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Personalplanung mit dem Betriebsrat

Zuständigkeit des örtlichen Betriebsrats bei Personalplanung

Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 12.07.2017, Aktenzeichen 2 TaBV 5/16

Für die Personalplanung im Einzelbetrieb ist der Betriebsrat zuständig, nicht der Gesamtbetriebsrat.

Die Arbeitgeberin ist ein Großunternehmen der Automobilindustrie. Unter anderem findet der Entgeltrahmentarifvertrag (ERA-TV) Anwendung.

Die Vergütungsentwicklung der Mitarbeiter soll zukünftig ganzheitlich in einer Aktion im Führungsprozess diskutiert werden. Dazu gehört die Entwicklung tarifliches Grundentgelt, tarifliches Leistungsentgelt und übertarifliche Entgeltbestandteile. Bei diesem so genannten ganzheitlichen Führungs- und Vergütungsprozess (gFVP) handelt es sich um einen jährlichen vom Personalbereich der Arbeitgeberin gesteuerten Einkommensüberprüfungsprozess.

Die Vergütungsparameter für die Beschäftigten (tarifliches Grundentgelt, tarifliches Leistungsentgelt, übertarifliche Zulage und gegebenenfalls Belastungszulage) sollen im Rahmen des Vergütungssystems und einer jährlichen Einkommensüberprüfung regelmäßig angepasst werden.

Für die Durchführung des gFVP wird bei der Arbeitgeberin ein IT-Tool verwendet (ERAeCon). ERAeCon ist ein Instrument zur Vergütungsplanung für Führungskräfte bei der Arbeitgeberin. Zwischen den Beteiligten sei unstreitig, dass es bei der Arbeitgeberin neben dem vorstehenden beschriebenen Vergütungsprozess Personalplanung gebe, in die der Gesamtbetriebsrat einbezogen ist.

Der antragstellende Betriebsrat war der Ansicht, dass die Vorgabe der Arbeitgeberin von Soll-Entgeltgruppendurchschnitten Personalplanung darstelle und ihm deshalb ein Unterrichtungsrecht gem. den §§ 80 und 92 BetrVG (Betriebsverfassungsgesetz) zustehe. Die Vorgesetzten der einzelnen Bereiche müssten sich an den Soll-Entgeltgruppendurchschnitten orientieren und entsprechende Veränderungen im Zusammenhang mit Einstellung und Umstufung vornehmen, wenn der Ist-Entgeltgruppendurchschnitt davon abweiche. Die Vorgaben der Arbeitgeberin hätten Einfluss auf die konkrete Personalplanung.

Die Arbeitgeberin war der Meinung, dass der Betriebsrat keine Unterrichtungsansprüche hinsichtlich der bei der Arbeitgeberin gebildeten Musterbetriebe und des einzelnen Bereichs-Solls habe. Bei der Schaffung von internen Strukturen zur Steuerung der Wertigkeit einzelner Funktionsbereiche handele es sich um eine mitbestimmungsfreie Unternehmerentscheidung. Diese Planung der Personalorganisation sei der eigentlichen Personalplanung vorgelagert.

Das Arbeitsgericht hat mit Beschluss vom 23. März 2016 den Antrag des Betriebsrats zurückgewiesen. Dem Betriebsrat stünden keine Unterrichtungsansprüche zu. Bei der Erstellung von Musterbetrieben befinde sich die Arbeitgeberin in einem Stadium der unternehmerischen Entscheidung, wie sie ihren Betrieb abstrakt aufstellen wolle. Die Bildung des Bereichs-Solls und der anschließende Vergleich mit den Ist-Zahlen stelle noch keine Personalplanung dar, weil diesem Vergleich noch nicht zwingend eine personelle Maßnahme folge. Erst wenn die Führungskraft des Fachbereichs aus dem Vergleich der Soll-Zahlen und der Ist-Zahlen Konsequenzen ziehe und personelle Maßnahmen ins Auge fasse, sei das Stadium der Personalplanung erreicht und der Betriebsrat zu unterrichten.

Der Betriebsrat legte Beschwerde gegen das Urteil des Arbeitsgerichtes ein. Er habe Unterrichtungsansprüche hinsichtlich der bei der Arbeitgeberin gebildeten Musterbetriebe und der daraus abgeleiteten Soll-Bereichsentgeltgruppendurchschnitte.

