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Obergrenze einer Sozialplanabfindung

Anfechtung der Obergrenze einer Sozialplanabfindung

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 08.02.2022, Aktenzeichen 1 AZR 252/21

Sozialpläne haben typischerweise eine zukunftsbezogene Ausgleichs- und Überbrückungsfunktion, welche die voraussichtlich entstehenden wirtschaftlichen Folgen eines durch Betriebsänderung verursachten Arbeitsplatzverlusts ausgleicht oder zumindest abmildert.

Für den zu Ende Februar 2019 stillgelegten Betrieb der Arbeitgeberin wurde am 4. Januar 2019 ein auf dem Spruch der Einigungsstelle beruhender Sozialplan erstellt. Dieser enthielt eine Formel zur Berechnung der Grundabfindung. Die Berechnung berücksichtigte das Bruttomonatsgehalt und die Betriebszugehörigkeit sowie einen numerischen Faktor. Zudem wurde eine Abfindungsobergrenze festgelegt.

Ein Mitarbeiter war mit der Abfindungsobergrenze nicht einverstanden. Er vertrat die Auffassung, ihm stehe eine höhere Sozialplanabfindung zu. Die Obergrenze bewirke eine mittelbare Benachteiligung älterer Arbeitnehmer wegen des Alters nach § 3 Absatz 2 AGG (Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz). Die Deckelung sei nicht zum Ausgleich einer möglichen Benachteiligung jüngerer Arbeitnehmer gerechtfertigt, weil sie keine Verteilungsgerechtigkeit herstelle.

Vor dem Landesarbeitsgericht (LAG) beantragte der Mitarbeiter in einer Gegenklage, ihm die Differenz zu dem Betrag zu zahlen, der ohne Abfindungsobergrenze ermittelt wird. Das LAG wies den Antrag des Mitarbeiters ab. Mit seiner Revision vor dem Bundesarbeitsgericht verfolgte der Mitarbeiter sein Zahlungsbegehren weiter.

Das Bundesarbeitsgericht entschied, die Revision ist unbegründet. Der Mitarbeiter hat keinen Anspruch auf eine weitere Abfindung. Die Höchstbetragsregelung im Sozialplan ist wirksam. Die Norm verstößt nicht gegen den betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz des § 75 Absatz 1 BetrVG (Betriebsverfassungsgesetz).

Die Regelung im Sozialplan enthält zwar keine unmittelbare Benachteiligung älterer Arbeitnehmer, weil sie nicht an das Alter der Arbeitnehmer anknüpft, sondern die Abfindung für alle Arbeitnehmer mit Ausnahme derjenigen, die unter die Regelung des § 2 Nr. 5.2 SP fallen, gleichermaßen altersunabhängig auf einen Höchstbetrag begrenzt. Die dem Anschein nach neutrale Regelung kann jedoch ältere Arbeitnehmer in besonderer Weise benachteiligen. Dies führt jedoch nicht zu einer mittelbaren Benachteiligung wegen des Alters, weil die Ungleichbehandlung nach § 3 Absatz 2 Halbsatz 2 AGG gerechtfertigt ist.

Die Begrenzung der Sozialplanabfindung ist geeignet, Arbeitnehmer mit höherem Lebensalter in besonderer Weise zu benachteiligen, weil sie typischerweise für diese Arbeitnehmergruppe durch die Berücksichtigung der Dauer der Betriebszugehörigkeit gelten kann.

Eine mittelbare Benachteiligung wegen des Alters im Sinne von § 3 Absatz 2 AGG ist jedoch deshalb nicht gegeben, weil die Begrenzung der Sozialplanabfindung durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt ist und die Mittel zu dessen Erreichung geeignet, erforderlich und angemessen sind.

Mit der Festlegung einer Höchstabfindung soll ersichtlich dem Umstand Rechnung getragen werden, dass die für den Sozialplan zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel limitiert sind. Da die Abfindungen für ältere Arbeitnehmer, die nicht unter die Kappungsgrenze fallen, aufgrund ihrer regelmäßig längeren Betriebszugehörigkeit typischerweise besonders hoch ausfallen, bezweckt die Regelung, Verteilungsgerechtigkeit herzustellen. Vor dem Hintergrund begrenzter Sozialplanmittel soll möglichst allen vom Arbeitsplatzverlust betroffenen Arbeitnehmern eine verteilungsgerechte Überbrückungshilfe gewährt werden. Damit dient die Norm einem rechtmäßigen Ziel im Sinne von § 3 Absatz 2 Halbsatz 2 AGG. Die Gewährung eines Ausgleichs für die Zukunft in Sozialplänen entsprechend den Bedürfnissen der betroffenen Arbeitnehmer, die der Notwendigkeit einer gerechten Verteilung der begrenzten finanziellen Mittel Rechnung trägt, stellt sogar ein legitimes Ziel im Sinne von § 10 Satz 1 AGG dar.

