Landesarbeitsgericht Niedersachsen (2. Kammer), Beschluss vom 08.05.2024, Aktenzeichen 2 TaBV 81/23
Amtlicher Leitsatz:
Der Betriebsrat ist bei einer Anhörung zu einer Versetzung über deren konkreten Folgen zu unterrichten. Wenn der betroffene Arbeitnehmer trotz Weitergeltung der bisherigen Provisionsregelung aufgrund der veränderten Tätigkeit (Wechsel vom Außendienst in den Innendienst) keine Möglichkeit mehr besitzt, in unverändertem Umfang Provisionen zu erzielen, ist der Betriebsrat hierüber zu informieren.
Sachverhalt:
Die Beteiligten streiten über die Versetzung eines Kollegen. Im ersten Quartal 2023 beschloss die Arbeitgeberin, zum 1. April 2023 eine neue Stelle für einen kaufmännischen Mitarbeiter im Back-Office am Standort C-Stadt zu schaffen. Der Grund dafür war der zunehmend ausgeprägte Abstimmungsbedarf zwischen den Bereichen Disposition, Faktura und Außendienst. Der neu geschaffene Arbeitsplatz ist ein Büroarbeitsplatz im Verwaltungsgebäude der Niederlassung C-Stadt. Für die bereits bestehenden Büroarbeitsplätze im gleichen Gebäude wurde seit 2021, zuletzt aktualisiert im April 2023, eine Gefährdungsbeurteilung für kaufmännische Tätigkeiten sowie für die Kundenbetreuung und Beratung per Telefon erstellt (ArbG, Bl. 65 ff. d. A.).
Der neue Arbeitsplatz erfordert neben mehrjähriger Berufserfahrung im Vertrieb auch fundierte Kenntnisse und Erfahrungen in den Bereichen Disposition, Faktura und Außendienst sowie umfassende Kenntnisse der bestehenden Betriebsabläufe. Vor diesem Hintergrund entschied sich die Arbeitgeberin, Herrn S. zum 1. April 2023 auf die neue Position zu versetzen.
Herr S., der eine Ausbildung zum Umweltschutztechniker absolviert hat, ist seit dem 1. September 2009 in der Firma tätig und zuletzt als Außendienstmitarbeiter in C-Stadt mit einem Jahresgrundgehalt von 47.340,00 Euro beschäftigt. In dieser Rolle kümmert sich Herr S. um die Akquise von Neuaufträgen, die Angebotserstellung, die Kundenpflege sowie die Erfassung und Bearbeitung von Kundenreklamationen. Aufgrund seiner langjährigen Erfahrung als Außendienstmitarbeiter bringt Herr S. die erforderlichen fachlichen, technischen und kaufmännischen Kenntnisse und Qualifikationen für die neue Position mit. Zudem ist er mit den Betriebsabläufen der Arbeitgeberin vertraut und kennt die drei relevanten Teilbereiche sowie die dort tätigen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen.
Am 8. März 2023 informierte die Arbeitgeberin Herrn S. in Anwesenheit von Herrn B., dem kaufmännischen Leiter am Standort C-Stadt, Herrn Br., dem Niederlassungsleiter am Standort C-Stadt, sowie Herrn K., einem Mitglied des Betriebsrates, über die Absicht, ihn ab dem 1. April 2023 auf arbeitsvertraglicher Grundlage als kaufmännischen Mitarbeiter im Back-Office einzusetzen, wobei die Vergütung unverändert bleibt.
Am 15. März 2023 fand ein weiteres Meeting statt, in dem versucht wurde, eine einvernehmliche Lösung zu erzielen, jedoch ohne Erfolg.
Nach einer anschließenden Beratung entschloss sich die Arbeitgeberin, Herrn S. zum 1. April 2023 zu versetzen. Sie informierte den Betriebsrat durch ein Schreiben vom 16. März 2023, das am 20. März 2023 einging, und bat um dessen Zustimmung. In diesem Schreiben heißt es unter anderem (ArbG, Bl. 19 ff. d. A.):
„Name, Vorname …S.
geb. am …
Wohnort …
Straße …
Familienstand / Kinder…
Beschäftigt seit:…01.04.2009
Bereich/Abteilung …Vertrieb bisher tätig als: …Außendienstmitarbeiter Entgeltgruppe: … . .. . . .. …
Versetzung in Position:…Kfm. Mitarbeiter im Back-Office Entgelt: …47.340,00 € brutto p.a.
