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Anspruch auf generelle Freistellung für Mitglied im Konzernbetriebsrat

Freistellung für die Tätigkeit als Konzernbetriebsratsmitglied

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 23.05.2018, Aktenzeichen 7 ABR 14/17

Der Konzernbetriebsrat kann einen eigenen Anspruch auf eine generelle Freistellung oder Teilfreistellung eines oder mehrerer seiner Mitglieder erheben, sofern die Freistellung für die ordnungsgemäße Durchführung der Aufgaben des Konzernbetriebsrats erforderlich ist.

Der Betriebsratsvorsitzende einer Klinik war gleichzeitig Vorsitzender des Konzernbetriebsrats. Der Konzernbetriebsrat fasste im Juni 2014 den Beschluss, dass sein Vorsitzender und die 3 stellvertretenden Vorsitzenden für 50% ihrer Arbeitszeit freigestellt werden sollen. Bereits vorhandene Freistellungen in den Betrieben der Betriebsräte sollten dafür im gleichen Umfang entfallen. Die Arbeitgeberin lehnte das Begehren des Betriebsrats ab.

Der Betriebsratsvorsitzende teilte seiner Arbeitgeberin im Mai 2016 mit, er gebe seine hundertprozentige Freistellung zur Hälfte zurück. Er wolle diese Zeit zur Erledigung seiner weiteren Mandatstätigkeit insbesondere im Konzernbetriebsrat nutzen. Seine freiwerdende Teilfreistellung von 50% solle entsprechend dem Beschluss des örtlichen Betriebsrates auf ein anderes Betriebsratsmitglied übertragen werden. Er beantragte bei seiner Arbeitgeberin, dass sie ihn für 50% seiner Arbeitszeit freistelle, um der Tätigkeit als Konzernbetriebsratsvorsitzender im erforderlichen Umgang nachgehen zu können. Zum Zeitpunkt der Antragstellung war der Betriebsratsvorsitzende zu 100% seiner Arbeitszeit für seine Betriebsratstätigkeit freigestellt.

Vor dem Arbeitsgericht machte der Konzernbetriebsrat die Freistellung des Konzernbetriebsratsvorsitzenden im Umfang von 50% der Arbeitszeit gegenüber der Arbeitgeberin geltend. Basierend auf § 59 Absatz 1 in Verbindung mit § 37 Absatz 2 BetrVG (Betriebsverfassungsgesetz) könne der Konzernbetriebsrat die Freistellung seines Vorsitzenden verlangen. Die Norm gewähre einen Anspruch auf eine generelle Freistellung von der beruflichen Tätigkeit für einen bestimmten Teil der Arbeitszeit. Die Freistellung im Umfang von 50 % seiner Arbeitszeit sei aufgrund der dauerhaft anfallenden Arbeiten des Konzernbetriebsratsvorsitzenden erforderlich.

Der Konzernbetriebsrat beantragte die Feststellung, dass sein Vorsitzender, basierend auf dem Beschluss des Konzernbetriebsrats von Juni 2014, in Höhe von 50% seiner Arbeitszeit für seine Aufgaben als Konzernbetriebsratsvorsitzender freizustellen sei.

Das Arbeitsgericht wies den Antrag ab. Seine Beschwerde gegenüber dem Landesarbeitsgericht (LAG) erweiterte der Konzernbetriebsrat um einen Hilfsantrag. Hilfsweise sei festzustellen, dass eine Freistellung für die Tätigkeit des Konzernbetriebsratsvorsitzenden zu 50% der Arbeitszeit einer Vollzeitarbeitskraft zusätzlich zu seiner Freistellung als örtlicher Betriebsrat erforderlich ist. Das Landesarbeitsgericht wies die Beschwerde zurück.

Mit seiner Rechtsbeschwerde vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) verfolgte der Konzernbetriebsrat seinen Feststellungsantrag weiter. In der Anhörung vor dem BAG im Mai 2018 teilten die Beteiligten mit, dass ein neuer Betriebsrat gewählt und konstituiert wurde.

Das BAG entschied, der Antrag des Konzernbetriebsrats sei unbegründet. Der Hilfsantrag hätte jedoch nicht abgewiesen werden dürfen. In diesem Umfang werde das Urteil des LAG aufgehoben und zurückverwiesen.

