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Überstundenzuschlag für Teilzeitbeschäftigte

Mehrarbeitszuschlag für Teilzeitbeschäftigte

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 19. Dezember 2018, Aktenzeichen 10 AZR 231/18

Mehrarbeitszuschläge für Teilzeitbeschäftigte können bereits dann fällig werden, wenn das Teilzeitarbeitsvolumen, jedoch nicht die Arbeitszeit für Vollzeit, überschritten wurde (Änderung der Rechtsprechung).

Eine stellvertretende Filialleiterin ist bei ihrer Arbeitgeberin in Teilzeit tätig. Im Zeitraum November 2015 bis Oktober 2016 hat die Arbeitgeberin rund 20 Stunden Mehrarbeit abgerechnet und vergütet, darauf jedoch keinen Mehrarbeitszuschlag gezahlt.

Die stellvertretende Filialleiterin hatte von ihrer Arbeitgeberin im November 2016 vergeblich schriftlich die Vergütung des Mehrarbeitszuschlages gefordert. Mit ihrer Klage vor dem Arbeitsgericht forderte sie die ausstehende Vergütung der Überstundenzuschläge.

In ihrer Klageerwiderung argumentierte die Arbeitgeberin, ein Anspruch auf Vergütung von Mehrarbeitszuschlag bestehe erst dann, wenn die Teilzeitbeschäftigte das Jahresvolumen einer Arbeitskraft in Vollarbeitszeit überschreitet.

Das Arbeitsgericht gab der Klage bis auf einen Betrag von 5 Cent statt. Die stellvertretende Filialleiterin habe über die vereinbarte Jahresarbeitszeit hinaus gearbeitet. Aus der von der Arbeitgeberin erstellten Abrechnung der Mehrarbeit und der Auszahlung des entsprechenden Stundenlohnes lasse sich schließen, dass diese die Mehrarbeit geduldet und gebilligt habe.

Dem stehe nicht entgegen, dass gemäß § 5 Ziffer 5 MTV (Manteltarifvertrag) bei Teilzeitkräften nur diejenige Arbeitszeit Mehrarbeit ist, die über die regelmäßige monatliche Arbeitszeit einer Vollzeittätigkeit nach § 4 Ziffer 1 MTV hinausgeht. Entsprechend dieser Regelung werde Anspruch auf Überstundenzuschlag erst ausgelöst, wenn der zeitliche Umfang der Vollarbeitszeit überschritten wurde. Diese Bestimmung gelte jedoch ausdrücklich nur für Mitarbeiter, bei denen die Wochen- bzw. Monatsarbeitszeit überschritten wurde. Die stellvertretende Filialleiterin sei hingegen auf Basis einer Jahreszeitarbeitsvereinbarung nach § 4 Ziffer 3 Absatz 1 Satz 2, 2. Halbsatz MTV beschäftigt.

Der MTV bestimmt in § 4 Ziffer 4 Absatz 5, dass bei der Jahresarbeitszeit nicht die regelmäßige Arbeitszeit eines Vollzeitbeschäftigten, sondern die mit dem jeweiligen Arbeitnehmer individuell vereinbarte Arbeitszeit herangezogen wird. Hätten die Tarifvertragsparteien bei Teilzeitarbeitnehmern mit Jahresarbeitszeitvereinbarung den Anspruch auf Mehrarbeitszuschläge erst dann gewähren wollen, wenn diese die Jahresarbeitszeit eines Vollzeitbeschäftigten überschritten hätten, wäre dies durch entsprechende Formulierung insbesondere des § 5 Ziffer 5 MTV leicht möglich gewesen.

Es lägen keine Anhaltspunkte vor, dass die Teilzeitkräfte mit Jahresarbeitszeitvereinbarung, bezüglich der Mehrarbeit, wie andere Teilzeitarbeitskräfte bei Überschreitung einer regelmäßigen monatlichen Arbeitszeit behandelt werden sollen. Mit der Jahresarbeitszeitvereinbarung sei eine höhere Flexibilität gewollt. Ebenso sei nicht erkennbar, dass für Teilzeitbeschäftigte mit Jahreszeitarbeitsvereinbarung Mehrarbeit erst vorliegen soll, wenn sowohl die regelmäßige monatliche Vollarbeitszeit als auch die jährliche Vollarbeitszeit überschritten wurde und somit regelmäßig vollständig von Ansprüchen auf Mehrarbeitszuschläge nach § 4 Ziffer 4 Absatz 2 MTV ausgeschlossen wäre.

Die Arbeitgeberin legte beim Landesarbeitsgericht (LAG) Berufung gegen dieses Urteil ein.

Sie argumentierte, nach dem klaren Wortlaut des § 5 Ziffer 5 MTV sei Mehrarbeit bei Teilzeitbeschäftigten nur diejenige Arbeitszeit, die über die monatliche Arbeitszeit einer Vollzeittätigkeit nach § 4 Ziffer 1 MTV hinausgehe. Dies sei bei der stellvertretenden Filialleiterin unstreitig nicht der Fall. § 5 Ziffer 5 MTV enthalte eine Sonderregelung für Teilzeitkräfte, egal ob diese in der Jahresarbeitszeitregelung oder in einer monatlichen Arbeitszeit arbeiteten.

Bei einem anderen Verständnis der tarifvertraglichen Regelungen würden die Teilzeitbeschäftigten mit einer vereinbarten Jahresarbeitszeit gegenüber den Teilzeitbeschäftigten ohne Jahresarbeitszeit bessergestellt, da die Teilzeitbeschäftigten mit Jahresarbeitszeit Zuschläge erhalten würden, sofern deren Jahresarbeitszeitkonto überschritten sei. Die Teilzeitbeschäftigten ohne Jahresarbeitszeit würden jedoch Zuschläge erst dann erhalten, wenn sie mehr Stunden als eine Vollzeitkraft leisten würden. Eine derartige Differenzierung könne von den Tarifparteien nicht gewollt sein.

