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Auflösung mit Abfindung nach Kündigungsschutzklage

Arbeitsgericht Berlin, Urteil vom 13.01.2016, Aktenzeichen 28 Ca 3744/16

Wird ein Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Arbeitgeberin nicht aufgelöst, dem Arbeitnehmer ist jedoch die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr zumutbar, so ist das Arbeitsverhältnis auf Antrag des Arbeitnehmers unter Berücksichtigung einer angemessenen Abfindung aufzulösen.

Wird das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst, muss gleichzeitig über den Antrag des Arbeitnehmers zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses mit Abfindung, eventuell als Teilurteil, entschieden werden. Eine Beschäftigte legte gegen ihre Kündigung Kündigungsschutzklage ein. Im Laufe des Verfahrens wurde mit einem Teilurteil festgestellt, die Kündigung sei sozial nicht gerechtfertigt. Die Beschäftigte hielt es jedoch für unzumutbar, das Arbeitsverhältnis weiter aufrecht zu erhalten. Deshalb beantragte sie noch während des Verfahrens die Auflösung des Arbeitsverhältnisses nach § 9 Absatz 1 KschG (Kündigungsschutzgesetz) in Verbindung mit der Zahlung einer angemessenen Abfindung.

Der Geschäftsführer habe sich gegenüber der Beschäftigten grob fehlerhaft und schikanös verhalten, indem er eine mündliche Kündigung aussprach, in Kenntnis, dass eine mündliche Kündigung unwirksam ist. Anschließend habe sie der Geschäftsführer vorgeführt und eine Verdachtskündigung offensichtlich konstruiert. Das fortgesetzte schikanöse Verhalten des Geschäftsführers ihr gegenüber zeige, dass mit einer gedeihlichen Zusammenarbeit nicht mehr zu rechnen sei. Es sei zu befürchten, dass ihr die Arbeitgeberin bei etwaiger zukünftiger Zusammenarbeit weiterhin konstruierte arbeitsvertragliche Verfehlungen vorwerfen würde. Sie fühle sich jedenfalls ausspioniert und überwacht.

Die Beschäftigte beantragte, das Arbeitsverhältnis unter Zahlung einer angemessenen Abfindung aufzulösen.

Die Arbeitgeberin beantragte die Zurückweisung des Auflösungsantrages. Die Beschäftigte hätte nicht einmal im Ansatz substanziiert begründet, warum die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zumutbar sei. Es sei eher davon auszugehen, dass sich die Beschäftigte wegen einer neuen Arbeitsstelle lösen wolle. Die Arbeitgeberin habe nur den außergerichtlich angebotenen Abfindungsvergleich abgelehnt. Daraus folge jedoch keine Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses im Sinne von § 9 Absatz 1 Satz 1 KschG.

Das Arbeitsgericht entsprach dem Auflösungsantrag.

Stelle das Gericht fest, das Arbeitsverhältnis sei durch die Kündigung nicht aufgelöst, habe es zugleich über den Antrag auf Auflösung und Abfindung zu entscheiden. Es bestehe im vorliegenden Verfahren keine sogenannte Aussetzungslage, weil etwa zunächst der Ausgang des Berufungsverfahrens gegen das Teilurteil zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses abgewartet werden müsse. Der Grund für eine Aussetzung liege nur dann vor, wenn die Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen verhindert werden soll.

Kündigungsschutz- und Auflösungsantrag seien Haupt- und Hilfsanträge, die kein einheitliches Ganzes bilden. Im Kündigungsschutzprozess sei die Frage zu klären, ob aus Anlass einer bestimmten Kündigung das Arbeitsverhältnis aufgelöst worden ist. Der Auflösungsantrag hingegen sei auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Gestaltungsurteil gegen Zahlung einer Abfindung gerichtet. Für die gerichtliche Auflösung kämen zudem Gründe in Betracht, die erst nach dem Ausspruch der Kündigung entstanden sind.

Der Kündigungsschutzprozess wandle sich nicht in einen Auflösungsprozess. Es diene dem Beschleunigungsgebot, ein Teilurteil dann auszusprechen, wenn es entscheidungsreif sei.

Für die Auflösung des Arbeitsverhältnisses müssten Verhältnisse vorliegen, die eine Weiterbeschäftigung unzumutbar erscheinen lassen. Die Unzumutbarkeit sei bereits dann gegeben, wenn ein Kündigungsversuch durch die Arbeitgeberin vorliege. Der Kündigungsversuch könne dem Arbeitnehmer signalisieren, dass seine Zeit abgelaufen sei und die Arbeitgeberin die nächstbeste Gelegenheit zur Trennung nutzen werde. Im rechtlichen Sinne sei der Beschäftigten die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit der Arbeitgeberin nicht zumutbar gewesen.

Der Geschäftsführer der Arbeitgeberin meinte, die Beschäftigte habe sich mit ihrer Ex-Kollegin in abfälliger Weise über ihn geäußert. Er habe die Beschäftigte zur Rede gestellt und ihr Arbeitsverhältnis durch sofortige Entlassung an Ort und Stelle beendet.
Nach Einholung rechtlicher Expertise und vermutlich intensiven Recherchen ließ er die Beschäftigte wissen, dass ihre der damaligen Kollegin anvertrauten Worte den Tatbestand einer Beleidigung im Sinne von § 185 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) darstellten. Nach seinen Eindrücken habe sie sich der Bestechlichkeit und Unterschlagung bzw. Untreue zulasten des Unternehmens schuldig gemacht und wiederholt Arbeitszeitbetrug begangen. Mit diesen Vorwürfen belegte die Arbeitgeberin die Beschäftigte monatelang im Kündigungsschutzprozess. Weiterhin warf sie der Beschäftigten vor, schlicht gelogen und mit zahlreichen Lügen agiert zu haben. Die Arbeitgeberin bemühte sich seither bei Gericht die Bestätigung zu bekommen, dass ihr die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses objektiv nicht zumutbar sei.

Dieses Verhalten seitens der Arbeitgeberin sei im Nachhinein nicht wieder gutzumachen. Es sei auch nicht aus der Welt zu schaffen, dass der Geschäftsführer die Beschäftigte abrupt und wenn es nach ihm ginge, endgültig aus dem betrieblichen Sozialgeschehen ausgeschaltet habe. Ein derartiger Eklat könne die Zielperson für eine nicht absehbare Zeitspanne traumatisieren und durch seinen Kränkungswert die physische Integrität der Beschäftigten gefährden.

Die Befürchtung der Beschäftigten sei nachvollziehbar, ihr fehle die Kraft zu glauben, dass sie nach ihrer Rückkehr in den Präsenzbereich des Geschäftsführers ein Arbeitsumfeld, in dem Wohlwollen und Vertrauen vorherrschten, vorfinde. Das sei besonders bedeutsam, da sie dort sehr erhebliche Teile ihrer Lebenszeit zu verbringen hätte.

Nach dem Trennungsgeschehen habe der Geschäftsführer Material gesammelt, um trotz des Allerweltscharakters der vermeintlichen Verfehlungen die Beschäftigte gegenüber Dritten als kriminell darstellen zu können. Angesichts dieser Verhältnisse führe an der Auflösung des Arbeitsverhältnisses kein Weg vorbei.

Die Höhe der Abfindung wurde in Anlehnung an § 1 a Absatz 2 Satz 1 KschG für vier Jahre Unternehmenszugehörigkeit mit 2 Monatsgehältern bemessen.