Mit seinem Antrag habe der Konzernbetriebsrat basierend auf seinem Beschluss von Juni 2014, die Feststellung begehrt, dass die Freistellung im Umfang von 50% der Arbeitszeit des Konzernbetriebsratsvorsitzenden ohne Einverständniserklärung der Arbeitgeberin zu erfolgen habe. Der Konzernbetriebsrat gehe davon aus, dass durch seinen Beschluss automatisch die Freistellung im Umfang von 50% rechtlich abgesichert sei und es keines weiteren Rechtsaktes bedürfe. Damit gehe es dem Konzernbetriebsrat um die Feststellung einer bereits aufgrund der Beschlussfassung des Konzernbetriebsrats eingetretenen Freistellung.

Der Streit über die Verpflichtung der Arbeitgeberin zur Freistellung des Konzernbetriebsratsvorsitzenden zu 50 % von seiner Arbeitsverpflichtung aufgrund des Beschlusses des Konzernbetriebsrats betreffe ein betriebsverfassungsrechtliches Rechtsverhältnis. Der Konzernbetriebsrat habe ein rechtliches Interesse an der gerichtlichen Feststellung, da die Arbeitgeberin die behauptete Freistellung bestreitet. Das Verfahren sei geeignet, diesen Streit abschließend zu klären.

Das Feststellungsinteresse des Konzernbetriebsrates sei nicht durch die konstituierende Sitzung des neugewählten Betriebsrats entfallen. Auch nicht dadurch, dass der Konzernbetriebsratsvorsitzende durch die Neuwahlen seine Mitgliedschaft im Konzernbetriebsrat verlor. Zum Zeitpunkt der Entscheidung des Konzernbetriebsrats gehörte der Vorsitzende diesem noch an, da seine Mitgliedschaft erst am Ende des Tages der Entscheidung durch die konstituierende Sitzung des neugewählten Betriebsrats endete.

Eine Mitgliedschaft im Konzernbetriebsrat ende zugleich mit dem Ablauf der Amtszeit im entsendenden Betriebsrat oder Gesamtbetriebsrat. Die erneute Mitgliedschaft im Konzernbetriebsrat erfordere dann eine vom Gesamtbetriebsrat oder Betriebsrat nach der Neuwahl erneut vorzunehmende Entsendung.

Die Feststellung des LAG sei unzutreffend, dass dem Konzernbetriebsrat grundsätzlich kein Anspruch auf generelle Freistellung eines oder mehrerer seiner Mitglieder zustehe. Der Anspruch auf Freistellung könne nicht auf § 38 Absatz 1 BetrVG gestützt werden. Die Vorschrift sei auf Konzern- und Gesamtbetriebsräte nicht anwendbar. Der Konzernbetriebsrat könne jedoch einen eigenen Anspruch auf eine generelle Freistellung oder Teilfreistellung eines oder mehrerer seiner Mitglieder auf § 59 Absatz 1 in Verbindung mit § 37 Absatz 2 BetrVG stützen, sofern die Freistellung für die ordnungsgemäße Durchführung der Aufgaben des Konzernbetriebsrats erforderlich ist. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts könne nicht nur der Betriebsrat, sondern auch der Konzernbetriebsrat eine pauschale Freistellung nach § 37 Absatz 2 BetrVG für seine Mitglieder geltend machen.

Betriebsrat und Konzernbetriebsrat seien unterschiedliche betriebsverfassungsrechtliche Organe mit eigenständigen und voneinander unabhängigen Aufgabenstellungen. § 59 Absatz 1 BetrVG billige dem Konzernbetriebsrat und seinen Mitgliedern einen eigenen Anspruch auf Arbeitsbefreiung zu, der unabhängig von den Verhältnissen in den jeweiligen Einzelbetriebsräten zu beurteilen sei.

Es sei dem Konzernbetriebsrat verwehrt, im Wege einer eigenen Freistellungsentscheidung Einfluss auf die Arbeitsorganisation und Aufgabenverteilung im örtlichen Betriebsrat zu nehmen. Aber auch dem örtlichen Betriebsrat stehe es nicht zu, seinerseits über die Aufgabenverteilung und Arbeitsorganisation im Konzernbetriebsrat zu befinden. Ist etwa ein Mitglied des Konzernbetriebsrats bereits nach § 38 BetrVG als Mitglied des Betriebsrats vollständig freigestellt, könne der Konzernbetriebsrat nicht zusätzlich eine pauschale Freistellung dieses Konzernbetriebsratsmitglieds beschließen.