Dazu im Einzelnen:
Antrag auf Zustimmung zur Versetzung und Eingruppierung nach §
BETRVG §
99 BetrVG
1. zu besetzende Stelle
Zu den Aufgaben des kfm. Back-Office gehört insbesondere
– Bearbeitung von durch den Betrieb reklamierten Abfallanlieferungen
– Bearbeitung und Klärung der offenen Postenliste zur Vorbereitung der Abgabe der Vorgänge an die Credit Reform
– Klärung von offenen Aufträgen, die im System vorhanden sind und bisher nicht abgerechnet wurden
– Bearbeitung / Nachhalten von eingereichten Proben-& Abfalldatenblättern; Rückinfo an Betrieb, ob Angebote angenommen wurden und wann die Abfälle abgeliefert werden
– Zuarbeit bei der Planung / Koordination sowie betriebliche Abstimmung industrielle und kommunale Schadstoffsammlung
– Überprüfung von Wirtschaftlichkeit angelieferte Abfälle
– Vorbereitung und Koordination von Kunden-Audits
– Unterstützung kommunaler Ausschreibungen
– Schnittstelle zwischen Faktura, Außendienst und Disposition – Unterstützung der Disposition bei der Planung
2. Angaben zum ausgewählten Arbeitnehmer
Herr S. ist seit dem 01.04.2009 als gelernter und ausgebildeter Umweltschutztechniker für uns tätig. Für die neu geschaffene Position als kfm. Mitarbeiter im Back Office ist Herr S. bestens geeignet. Er hat entsprechende Vorkenntnisse, Qualifikationen und kennt die Betriebsablaufstrukturen im Hause.
Herr S. erfüllt die genannten Anforderungen, er ist Umweltschutztechniker und besitzt langjährige Erfahrung gepaart mit der praktischen Erfahrung in den Betriebsabläufen.
Weiterhin ist zu seiner persönlichen und fachlichen Eignung zu sagen: Herr S. hat auch in schwierigen Zeiten stets kollegial und sachlich mit intensiver Kommunikation und persönlicher Überzeugungskraft schwierige Aufgaben und Probleme erfolgreich gelöst.
Das Vorstehende ergibt sich aus den als Anlage 1 beigefügten Bewerbungsunterlagen vom 14.01.2009.
3. Ein-Umgruppierung
Herr S. ist bislang als ADM nicht eingruppiert, da ADM nicht unter den persönlichen Geltungsbereich des ERTV der RIS KG fallen.
Er soll weiterhin als AT-Mitarbeiter geführt werden.
4. Auswirkungen auf die Belegschaft
Für uns sind keine Nachteile der Versetzung von Herrn S. auf die übrige Belegschaft ersichtlich Wir bitten um Ihre Zustimmung zu der Versetzung von Herrn S. auf die Stelle und bitten um Ihre Zustimmung.
…“
Der Betriebsrat widersprach der Versetzung mit Schreiben vom 27. März 2023 und begründete seinen Widerspruch wie folgt (ArbG, Bl. 22 d.A.):
„Arbeitsplatzbeschreibung unvollständig, fehlende Gefährdungsbeurteilungen“.
Vor dem Arbeitsgericht ist der Betriebsrat unterlegen. Vor dem LAG verfolgt er seine Ziele weiter. Das LAG gibt dem Betriebsrat recht, die Zustimmung war nicht zu ersetzen.
Der Antrag des Arbeitgebers war unbegründet.
Nach § 99 Abs. 1 des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) ist der Arbeitgeber verpflichtet, in Unternehmen mit in der Regel mehr als 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern den Betriebsrat vor jeder Versetzung zu informieren. Dazu gehören die Vorlage der erforderlichen Bewerbungsunterlagen sowie die Auskunft über die betroffenen Personen. Der Arbeitgeber muss dem Betriebsrat, unter Vorlage der benötigten Unterlagen, auch Informationen über die Auswirkungen der geplanten Maßnahme bereitstellen und dessen Zustimmung einholen. Gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 BetrVG ist der Arbeitgeber außerdem verpflichtet, bei Einstellungen und Versetzungen insbesondere den vorgesehenen Arbeitsplatz und die geplante Eingruppierung mitzuteilen.