Mit der Festlegung von Musterbetrieben erfolge eine Einflussnahme auf die Personalplanung im jeweiligen Bereich. Musterbetriebe seien ein Steuerungsinstrument, das direkten Einfluss auf die Personalfeinplanung und die sich daraus ergebenden personellen Einzelmaßnahmen habe. Die aus den Musterbetrieben abgeleiteten Soll-Bereichsentgeltgruppendurchschnitte seien entgegen der Meinung der Arbeitgeberin nicht nur unverbindliche Vorüberlegungen einer danach stattfindenden Personalplanung. Vielmehr verwende die Arbeitgeberin diese Kennzahlen als Vorgaben für die jeweiligen Bereichsvorgesetzten.

Der Betriebsrat mache im vorliegenden Verfahren kein Mitbestimmungsrecht, sondern nur Informationsrechte geltend. Der Arbeitgeberin bleibe völlig frei, wie sie ihre Personalplanung vornehme. Sie müsse aber den Betriebsrat über Planungen so rechtzeitig und umfassend informieren, dass der Betriebsrat nach Erhalt der Informationen auf die Planungen der Arbeitgeberin noch Einfluss nehmen könne.

Nach Durchführung des ersten Anhörungstermins am 5. Oktober 2016 vor dem Landesarbeitsgericht wurde der bei der Arbeitgeberin bestehende Gesamtbetriebsrat als weiterer Beteiligter im vorliegenden Verfahren einbezogen. Der Gesamtbetriebsrat schloss sich dem Vortrag und der rechtlichen Würdigung des Betriebsrats im vorliegenden Verfahren an und war der Ansicht, dass – neben dem örtlichen Betriebsrat – auch dem Gesamtbetriebsrat die Unterrichtungsrechte zustehen.

Der Gesamtbetriebsrat argumentierte, es sei lebensfremd anzunehmen, dass die jeweiligen Führungskräfte die Bereich-Soll-Werte lediglich als unverbindliche Vorgaben betrachteten und nicht bei personellen Maßnahmen berücksichtigten. Auch die Personalkostenplanung, wozu die Planung der Entgeltgruppendurchschnitte zu zählen sei, sei Teil der Personalplanung.

Die Arbeitgeberin beantragte die Klageabweisung. Der Vergütungsprozess (gFVP) bei der Arbeitgeberin, in dem jährlich individuelle Vergütungsanpassungen geplant werden, finde völlig unabhängig vom eigentlichen Personalplanungsprozess statt. Vergütungs- und Personalplanungsprozess seien sowohl zeitlich, örtlich als auch ablaufmäßig vollständig getrennt. Im Gegensatz zum Personalplanungsprozess, in dem der Bedarf an zukünftigen Arbeitskräften geplant werde, befasse sich der Personalvergütungsprozess in keinster Weise mit Mitarbeiterzahlen. Deshalb könnten die im Personalplanungsprozess selbstverständlich stattfindenden Beratungen mit dem Betriebsrat nicht auf den Vergütungsprozess übertragen werden. Die Planung der Personalorganisation falle nicht unter § 92 BetrVG (Betriebsverfassungsgesetz).

Der Betriebsrat sei auch nicht antragsbefugt. Die Musterbetriebe würden für die Werke und Zentralbereiche der Arbeitgeberin insgesamt und nicht für Einzelbetriebe gebildet. Wenn überhaupt, könne im vorliegenden Verfahren lediglich der Gesamtbetriebsrat einen Unterrichtungsanspruch haben.

Das Landesarbeitsgericht (LAG) urteilte, der Betriebsrat habe einen Unterrichtungsanspruch bezüglich der betrieblichen Kennzahlen der Bereichs-Soll-Entgeltgruppendurchschnitte. Die Beschwerde des Gesamtbetriebsrats sei hingegen nicht begründet.

Die Arbeitgeberin habe die technische Möglichkeit, die elektronisch gespeicherten Daten entsprechend dem Begehren des Betriebsrats zusammenzustellen und ihm zur Verfügung zu stellen.

Die Bildung der Bereichs-Soll-Entgeltgruppendurchschnitte sei Teil der Personalplanung im Sinne des § 92 BetrVG. Für diese auf den Betrieb beschränkte Personalplanung sei der Betriebsrat, jedoch nicht der Gesamtbetriebsrat zuständig. Dagegen seien die bei der Arbeitgeberin gebildeten Musterbetriebe für die Organisation des jährlichen Vergütungsprozesses geschaffen worden. Sie seien nicht Teil der Personalplanung im Sinne des § 92 BetrVG.

