers eingegliedert werden und Arbeiten nach dessen Interesse und seinen Anweisungen ausführen.

Aufgrund eines Werk- oder Dienstvertrages wird hingegen der Unternehmer für einen anderen tätig, er bleibt für das geschuldete Werk verantwortlich, die eingesetzten Arbeitskräfte unterliegen seinen Weisungen. Ein Museum wird von einer öffentlich, rechtlichen Stiftung betrieben. Leistungen für den Bereich Besucherservice werden an externe Dienstleister vergeben. Die Aufgaben des externen Dienstleisters wurden in einer als „Dienstleistungsvertrag“ bezeichneten Vereinbarung geregelt. Im Unternehmen des externen Dienstleisters wurde für das Projekt Besucherservice im Jahr 2004 unter anderen eine gewerbliche Mitarbeiterin in Teilzeit angestellt. Die gewerbliche Mitarbeiterin hatte Besuchergruppen oder einzelne Besucher im Museum zu betreuen.

Die gewerbliche Mitarbeiterin wurde im Jahr 2010 im Betrieb der externen Dienstleisterin Mitglied des Betriebsrats. Für den Zeitraum von etwas mehr als einem Jahr war die gewerbliche Mitarbeiterin wegen Mutterschutz und anschließender Elternzeit von ihrer Tätigkeit befreit. Einige Tage nach dem Ende der Elternzeit, im Januar 2014, machte sie erfolglos gegenüber der öffentlichen Stiftung geltend, dass ein unbefristetes Arbeitsverhältnis bestehe. Ein halbes Jahr später wurde die gewerbliche Mitarbeiterin von der externen Dienstleisterin nicht mehr im Museum eingesetzt.

Mehr als ein Jahr nach erfolgloser Geltendmachung erklärte die öffentliche Stiftung die Kündigung des behaupteten Arbeitsverhältnisses zum Ende des übernächsten Monats, hilfsweise zum nächstmöglichen Termin. Die gewerbliche Mitarbeiterin legte daraufhin eine Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht ein. Dieser Rechtsstreit ruhte zum Zeitpunkt des vorliegenden Verfahrens.

Die gewerbliche Mitarbeiterin vertrat die Ansicht, ihre Arbeitgeberin habe sie spätestens seit Anfang 2010 ohne Erlaubnis als Arbeitnehmerin der öffentlichen Stiftung überlassen. Sie habe den Weisungen von Mitarbeitern der öffentlichen Stiftung unterstanden. Soweit sie den Weisungen von Mitarbeitern ihrer Arbeitgeberin unterstand, wären diese lediglich als Vertreter von Mitarbeitern der öffentlichen Stiftung tätig geworden.

Nachdem die gewerbliche Mitarbeiterin Auskunft von der öffentlichen Stiftung über die für einen vergleichbaren Arbeitnehmer geltenden wesentlichen Arbeitsbedingungen begehrte, wurde in der Berufungsinstanz der Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt. Die gewerbliche Mitarbeiterin beantragte beim Arbeitsgericht nur noch die Feststellung, dass zwischen den Parteien seit Anfang 2010 ein unbefristetes Arbeitsverhältnis bestehe.

Die öffentliche Stiftung erwiderte, die Verträge für den Besucherservice seien nicht auf die Überlassung von Arbeitnehmern, sondern die Erbringung von Dienstleistungen ausgerichtet. Die gewerbliche Mitarbeiterin habe disziplinarisch und fachlich ausschließlich den Mitarbeitern der externen Dienstleisterin unterstanden. Das Recht sich auf das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses zu berufen habe die gewerbliche Mitarbeiterin verwirkt und übe es treuewidrig aus.

Das Arbeitsgericht wies die Klage ab. Das Landesarbeitsgericht (LAG) wies die Berufung zurück. Mit ihrer Revision vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) verfolgte die gewerbliche Mitarbeiterin ihren Antrag weiter.