Im Zusammenhang mit der personalen Einzelmaßnahme bezüglich Herrn S. handelt es sich um eine Versetzung im Sinne der §§ 99 Abs. 1 und 95 Abs. 3 BetrVG, da ihm für unbestimmte Zeit ein anderer Arbeitsbereich zugewiesen werden soll.
Für eine ordnungsgemäße Unterrichtung des Betriebsrats ist der Arbeitgeber verpflichtet, die Bestimmungen des § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG sowie, bei Einstellungen und Versetzungen, auch die des § 99 Abs. 1 Satz 2 BetrVG einzuhalten (ständige Rechtsprechung, BAG, 1. Juni 2011 – 7 ABR 18/10 – Rn. 19). Der Umfang der erforderlichen Informationen richtet sich nach dem Zweck der Beteiligung des Betriebsrats an der jeweiligen personellen Maßnahme. Die Informations- und Vorlagepflichten gemäß § 99 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 BetrVG sollen dem Betriebsrat die notwendigen Informationen bereitstellen, damit er sein Recht auf Stellungnahme nach § 99 Abs. 2 BetrVG sachgerecht ausüben kann. Der Arbeitgeber muss den Betriebsrat so unterrichten, dass dieser anhand der bereitgestellten Fakten in der Lage ist zu prüfen, ob einer der in § 99 Abs. 2 BetrVG genannten Gründe für eine Verweigerung der Zustimmung vorliegt (BAG, 1. Juni 2011 – 7 ABR 18/10 – Rn. 20; BAG, 27. Oktober 2010 – 7 ABR 86/09 – Rn. 21).
Gemäß § 99 Abs. 3 BetrVG gilt die Zustimmung des Betriebsrats zu einer personellen Einzelmaßnahme im Sinne des § 99 Abs. 1 BetrVG als erteilt, wenn der Betriebsrat seine Zustimmung nicht innerhalb einer Woche schriftlich und unter Angabe von Gründen verweigert. Diese gesetzliche Fiktion tritt jedoch nur ein, wenn der Betriebsrat ordnungsgemäß nach § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG informiert wurde. Nur diese ordnungsgemäße Unterrichtung setzt die Frist für eine mögliche Verweigerung der Zustimmung in Gang (ständige Rechtsprechung, BAG, 21. November 2018 – 7 ABR 16/17 – Rn. 16; BAG, 13. Mai 2014 – 1 ABR 9/12 – Rn. 18; BAG, 13. März 2013 – 7 ABR 39/11 – Rn. 31). Wenn der Arbeitgeber den Betriebsrat unzureichend oder gar nicht informiert, tritt die Zustimmungsfiktion nicht in Kraft. Die Frist wird grundsätzlich auch dann nicht aktiviert, wenn der Betriebsrat versäumt, den Arbeitgeber auf die offensichtliche Unvollständigkeit der Informationen hinzuweisen (BAG, 9. April 2019 – 1 ABR 30/17 – Rn. 33; BAG, 13. März 2013 – 7 ABR 39/11 – Rn. 34). Bei einer offensichtlich unvollständigen Unterrichtung des Betriebsrats wird die Frist auch dann nicht in Gang gesetzt, wenn der Betriebsrat auf das Zustimmungsersuchen des Arbeitgebers mit Widerspruchsgründen nach Absatz 2 reagiert (BAG, 9. April 2019 – 1 ABR 30/17 – Rn. 33).
Bei der erforderlichen Anwendung der oben genannten Grundsätze hat die Arbeitgeberin den Betriebsrat mit dem Zustimmungsersuchen vom 16. März 2023 nicht ausreichend über die geplante personelle Maßnahme informiert.