Das LAG hielt die Berufung der Arbeitgeberin für nicht begründet (Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 26.01.2018, Aktenzeichen 2 Sa 1365/17). Die stellvertretende Filialleiterin habe unstreitig in der Jahresarbeitszeit gearbeitet. Am Ende des Zwölfmonatszeitraums habe sie unstreitig 19,69 Stunden Mehrarbeit geleistet und deshalb stehe ihr ein Anspruch in Höhe von 33 % Mehrarbeitsvergütungszuschläge zu.

Entsprechend dem Wortlaut des § 5 Ziffer 5 MTV könnte man zu der Auslegung gelangen, dass auch bei der Vereinbarung eines Jahresarbeitszeitkontos bei Teilzeitbeschäftigten Mehrarbeit nur vorliege, wenn die regelmäßige monatliche Arbeitszeit von 169 Stunden, also die Tätigkeit einer Vollzeitkraft überschritten wird. Eine derartige Auslegung würde jedoch die Sonderregelungen des MTV systemwidrig nicht beachten, die die Jahresarbeitszeit regeln und diese vergüten.

§ 4 Ziffer 4 Absatz 5 MTV sei die speziellere Regelung für Mehrarbeit in Jahresarbeitszeitverhältnissen, die für Teilzeitbeschäftigte in § 5 Ziffer 5 MTV nicht erfasst werden.

Die Tarifvertragsparteien hätten bei den speziellen Regeln für Teilzeittätigkeiten gesehen, dass es auch Jahresarbeitszeitkonten für Teilzeitkräfte gibt. Sie haben geregelt, dass Teilzeitbeschäftigte, die regelmäßig über einen Zeitraum von drei Monaten Mehrarbeit leisten, eine entsprechende Neugestaltung ihres Arbeitsvertrages verlangen können. Dies gelte ausdrücklich nicht für Arbeitsverhältnisse mit Jahresarbeitszeitkonten.

Es bleibe dabei, dass bei der Vereinbarung von Jahresarbeitszeitkonten die Mehrarbeit nach Abschluss des Zwölfmonatszeitraums nicht nur vergütet wird, sondern auch mit einem Mehrarbeitszuschlag in Höhe von 33 % zu vergüten ist. Diese Auslegung verstoße auch nicht gegen den aus Artikel 3 GG abgeleiteten Gleichheitsgrundsatz. Die Tarifvertragsparteien hätten selbst entschieden, dass es Unterschiede zwischen Teilzeitbeschäftigten mit und ohne Jahresarbeitszeitkonten geben soll.

Teilzeitbeschäftigte ohne Jahresarbeitszeitkonten könnten bereits in einem Monat Mehrarbeitsvergütung und Mehrarbeitszuschläge verlangen, wenn sie mehr als 169 Stunden arbeiten. Überstunden im Jahresdurchschnitt werden eher seltener anfallen, weil das Jahresarbeitszeitkonto ja gerade dazu bestimmt ist, Überstundenvergütungen zu vermeiden, die in einzelnen Monaten anfallen, während es in anderen Monaten eher weniger zu tun gibt. Damit würden ungleiche Sachverhalte ungleich geregelt.

Es bestehe gegenüber Vollzeitbeschäftigten auch kein Verstoß gegen Artikel 3 GG Grundgesetz). Die Tarifvertragsparteien könnten die Regelung von Mehrarbeitszuschlägen an die Regelungen für Vollzeitkräfte anknüpfen, müssen dies aber nicht.

Zutreffend habe das Arbeitsgericht entschieden, dass der Anspruch der stellvertretenden Filialleiterin in Höhe von 0,05 EUR verfallen ist, da sie diesen Differenzbetrag nicht rechtzeitig geltend machte. Insofern sei die Entscheidung des Arbeitsgerichts Berlin rechtskräftig geworden.

Die Revision der Arbeitgeberin zu dieser Entscheidung hatte beim Bundesarbeitsgericht (BAG) keinen Erfolg.

Das BAG führte aus, die Arbeitgeberin habe nach Ablauf des Zeitraums von 12 Monaten für das bestehende Zeitsaldo zwar die Grundvergütung geleistet, aber keine Mehrarbeitszuschläge gewährt, weil das Arbeitszeitvolumen der stellvertretenden Filialleiterin nicht das einer Vollzeittätigkeit überschritt.

Die Auslegung des Tarifvertrags ergebe, dass Teilzeitbeschäftigte mit vereinbarter Jahresarbeitszeit einen Anspruch auf Mehrarbeitszuschläge für die Arbeitszeit haben, die über ihre individuell festgelegte Arbeitszeit hinausgeht. Diese Auslegung entspreche höherrangigem Recht. Teilzeitbeschäftigte würden benachteiligt, wenn die Zahl der Arbeitsstunden, von der an ein Anspruch auf Mehrarbeitsvergütung entsteht, nicht proportional zu ihrer vereinbarten Arbeitszeit vermindert würde.

Der Zehnte Senat des BAG gab mit diesem Urteil seine gegenläufige Ansicht auf (BAG 26. April 2017 – 10 AZR 589/15 -). Er schloss sich der Auffassung des Sechsten Senats an (BAG 23. März 2017 – 6 AZR 161/16 -).

Hinweis: Das Bundesarbeitsgericht hat am 19. Dezember 2018 über vier weitere parallel gelagerte Sachverhalte entschieden (- 10 AZR 617/17, 10 AZR 618/17, 10 AZR 140/18 und 10 AZR 232/18 -). Die auf Mehrarbeitszuschläge gerichteten Klagen hatten Erfolg.