Das BAG entschied, mit vom LAG erteilten Begründung durfte die Berufung nicht abgewiesen werden.

Die anhängige Kündigungsschutzklage zum Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses stehe unter dem Gesichtspunkt der doppelten Rechtshängigkeit einer Entscheidung des Senats nicht entgegen. Unabhängig davon, dass allenfalls von einer Teilidentität der Streitgegenstände auszugehen sei, war die hiesige Streitsache zu dem Zeitpunkt, zu dem die gewerbliche Mitarbeiterin Kündigungsschutzklage erhob, bereits rechtshängig. § 261 ZPO (Zivilprozessordnung) berühre daher den vorliegenden Rechtsstreit nicht.

Fehlt die Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung oder ist die Überlassung unwirksam, wird mit § 10 Absatz 1 Satz 1 AÜG (Arbeitnehmerüberlassungsgesetz) das Zustandekommen eines Arbeitsverhältnisses unterstellt. Der Vertrag zur Arbeitnehmerüberlassung enthalte zwingend die Verpflichtung des Verleihers, dem Entleiher Arbeitskräfte zur Verfügung zu stellen. Eine Überlassung zur Arbeitsleistung im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 AÜG liege vor, wenn einem Entleiher Arbeitskräfte zur Verfügung gestellt werden, die in dessen Betrieb eingegliedert sind und ihre Arbeit nach Weisungen des Entleihers und in dessen Interesse ausführen. Die Vertragspflicht des Verleihers gegenüber dem Entleiher ende, wenn er den Arbeitnehmer ausgewählt und ihn dem Entleiher zur Verfügung gestellt hat.

Werde hingegen ein Unternehmer für einen anderen Unternehmer tätig, so könne dies vertraglich mit einem Dienst- oder Werkvertrag abgesichert werden. Der beauftragte Unternehmer organisiert die für den vertraglichen Erfolg notwendigen Handlungen selbständig und bleibt für die gesamte Vertragserfüllung verantwortlich. Die eingesetzten Arbeitnehmer bleiben unter den Weisungen des beauftragten Unternehmers. Sie sind seine Erfüllungsgehilfen. Der Werkbesteller könne jedoch dem Werkunternehmer oder dessen Erfüllungsgehilfen Anweisungen zur Ausführung des Werks erteilen.

Ob der Vertrag als Arbeitnehmerüberlassung oder Werks- bzw. Dienstvertrag einzuordnen ist, entscheide ausschließlich der Geschäftsinhalt, nicht etwa eine Bezeichnung, die dem tatsächlichen Geschäftsinhalt nicht entspreche. Die Schutzvorschriften des AÜG könnten nicht durch eine unzutreffende Vertragsbezeichnung außer Kraft gesetzt werden.

Das LAG habe zu Unrecht angenommen, es komme nicht auf den Inhalt der Verträge an. Die tatsächliche Rechtsbeziehung zwischen Vertragsarbeitgeber und dem Dritten sei anhand der ausdrücklichen Vereinbarungen sowie unter der praktischen Durchführung des Vertrages zu bestimmen.

Die Hilfsbegründung des LAG, der zwischen den Parteien geschlossene Vertrag spreche gegen die Annahme, die gewerbliche Mitarbeiterin sei zur Arbeitsleistung überlassen worden, sei mit wesentlichen Auslegungsgrundsätzen nicht zu vereinbaren. Wesentliche Vertragsbestimmungen belegten, dass kein Dienstvertrag, sondern ein Vertrag zur Überlassung von Arbeitnehmern abgeschlossen wurde.