(1.) Das Zustimmungsersuchen der Arbeitgeberin vom 16. März 2023 enthält zwar die notwendigen Informationen zur Person, die von der personellen Einzelmaßnahme betroffen ist. Zudem wurden dem Betriebsrat die Bewerbungsunterlagen für die erstmalige Einstellung von Herrn S. vom 14. Januar 2009 als Anlage übergeben. Auch in Bezug auf den neuen Arbeitsplatz ist der Betriebsrat ausreichend informiert worden. Die Unterrichtung sollte dabei die Aufgaben und Verantwortlichkeiten des Arbeitnehmers sowie die Art seiner Tätigkeit und deren Einordnung in den Arbeitsablauf des Unternehmens betreffen, wobei der Begriff funktional ausgelegt werden muss. Dies umfasst neben der Arbeitsleistung auch die Art der Tätigkeit sowie den Platz in der betrieblichen Organisation (BAG, 12. Juni 2019 – 1 ABR 39/17 – Rn. 19). Die Arbeitgeberin hat den Betriebsrat sowohl über den Arbeitsplatz – kaufmännischer Mitarbeiter im Back-Office – als auch über die damit verbundenen Tätigkeiten informiert. Im Zustimmungsgesuch vom 16. März 2023 wurde dem Betriebsrat mitgeteilt, dass Herr S., wie zuvor als Außendienstmitarbeiter, weiterhin als AT-Mitarbeiter geführt wird. Darüber hinaus wurde sein jährliches Bruttogehalt in Höhe von 47.340,00 Euro angeführt. Informationen über mögliche Überlegungen zur Zuweisung weiterer Tätigkeiten zur Position waren dem Betriebsrat nicht mitzuteilen, solange die Arbeitgeberin noch keine Entscheidung über eine entsprechende Übertragung oder Umsetzung getroffen hat.
Der Betriebsrat muss auch informiert werden, wenn eine Versetzung den Wegfall von Provisionsmöglichkeiten zur Folge hat (LAG Schleswig-Holstein, 3. Juli 2001 – 3 TaBV 7/01 – Rn. 15; ErfK/Kania, 24. Aufl. 2024, BetrVG § 99 Rn. 20). Herr S. unterlag als Außendienstmitarbeiter seit 2014 der bei der Arbeitgeberin bestehenden Provisionsregelung. Zum Zeitpunkt der Information des Betriebsrats galt für das Arbeitsverhältnis von Herrn S. die Vertriebsprovisionsregelung gemäß der Vereinbarung vom März 2023 (LAG, Bl. 95 ff. d. A.). Diese Regelung sah für das laufende Jahr 2023 ein Gesamtumsatzziel von 2,5 Millionen Euro vor. Bei Erreichung dieses Ziels wird eine Provision von 14.700 Euro ausgezahlt. Wenn das zugeordnete Gesamtumsatzziel um 1% unterschritten wird, reduziert sich der Provisionsanspruch um 5 Prozentpunkte. Im Falle einer Überschreitung des Gesamtumsatzziels um 1% steigt der Provisionsanspruch um 1%. Diese Regelung gilt bis zu einer Überschreitung des Gesamtumsatzziels um maximal 15%. Eine höhere Überschreitung wird nicht vergütet. Sollte Herr S. eine andere Tätigkeit im Unternehmen aufnehmen oder das Arbeitsverhältnis beenden, erfolgt eine „Spitzabrechnung“ der Umsätze, die auf das Datum des Wechsels oder Austritts bezogen ist. Darüber hinaus umfasst die Provisionsregelung sowohl eine Stück- als auch eine Qualitätsprovision, die sich nach den detailliert in der Provisionsvereinbarung aufgeführten Bedingungen bemisst.
Die Arbeitgeberin hat dem Betriebsrat in dem Anhörungsschreiben vom 16. März 2023 nicht über die konkreten Auswirkungen der Versetzung von Herrn S. auf seine Provisionsansprüche informiert. Sie hat versäumt, dem Betriebsrat mitzuteilen, in welcher Höhe Herr S. während seiner Tätigkeit als Außendienstmitarbeiter Provisionen gemäß der Vertriebsprovisionsregelung erhalten hat und welchen Nachteil eine mögliche Entfallung der Provisionsmöglichkeiten für ihn zur Folge hätte. Mit der geplanten Versetzung in das Back-Office würde Herr S. nicht mehr im Vertrieb tätig sein, und seine Aufgaben würden unter anderem die Akquise von Neuaufträgen nicht mehr umfassen. Daher hätte die Arbeitgeberin den Betriebsrat darüber in Kenntnis setzen müssen, ob Herr S. auch nach der Versetzung weiterhin die gleiche Möglichkeit hat, sein jährliches Gesamtumsatzziel gemäß der Provisionsregelung vom März 2023 zu erreichen, sowie inwieweit er Einkünfte aus der Stück- und Qualitätsprovisionsregelung erzielen kann.