Besteht bereits auf der Grundlage einer im Betriebsrat beschlossenen Vollfreistellung keine Verpflichtung zur Arbeitsleistung gegenüber dem Vertragsarbeitgeber, könne eine weitere Freistellungsentscheidung eines anderen Gremiums keine Auswirkungen mehr haben, da eine weitere Freistellung eines bereits vollständig freigestellten Mandatsträgers nicht möglich sei. Der Konzernbetriebsrat würde unzulässigerweise in die Kompetenzen des Betriebsrats eingreifen, falls er beschließen würde, dass die bereits beschlossene Freistellung im Betriebsrat wirkungslos wäre.

Nimmt ein Betriebsratsmitglied Aufgaben für den Konzernbetriebsrat wahr, ist es an der Durchführung von Aufgaben als Betriebsratsmitglied zeitweilig verhindert. Der Betriebsrat könne nicht die ihm zustehende Freistellung ganz oder teilweise für die Erledigung von Aufgaben des Konzernbetriebsrats verwenden, da die Freistellungsregelung in § 38 Absatz 1 BetrVG eine pauschalierende Regelung zur Arbeitsbefreiung darstelle, die ausschließlich der Erledigung von Betriebsratsaufgaben diene.

Werde ein bereits vollständig für Betriebsratstätigkeiten nach § 38 BetrVG freigestelltes Betriebsratsmitglied auch für Konzernbetriebsratsaufgaben herangezogen, habe das Mitglied dies mit seinen Aufgaben im Betriebsrat in Einklang zu bringen. Soweit dieses Betriebsratsmitglied im Einzelfall aufgrund seiner Betriebsratstätigkeiten verhindert ist, Konzernbetriebsratsaufgaben wahrzunehmen, könne dem Konzernbetriebsrat ggf. eine weitere pauschale Freistellung auf der Grundlage von § 37 Abs. 2 BetrVG zustehen. Der Betriebsrat habe im Übrigen die Möglichkeit, eine solche Konkurrenzsituation durch Abberufung seines Betriebsratsmitglieds aus dem Konzernbetriebsrat zu vermeiden und stattdessen ein anderes Mitglied in den Konzernbetriebsrat zu entsenden.

Mit der Wahl des freizustellenden Betriebsratsmitglieds durch den Betriebsrat trete nicht zugleich die Freistellung ein. Die Freistellung erfolge durch die Arbeitgeberin, nicht durch den Betriebsrat. Die Wahl zur Freistellung verpflichtet jedoch die Arbeitgeberin zur Freistellung des gewählten Betriebsratsmitglieds, sofern die Freistellung nicht sachlich unvertretbar ist.

Bestehen zwischen Arbeitgeber und Konzernbetriebsrat Meinungsverschiedenheiten über die nach § 37 Absatz 2 BetrVG zu beanspruchenden ständigen Freistellungen, trete nicht allein durch den entsprechenden Beschluss des Konzernbetriebsrats die Freistellung ein. In diesem Fall haben die Gerichte für Arbeitssachen zunächst über die Erforderlichkeit der begehrten pauschalen Freistellungen nach § 37 Abs. 2 BetrVG zu entscheiden.

Der Konzernbetriebsrat könne die pauschale Freistellung eines seiner Mitglieder nach § 59 Absatz 1, § 37 Abs. 2 BetrVG verlangen, sofern er die Freistellung für erforderlich halten darf. Das BAG könne jedoch nicht beurteilen, ob der Konzernbetriebsrat die fünfzigprozentige Freistellung für erforderlich halten durfte. Dafür bedürfe es weiterer Tatsachenfeststellungen durch das LAG.

Das Landesarbeitsgericht habe zu prüfen, ob der Betriebsratsvorsitzende im Jahr 2014 erneut in den Betriebsrat gewählt und in den Konzernbetriebsrat entsandt wurde. Der Konzernbetriebsrat müsse die zeitliche Belastung so detailliert darlegen, dass der Arbeitgeberin eine sachliche Erwiderung möglich ist. Der Konzernbetriebsrat dürfe bei seiner Entscheidung nicht nur seine eigenen Interessen berücksichtigt, sondern auch berechtigten Belangen des Vertragsarbeitgebers und des dort gebildeten Betriebsrats Rechnung tragen.

Das Urteil des LAG wurde aufgehoben und zur neuen Entscheidung und Verhandlung zurückverwiesen.