Die Höchstbetragsregelung ist zudem geeignet, erforderlich und angemessen. Sie ist geeignet das Ziel der Verteilungsgerechtigkeit unter Berücksichtigung des beschränkten Sozialplanvolumens zu erreichen. Mit der Festlegung einer Obergrenze wird ein erheblicher Anstieg der Abfindung für ältere Arbeitnehmer verhindert. Dadurch wird gewährleistet, dass auch für die anderen von der Betriebsänderung betroffenen Arbeitnehmer noch Mittel für Sozialplanabfindungen zur Verfügung stehen.

Ob die hier gewählten Verteilungsmaßstäbe die Grenzen des den Betriebsparteien zustehenden Gestaltungsspielraums wahren, ist keine Frage der Geeignetheit, sondern der Angemessenheit der Regelung. Die Bestimmung ist erforderlich um möglichst allen betroffenen Arbeitnehmern eine verteilungsgerechte Überbrückungshilfe zu gewähren. Es ist nicht erkennbar, dass dieses Ziel mit gleicher Genauigkeit durch anderweitige Maßnahmen erreicht werden kann, die keine Ungleichbehandlung wegen des Alters bewirken. Eine Anhebung des Höchstbetrags oder der Verzicht hierauf, unter proportionaler Verteilung des Sozialplanvolumens auf alle Arbeitnehmer, hätte bei Einhaltung des Dotierungsrahmens zu einer Verringerung der Abfindungen jüngerer Arbeitnehmer geführt.

Die Begrenzung der Sozialplanabfindung ist auch angemessen.

Sozialpläne haben typischerweise eine zukunftsbezogene Ausgleichs- und Überbrückungsfunktion. Die in ihnen vorgesehenen Leistungen sind kein zusätzliches Entgelt für die in der Vergangenheit erbrachten Dienste, sondern sollen die voraussichtlich entstehenden wirtschaftlichen Folgen eines durch Betriebsänderung verursachten Arbeitsplatzverlusts ausgleichen oder zumindest abmildern. Dabei müssen die Betriebsparteien die mit der Betriebsänderung verbundenen Nachteile nicht vollständig kompensieren. Der von ihnen vereinbarte Sozialplan darf lediglich den Normzweck nicht verfehlen, die wirtschaftlichen Nachteile zu mildern.

Es ist nicht erkennbar, dass eine Abfindung in Höhe von 230.000,00 Euro keine substantielle Milderung der Nachteile der vom Arbeitsplatzverlust betroffenen Arbeitnehmer darstellte. Der Einwand des Mitarbeiters, dadurch sei nicht gesichert, dass ältere Arbeitnehmer den Zeitraum bis zum Renteneintritt überbrücken könnten, übersieht, dass die Einigungsstelle, ebenso wie die Betriebsparteien, nicht verpflichtet ist, mit einer Betriebsänderung ggf. verbundene Nachteile vollständig zu kompensieren.

Auch der Umstand, dass sich aufgrund der starren Obergrenze eine längere Betriebszugehörigkeit bei Arbeitnehmern mit höherem Bruttomonatsentgelt schon zu einem früheren Zeitpunkt nicht mehr abfindungserhöhend auswirkt als bei Arbeitnehmern mit geringerem Einkommen, führt nicht dazu, dass die Regelung unangemessen ist. Die Einigungsstelle ist berechtigt, im Rahmen des ihr zustehenden Beurteilungsspielraums für die Nachteile, die den Arbeitnehmern durch eine Betriebsänderung entstehen, eine pauschalierende und typisierende Bewertung vorzunehmen.

Auch nach der Rechtsprechung des europäischen Gerichtshofes kann eine Ungleichbehandlung von älteren Arbeitnehmern bei der Berechnung der Sozialplanabfindung durch ein legitimes Ziel im Sinne von Artikel 6 Absatz 1 Unterabsatz 1. 1 der Richtlinie 2000/78/EG gerechtfertigt sein, wenn der Sozialplan die Gewährung eines Ausgleichs für die Zukunft, den Schutz der jüngeren Arbeitnehmer sowie die Unterstützung bei ihrer beruflichen Wiedereingliederung und eine gerechte Verteilung der begrenzten finanziellen Mittel bezweckt.