Der Betriebsrat benötigt diese Informationen von der Arbeitgeberin, um zu klären, ob Herr S. auch nach der Versetzung die gleiche Chance hat, sein jährliches Gesamtumsatzziel zu erreichen. Sollte Herr S. diese Möglichkeit nicht mehr besitzen, könnte dies einen Nachteil im Sinne des § 99 Abs. 2 Nr. 4 BetrVG darstellen.
Die Arbeitgeberin hat die fehlenden Informationen im Zustimmungsersetzungsverfahren mit ihrem Schriftsatz vom 6. Juli 2023 nachgereicht und somit das Zustimmungsverfahren ordnungsgemäß eingeleitet.
(1.) Die Ergänzung der fehlenden Informationen für den Betriebsrat zu einer beabsichtigten personellen Maßnahme gemäß § 99 Abs. 1 BetrVG ist grundsätzlich auch im Verlauf des Zustellungsersetzungsverfahrens möglich.
Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann der Arbeitgeber in Fällen, in denen der Betriebsrat aufgrund unvollständiger Informationen seine Zustimmung verweigert hat, die fehlenden Informationen auch im Rahmen des Zustimmungsersetzungsverfahrens nachtragen. Mit der Nachreichung der Informationen wird die Frist gemäß § 99 Abs. 3 Satz 1 BetrVG in Gang gesetzt. Es ist jedoch für den Betriebsrat erkennbar, dass der Arbeitgeber die Informationen während des Zustimmungsersetzungsverfahrens bereitstellt, um seiner möglicherweise noch nicht vollständig erfüllten Unterrichtungspflicht gemäß § 99 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 BetrVG nachzukommen. Dies muss nicht ausdrücklich geschehen, sondern kann aus den Umständen der nachgereichten Informationen hervorgehen. Es ist nicht erforderlich, das Zustimmungsersuchen erneut einzureichen. Ein Hinweis darauf, dass die Frist zur Verweigerung der Zustimmung für den Betriebsrat nun erneut beginnt, ist ebenfalls nicht notwendig. Die ergänzenden Informationen können durch ein im gerichtlichen Zustimmungsersetzungsverfahren eingereichtes Schreiben oder in den beigefügten Anlagen erfolgen. Dabei ist es unerheblich, dass der unmittelbare Adressat nicht der Betriebsrat, sondern das Gericht ist. In einem solchen Fall besteht jedoch die erhebliche Gefahr, dass der Betriebsrat die Mitteilung nicht als abschließende Ergänzung versteht und auch nicht verstehen muss. Der Lauf der Frist gemäß § 99 Abs. 3 Satz 1 BetrVG beginnt in diesem Fall erst, wenn die Mitteilung beim Vorsitzenden des Betriebsrates eingeht.
Die Arbeitgeberin hat in ihrem Schriftsatz vom 6. Juli 2023 die fehlenden Informationen gegenüber dem Betriebsrat nachgereicht.
In diesem Schriftsatz hat die Arbeitgeberin dem Betriebsrat mitgeteilt, dass die aktuelle Provisionsregelung durch die Versetzung grundsätzlich nicht beeinträchtigt wird und dass Herr S. für den Wegfall der Möglichkeit zur privaten Nutzung einen finanziellen Ausgleich erhalten wird. Das Provisionssystem war dem Betriebsrat bereits bekannt. Unbestritten hatte die Arbeitgeberin ausgeführt, dass der Betriebsrat im April 2014 über dieses System informiert wurde und dem Provisionsmodell am 9. Mai 2014 zugestimmt hat. Aufgrund der Informationen, die im Schriftsatz vom 6. Juli 2023 bereitgestellt wurden, war es dem Betriebsrat nun möglich, das Vorliegen von Zustimmungsverweigerungsgründen gemäß § 99 Abs. 2 Nr. 4 BetrVG zu überprüfen.
