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Fehlerhafte Sozialauswahl

Fehlerhafte Sozialauswahl bei der Bildung von Altersgruppen

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 26.03.2015, Aktenzeichen 2 AZR 478/13

Wird von der Ausnahmeregelung zur Bildung von Altersgruppen für die Sozialauswahl gebrauch gemacht, so muss die vorgenommene Altersstrukturierung tatsächlich dazu geeignet sein die bestehende Personalstruktur zu sichern.

Eine Arbeitgeberin vereinbarte mit dem Betriebsrat einen Interessenausgleich, der den Abbau von direkten und indirekten Vollzeitarbeitsplätzen vorsah. Der Sozialplan enthielt die Vorgabe, eine Altersgruppe bis 29 Jahre sowie sieben weitere Altersgruppen in 5-Jahresschritten zu bilden. Zusätzlich wurde ein Punkteschema für die Gewichtung der gesetzlichen Auswahlkriterien vorgegeben.

Die Sozialauswahl sollte unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalls erfolgen. Besondere Umstände sollten schriftlich dokumentiert werden.

Basierend auf dem Sozialplan, wurde einer mechanischen Helferin aus dem Produktionsbereich nach Anhörung des Betriebsrats ordentlich, fristgemäß gekündigt.

Die mechanische Helferin, die der Altersgruppe 55 bis 59 angehörte, klagte vor dem Arbeitsgericht gegen ihre Kündigung. Nach ihrer Ansicht sei die Sozialauswahl grob fehlerhaft. Die Kündigung sei unabhängig von der Zahl erreichter Sozialpunkte willkürlich ausgesprochen worden. In ihrer Altersgruppe seinen zwei Arbeitnehmerinnen weiterbeschäftigt worden, die zehn bis zwanzig Punkte weniger aufzuweisen hätten. In anderen Altersgruppen seien zahlreiche, im Vergleich zu ihr sozialstärkere Mitarbeiter, verschont worden.

Die mechanische Helferin beantragte festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die ordentliche Kündigung nicht aufgelöst wurde.

Die Arbeitgeberin beantragte, die Klage abzuweisen. Die Sozialauswahl sei ordnungsgemäß erfolgt. Durch die Bildung von Altergruppen sollte die bestehende Altersstruktur gesichert werden. In ihrer Altersgruppe habe die mechanische Helferin an zehntletzter Stelle gestanden. Daher sei ihr Arbeitsverhältnis in jedem Fall zu kündigen gewesen.

Das Arbeitsgericht gab der Klage statt. Das Landesarbeitsgericht (LAG) bestätigte das Urteil des Arbeitsgerichtes.

Vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) verfolgte die Arbeitgeberin weiterhin die Klageabweisung. Das BAG urteilte, das Arbeitsverhältnis sei durch die ordentliche Kündigung nicht aufgehoben worden. Die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt und deshalb unwirksam.

Eine Kündigung sei trotz dringender betrieblicher Erfordernisse sozial ungerechtfertig, wenn bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, bestehende Unterhaltspflichten sowie eine eventuelle Schwerbehinderung nicht oder unzureichend berücksichtigt werden.

Die Arbeitgeberin habe die Voraussetzung zur Sozialauswahl in Altersgruppen verkannt. Die aus der Bildung von Altersgruppen abgeleiteten Kündigungsentscheidungen müssten tatsächlich die Sicherung der Personalstruktur ermöglichen. Beruft sich die Arbeitgeberin auf die Personalstruktur, muss sie die Auswirkungen und möglichen Nachteile im Detail darlegen.

Wird eine Altersgruppe überproportional beteiligt, werde die bestehende Altersstruktur verändert. Damit sei die gesamte Sozialauswahl nach Altersgruppen hinfällig.

Dieser Fehler im Auswahlverfahren führe nicht zwangsläufig zur Unwirksamkeit der Kündigung. Die Kündigungsentscheidung sei jedoch ohne Betrachtung der Ausnahmeregelung nach den allgemeinen Grundsätzen des Kündigungsschutzgesetzes zu bewerten. Die Kündigung der mechanischen Helferin sei deshalb ohne Privileg der Altersgruppen an § 1 Abs. 3 Satz 1, § 1 Abs. 5 KSchG (Kündigungsschutzgesetz) zu messen.

Die von der Arbeitgeberin getroffene Auswahl genüge nicht den Anforderungen an eine Sozialauswahl im Rahmen von Altersgruppen. Deshalb sei es nicht gerechtfertigt, von den Grundsätzen des § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG abzuweichen.

Die prozentualen Anteile gekündigter Arbeitnehmer an Altersgruppen betrug zwischen 37,29% und 58,33%, wobei der höhere Anteil auf die älteste Altersgruppe entfiel. Der Abbau an Arbeitszeitvolumen wies eine noch höhere Differenz auf, die ebenfalls nicht mit rechnerischer Unzulänglichkeit erklärbar sei. Es sei auch nicht feststellbar, dass in den Altersgruppen eine Auswahl anhand der gesetzlichen Auswahlkriterien durch das im Sozialplan festgelegte Punkteschema erfolgte.

Im Rahmen der Gesamtgruppe mechanischer Helfer, erweise sich die Auswahl der Arbeitgeberin als grob fehlerhaft. Eine Sozialauswahl sei dann grob fehlerhaft, wenn erhebliche Abweichungen vom § 1 Abs. 3 Satz 1 KschG vorliegen und der Interessenausgleich jede soziale Ausgewogenheit vermissen lässt, speziell in Hinblick auf die klagende Arbeitnehmerin.

Die mechanische Helferin sei weitaus schutzbedürftiger als ungekündigte Arbeitnehmer der untersten Altersgruppe, die kinderlos und nicht schwerbehindert sind. Die Bevorzugung dieser sozial stärkeren Arbeitnehmer sei in keiner Weise zu rechtfertigen.