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Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats für den Abschluss einer Gesamtbetriebsvereinbarung.

Gesamtbetriebsrat zuständig für einheitliche unternehmensweite Entlohnungsgrundsätze

Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Urteil vom 31.08.2020, Aktenzeichen 1 TaBV 102/19

Im Fall eines mit allen Betrieben im Hinblick auf Struktur, Aufgaben und Tätigkeit gleichartigen und mit allen Betrieben an denselben Mantel- und Entgelttarifvertrag gebundenen Unternehmens, das die außertariflichen Angestellten unternehmenseinheitlich nach einer an die bindenden Tarifverträge anknüpfenden gleichartigen Vergütungsstruktur behandeln möchte, besteht die erforderliche sachliche Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats für den Abschluss einer Gesamtbetriebsvereinbarung.

Die Arbeitgeberin ist ein Unternehmen mit bundesweit ca. 8 500 Mitarbeiter. Bundesweit gelten im Unternehmen ein einheitlicher Manteltarifvertrag sowie ein Entgelttarifvertrag. Für 12 Flächenbetriebe und einen zentralen Betrieb für das Management ist jeweils ein Betriebsrat gebildet. Zusätzlich gibt es einen Gesamtbetriebsrat.

In einem der Flächenbetriebe verweigerte der Betriebsrat seine Zustimmung zur Eingruppierung mehrerer außertariflicher Angestellter. Die Arbeitsverhältnisse der außertariflichen Mitarbeiter werden seit dem Jahr 2006 durch eine Gesamtbetriebsvereinbarung (GBV) für nichtleitende außertarifliche Arbeitnehmer bezüglich Mindestbedingungen des Arbeitsvertrages und für das Gehalt geregelt. Arbeitgeberin und Gesamtbetriebsrat haben regelmäßig die Gehaltsobergrenzen der GBV angepasst sobald im Tarifbereich die Gehälter angepasst wurden.

Für den Neuabschluss der GBV erteilte der Betriebsrat zunächst dem Gesamtbetriebsrat ein Verhandlungsmandat, zog dieses aber im April 2019 wieder zurück. Im August 2019 wurde die neue GBV zwischen Arbeitgeberin und Gesamtbetriebsrat vereinbart.

Im Jahr 2018 wurde das Geschäft des Unternehmens bundesweit neu strukturiert. Es wurden neue Stellen für Marktleiter geschaffen, die Stellen der bisherigen Filialleiter entfielen. Im betroffenen Flächenbetrieb hatte die Arbeitgeberin den Betriebsrat um Zustimmung für die Eingruppierung mehrerer Personen als Marktleiter gebeten. Für einige dieser Eingruppierungen hat der Betriebsrat seine Zustimmung mit dem Hinweis verweigert, das Mitbestimmungsrecht aus § 87 Absatz 1 Nr. 10 BetrVG (Betriebsverfassungsgesetz) zur Regelung der Vergütungsgrundsätze für nichtleitende außertarifliche Angestellte stehe dem örtlichen Betriebsrat zu. Die Einführung eines neuen Eingruppierungssystems stelle eine mitbestimmungspflichtige Veränderung der betrieblichen Lohnstruktur dar.

Mit einem im März 2019 eingeleiteten Verfahren beim Arbeitsgericht, begehrte die Arbeitgeberin die Zustimmungsersetzung des Betriebsrats zu den streitgegenständlichen Eingruppierungen. Das Arbeitsgericht wies die Anträge der Arbeitgeberin mit der Begründung zurück, das Mitbestimmungsrecht stehe grundsätzlich dem örtlichen Betriebsrat zu. Eine Beauftragung des Gesamtbetriebsrats sei nicht feststellbar.