Am 14. Juli 2023 fasste der Betriebsrat daraufhin erneut den Beschluss, seine Zustimmung zur geplanten Versetzung zu verweigern, und informierte die Arbeitgeberin am 17. Juli 2023 schriftlich darüber. In seiner Begründung führte er an, dass die Befürchtung bestehe, Herr S. würde am neuen Arbeitsplatz weniger Provision verdienen und dass ihm die private Nutzung des Dienstwagens entzogen werde, ohne dass er dafür einen angemessenen finanziellen Ausgleich erhält. Mit dieser Position verweigerte der Betriebsrat der Arbeitgeberin die Zustimmung unter Bezugnahme auf den Zustimmungsverweigerungsgrund gemäß § 99 Abs. 2 Nr. 4 BetrVG.
Der Widerspruch des Betriebsrats erfolgte, entgegen der Auffassung der Arbeitgeberin, fristgerecht.
Der Lauf der Frist gemäß § 99 Abs. 3 Satz 1 BetrVG begann aufgrund der ursprünglich unvollständigen Unterrichtung erst mit dem Eingang des Schriftsatzes der Arbeitgeberin vom 6. Juli 2023 beim Vorsitzenden des Betriebsrats. Dieser ist der richtige Adressat für das ergänzende Unterrichtungsschreiben, da er in seiner Funktion befugt ist, Erklärungen, die an den Betriebsrat gerichtet sind, entgegenzunehmen (§ 26 Abs. 2 Satz 2 BetrVG). Der Eingang fand jedoch erst am 10. Juli 2023 statt. Das Risiko einer verspäteten oder unterbliebenen Weiterleitung nachgereichter Informationen liegt beim Arbeitgeber (BAG, 01. Juni 2011 – 7 ABR 18/10 – Rn. 21; BAG, 9. März 2011 – 7 ABR 127/09 – Rn. 25; BAG, 12. Januar 2011 – 7 ABR 25/09 – Rn. 45).
Es wäre der Arbeitgeberin zudem problemlos möglich gewesen, die im Schriftsatz vom 6. Juli 2023 enthaltenen Informationen über die Gültigkeit der Provisionsregelung und den finanziellen Ausgleich für die Entziehung des Dienstwagens direkt an den Vorsitzenden des Betriebsrats zu übermitteln. Dies ist jedoch nicht geschehen.
Unabhängig davon ist festzustellen, dass eine erneute Zustimmungsverweigerung des Betriebsrats, nach den nachgereichten Informationen der Arbeitgeberin, im Hinblick auf die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 29. Januar 2020 (- 4 ABR 8/18 – Rn. 12) nicht erforderlich war. Dies liegt daran, dass die Arbeitgeberin von ihrer ursprünglichen Maßnahme keinen Abstand genommen und keine eigenständige, neue Personalmaßnahme initiiert hat. Infolgedessen bleibt die ursprüngliche, form- und fristgerechte Zustimmungsverweigerung gemäß dem Schreiben des Betriebsrats vom 27. März 2023 aufrecht.
Der Betriebsrat hat seine Zustimmung zu der beabsichtigten Versetzung des Mitarbeiters Herrn S. zu Recht gemäß § 99 Abs. 2 Nr. 4 BetrVG verweigert.
Hiernach kann der Betriebsrat die Zustimmung zu einer personellen Maßnahme verweigern, wenn der betroffene Arbeitnehmer durch die Maßnahme benachteiligt wird, ohne dass dies durch betriebliche oder personenbedingte Gründe gerechtfertigt ist.
Eine Benachteiligung im Sinne des § 99 Abs. 2 Nr. 4 BetrVG kann sowohl aus dem Verlust einer Rechtsposition als auch aus tatsächlichen Nachteilen von erheblichem Gewicht resultieren, die etwa durch negative Auswirkungen auf die Arbeitsumstände entstehen können. Solche Nachteile können sowohl bei einer Verschlechterung der äußeren Arbeitsbedingungen als auch der materiellen Arbeitsbedingungen auftreten (Fitting, BetrVG, 32. Aufl. 2024, § 99 Rn. 242).
Derartige Nachteile sind für Herrn S., der von der personellen Maßnahme betroffen ist, offensichtlich. Es gibt erhebliche Zweifel daran, dass Herr S. am neuen Arbeitsplatz die Anforderungen erfüllen kann, die nach der bisherigen Provisionsregelung für den Erwerb des Provisionsanspruchs erforderlich sind. Ob und inwieweit Herr S. im Back-Office Einkünfte aus der Stück- und Qualitätsprovisionsregelung für 2023 erzielen kann, bleibt unklar. Laut der Vertriebsprovisionsregelung für das Jahr 2023 muss Herr S., um eine Provision in Höhe von 14.700,00 Euro zu erhalten, ein Gesamtumsatzziel von 2,5 Millionen Euro erreichen. Bei einer Unterschreitung dieses Gesamtumsatzziels um 1% reduziert sich der Provisionsanspruch um 5%. Bei einer Überschreitung des Gesamtumsatzziels um 1% erhöht sich der Provisionsanspruch um 1%.