Nach § 92 Abs. 1 Satz 1 BetrVG hat die Arbeitgeberin den Betriebsrat über die Personalplanung, insbesondere über den gegenwärtigen und künftigen Personalbedarf, anhand von Unterlagen rechtzeitig und umfassend zu unterrichten. Dabei ist für die Personalplanung die Arbeitgeberin verantwortlich. In deren Leitungsfunktion darf der Betriebsrat nicht eingreifen. Deshalb hat der Betriebsrat kein Mitbestimmungsrecht bei der Personalplanung, sondern Unterrichtungs- und Beratungsrechte in dem Umfang, in dem die Arbeitgeberin Personalplanung durchführt.

Unter Personalplanung verstehe man jede Planung, die sich auf den gegenwärtigen und künftigen Personalbedarf in quantitativer und qualitativer Hinsicht, auf deren Deckung im weitesten Sinne und auf den abstrakten Einsatz der personellen Kapazität beziehe. Die Personalkostenplanung sei Teil der Personalplanung im Sinne des § 92 BetrVG. Die Planung der Personalkosten betreffe die Kosten, die bei Erfüllung der Planziele Personalbeschaffung, -einsatz, -entwicklung und -abbau entstünden.

Der Betriebsrat sei über die Planung zu unterrichten. Planung bestehe im systematischen Suchen und Festlegen von Zielen sowie im Vorbereiten von Aufgaben, deren Durchführung zum Erreichen der Ziele erforderlich ist. Der Plan ist das Ergebnis der Planung. Das Stadium der Planung gehe also der Entscheidung über den Plan voraus. Der Betriebsrat sei in der Phase der Entscheidungsfindung, d.h. vor der Entscheidung über einen Plan zu beteiligen.

Die Bildung und Offenlegung der Bereichs-Soll-Entgeltgruppendurchschnitte sei geeignet, die jeweiligen Führungskräfte bei der Arbeitgeberin in ihren personalorganisatorischen Maßnahmen zu beeinflussen und auch psychologischen Druck auszuüben. Es komme nicht darauf an, ob dieser psychologische Druck von der Arbeitgeberin beabsichtigt sei.

Jede Führungskraft werde interessiert zur Kenntnis nehmen, ob ihr Bereich über oder unter den Soll-Werten liegt. Sonst hätten die Soll-Zahlen keinen Sinn. Die Führungskraft werde sich deshalb bei der Organisation ihres Personals an den Soll-Werten orientieren. Es sei bei lebensnaher Betrachtung nicht auszuschließen, dass die jeweilige Führungskraft abseits von Wertigkeiten der Arbeitsaufgaben auf das Bereichs-Soll schaut und dieses bei der Organisation des Personals berücksichtige.

Erst die Kenntnis des Betriebsrats über die Bereichs-Soll-Entgeltgruppendurchschnitte und die entsprechenden Ist-Zahlen versetzten ihn in die Lage, in Bereichen mit erheblichen Differenzen dieser Kennzahlen mitbestimmungspflichtige personelle Einzelmaßnahmen im Sinne des § 99 BetrVG sachkundiger und kritischer betrachten zu können. Erst dadurch bestehe für ihn die gesetzgeberisch gewollte Möglichkeit, schon in einem frühen Stadium auf die Personalplanung der Arbeitgeberin Einfluss nehmen zu können.

Der Betriebsrat habe ein rechtzeitiges und umfassendes Unterrichtungsrecht bezüglich der beschriebenen Personalplanung. Das Unterrichtungsrecht umfasse die Zurverfügungstellung der erforderlichen Unterlagen. Ein bloßes Vorlesen oder Zitieren aus den Unterlagen oder lediglich der Einblick in die Unterlagen bzw. Datenträger reiche nicht aus, um der vom Gesetz gewollten umfassenden Unterrichtung des Betriebsrats zu genügen.

Die nach dem Gesetz erforderliche umfassende Unterrichtung des Betriebsrats führe dazu, dass die Arbeitgeberin dem Betriebsrat die Bereichs-Soll-Entgeltgruppendurchschnitte nicht nur pauschal für die einzelnen Einheiten zur Verfügung stellen müsse, sondern auch für die einzelnen Funktionen und gegebenenfalls Fachketten der jeweiligen Einheiten, unter Angabe der Anzahl der zugeordneten Arbeitnehmer.

Die Arbeitgeberin habe den Betriebsrat mindestens einmal jährlich vor Durchführung der Umsetzungskonferenzen „Führung und Vergütung” zu unterrichten.

Für die auf den Betrieb beschränkte Personalplanung ist der Betriebsrat, jedoch nicht der Gesamtbetriebsrat zuständig.

Die Rechtsbeschwerde zum Urteil wurde zugelassen.