In der Leistungsbeschreibung als Anlage zum Vertrag sei unter anderem geregelt, dass Mitarbeiter des Besucherdienstes der öffentlichen Stiftung gegenüber Mitarbeitern des beauftragten Unternehmens weisungsbefugt sind. Das Weisungsrecht sei weder sachlich noch zeitlich eingeschränkt. Die Übertragung eines umfassenden Weisungsrechts auf einen Dritten, in diesem Fall auf die öffentliche Stiftung, sei geradezu kennzeichnend für einen auf Arbeitnehmerüberlassung ausgerichteten Vertrag. Dieses Weisungsrecht ermögliche den Entleiher, den Leiharbeitnehmer so einzusetzen, als stände dieser zu ihm in einem arbeitsvertraglichen Verhältnis.

Die Inhalte von Dienstanweisungen der öffentlichen Stiftung seien nicht erheblich für diese Entscheidung des BAG, da die gewerbliche Mitarbeiterin zumindest zeitweise zu einem Zeitraum als Arbeitnehmerin überlassen wurde, als das beauftragte Unternehmen keine Überlassungserlaubnis besaß.

Im Vertrag zur Ausübung des Besucherservices wurde die Verpflichtung formuliert, das gestellte Personal sei verpflichtet, an Schulungen und Einweisungen der öffentlichen Stiftung teilzunehmen.
Es sei für die Arbeitnehmerüberlassung kennzeichnend, dass Personal „gestellt“ werde. Die Formulierung spreche nicht für einen Dienstvertrag. Die Zuweisung von Schulungsmaßnahmen sowie deren Durchführung und Finanzierung durch das beauftragende Unternehmen sei für einen Dienstvertrag ungewöhnlich. Es sei für Dienstverträge üblich, dass das beauftragte Unternehmen seine Mitarbeiter schule.

Die öffentliche Stiftung machte geltend, den mit dem Vertrag befassten Mitarbeiter sei es wegen der Vielzahl ihrer Aufgaben unmöglich gewesen, die Tätigkeit der gewerblichen Angestellten und ihrer Kollegen durch Weisungen näher zu bestimmen. Das BAG führte aus, es sei unwesentlich, ob eine Vertragspartei basierend auf eigenen Organisationsentscheidungen nicht in der Lage sei, die eingeräumten Vertragsrechte tatsächlich auszuüben.

Die gewerbliche Mitarbeiterin verhalte sich nicht widersprüchlich, indem sie geltend mache, es bestehe bereits seit Beginn 2010 ein Arbeitsverhältnis. Selbst wenn man zugunsten der öffentlichen Stiftung unterstellt, die gewerbliche Mitarbeiterin habe für die Monate März bis Mai 2014 bei der zuständigen Agentur für Arbeit einen Antrag auf Insolvenzgeld gestellt und einem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses auf das Nachfolgeunternehmen widersprochen, habe sie hierdurch nicht den Eindruck erweckt, sie werde gegenüber der öffentlichen Stiftung ein Arbeitsverhältnis nicht geltend machen. Bereits vor dem Leistungszeitraum respektive vor dem Widerspruch nach § 613a Absatz 6 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) habe die gewerbliche Mitarbeiterin mit Schreiben vom 28. Januar 2014 die öffentliche Stiftung darüber in Kenntnis gesetzt, ihrer Rechtsansicht nach bestehe zwischen den Parteien ein Arbeitsverhältnis.

Zur endgültigen Entscheidung sei vom LAG zu prüfen, mit welcher Wochenstundenzahl das Arbeitsverhältnis bestehe. Es sei auch zu berücksichtigen, dass die öffentliche Stiftung das Arbeitsverhältnis vorsorglich gekündigt habe. Für den Zeitraum nach dem Kündigungstermin sei das anhängige Verfahren zum Kündigungsrechtstreit vorrangig. Das Landesarbeitsgericht (LAG) habe keinerlei Feststellungen hinsichtlich des Umfangs getroffen, in dem das beauftragte Unternehmen der öffentlichen Stiftung die gewerbliche Mitarbeiterin zur Arbeitsleistung tatsächlich überlassen habe.

Das Verfahren wurde zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LAG zurückverwiesen.