Der Betriebsrat hat zu Recht darauf hingewiesen, dass der Provisionsanspruch für Herrn S. vollständig entfällt, wenn er weniger als 2 Millionen Euro Umsatz erzielt. Auf seinem neuen Arbeitsplatz wird die Akquise von Neuaufträgen nicht mehr zu seinen Aufgaben gehören, was die Annahme stützt, dass er das erforderliche Mindestumsatzziel für seinen Provisionsanspruch nicht mehr erreichen kann. Insofern ist es irrelevant, ob die alte Provisionsregelung weiterhin für Herrn S. Anwendung findet.
Unabhängig davon ist hervorzuheben, dass gemäß den von der Arbeitgeberin vorgelegten Vertriebsprovisionsregelungen für das Jahr 2023 bei einem Wechsel der Tätigkeit des Mitarbeiters eine spitzabrechnung der Umsätze erfolgt, die auf diesen Wechsel bezogen ist. Diese Regelung ist so zu verstehen, dass die bisherige Vertriebsprovisionsregelung bezüglich der Umsatzprovision im Falle einer Versetzung von Herrn S. nicht mehr zur Anwendung kommt, entgegen dem, was die Arbeitgeberin vorgebracht hat.
Ein weiterer Hinweis darauf ist das Gespräch vom 8. September 2023, das die Arbeitgeberin mitgeteilt hat. In diesem Gespräch hat die Arbeitgeberin dem stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden eine Liste mit den künftigen Arbeitsbedingungen für Herrn S. übergeben. Demnach sollen die Umsatzzahlen zum Ende der Beschwerdefrist, beispielsweise zum 31. Oktober 2023, „eingefroren“ werden, während gleichzeitig eine monatliche Provisionsabschlagszahlung von 70 % (857,50 Euro monatlich) ausgezahlt wird. Dies belegt, dass die bisherige Provisionsregelung offensichtlich nicht unverändert angewendet werden kann oder soll. Es wird angestrebt, aus der bisherigen Provisionsregelung eine feste Provision zu schaffen. Des Weiteren soll eine neue Provisionsregelung für 2024 erstellt werden, die auf den Innendienst abgestimmt ist und möglicherweise in Form einer Festprovision erfolgt.
Der Inhalt des Gesprächs vom 8. September 2023 zeigt außerdem, dass die unveränderte Anwendung der bisherigen Provisionsregelung bei der Versetzung von Herrn S. auf den neuen Arbeitsplatz dazu führen würde, dass er keinen Provisionsanspruch erwerben kann. Der Vorschlag der Arbeitgeberin aus dem Gespräch sieht vor, dass aus der bisherigen Provisionsregelung bis zur Erstellung einer speziell für den Innendienst angepassten Regelung eine feste Provision wird, wobei die Umsatzzahlen eingefroren werden sollen. Das bedeutet, dass mit der monatlichen Abschlagszahlung von 857,50 Euro brutto kein höherer Provisionsanspruch erworben werden kann. Diese Regelung führt somit zu einer Verschlechterung der materiellen Arbeitsbedingungen im Vergleich zu den bisherigen Arbeitsbedingungen von Herrn S. im Außendienst. Der Inhalt des Gesprächs vom 8. September 2023 lässt erkennen, dass auch die Arbeitgeberin selbst die Notwendigkeit sieht, die Provisionsregelung an den Innendienst anzupassen, damit Herr S. auf seinem neuen Arbeitsplatz keine Nachteile bezüglich seiner Möglichkeit zur Provisionserzielung erleidet.
Die Benachteiligung von Herrn S. ist zudem nicht durch betriebliche oder personenbezogene Gründe gerechtfertigt. Die Arbeitgeberin, die die Darlegungslast trägt, hat dazu keinerlei Ausführungen gemacht.
Daher war die Zustimmung des Betriebsrats nicht zu ersetzen.