Daraufhin legte die Arbeitgeberin Beschwerde beim Landesarbeitsgericht (LAG) ein. Sie vertrat die Auffassung, der Gesamtbetriebsrat sei für den Abschluss der Gesamtbetriebsvereinbarung (GBV) zuständig. Die Marktleiter seien überregional und teilweise betriebsübergreifend tätig, sodass einheitliche Vergütungsstrukturen rechtlich geboten seien. Nach der über ein Jahrzehnt gelebten Behandlung der außertariflichen Angestellten entsprechend der GBV sei davon auszugehen, dass der Betriebsrat das Verhandlungsmandat auf den Gesamtbetriebsrat delegiert habe. Es sei auch zu berücksichtigen, dass die jährlich vorgenommene Gehaltsanpassung der außertariflichen Mitarbeiter an die Entwicklungen im Tarifbereich freiwillige Leistungen darstelle. Beim Landesarbeitsgericht (LAG) beantragte die Arbeitgeberin weiterhin die Zustimmungsersetzung des Betriebsrats zur Eingruppierung der betroffenen außertariflichen Mitarbeiter.

Das Landesarbeitsgericht entschied, der Betriebsrat habe seine Zustimmung zur Eingruppierung zu Unrecht verweigert. Der geltend gemachte Zustimmungsverweigerungsgrund nach § 99 Absatz 2 Nr. 1 in Verbindung mit § 87 Absatz 1 Nummer 10 BetrVG liege nicht vor.

Die Arbeitgeberin habe den Betriebsrat ordnungsgemäß über die beabsichtigten personellen Maßnahmen unterrichtet und damit das Zustimmungsersetzungsverfahren eingeleitet.

Der Betriebsrat habe in Fragen der betrieblichen Lohngestaltung, insbesondere bei der Aufstellung und Änderung von Entlohnungsgrundsätzen und der Einführung und Anwendung von neuen Entlohnungsmethoden sowie deren Änderungen mitzubestimmen. Auch bei außertariflichen Leistungen sei das Mitbestimmungsrecht durch den Einleitungssatz des § 87 Absatz 1 BetrVG nicht ausgeschlossen. Die arbeitnehmernahe Repräsentation durch den Betriebsrat habe Vorrang und begründe grundsätzlich die Zuständigkeit des örtlichen Betriebsrats. Je weniger ein Regelungsgegenstand mit den Besonderheiten eines einzelnen Betriebes zu tun hat, desto eher sei der Gesamtbetriebsrat zuständig.

Grundsätzlich soll nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts das Mitbestimmungsrecht aus § 87 Absatz 1 Nr. 10 BetrVG bei der Regelung der Vergütungsstruktur der außertariflichen Angestellten den örtlichen Betriebsräten und nicht originär dem Gesamtbetriebsrat zustehen. Besteht ein zwingendes Erfordernis für betriebsübergreifende Regelungen sei der Gesamtbetriebsrat zuständig. Davon sei auszugehen, wenn die Arbeitgeberin im Bereich der freiwilligen Mitbestimmung zu einer Maßnahme, Regelung oder Leistung nur betriebsübergreifend bereit ist.

Wenn die Arbeitgeberin mitbestimmungsfrei darüber entscheiden könne, ob sie eine Leistung überhaupt erbringt, könne sie diese von der überbetrieblichen Regelung abhängig machen und so die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats für den Abschluss einer entsprechenden Betriebsvereinbarung herbeiführen. Die bloße Zweckmäßigkeit oder der Wunsch nach einer unternehmenseinheitlichen Regelung sei hingegen nicht geeignet, in Angelegenheiten der zwingenden Mitbestimmung die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats zu begründen.

Beinhalte die Regelung eine jährliche Gehaltsanpassung, handele es sich um eine freiwillig eingegangene Verpflichtung, die die Arbeitgeberin von einer unternehmenseinheitlichen und deshalb mit dem Gesamtbetriebsrat zu vereinbarender Regelung abhängig machen könne.

Im vorliegenden Fall seien alle Betriebe des Unternehmens im Hinblick auf Struktur, Aufgaben und Tätigkeit gleichartig und alle Betriebe an denselben Mantel- und Entgelttarifvertrag gebunden.

Da die Arbeitgeberin die außertariflichen Angestellten unternehmenseinheitlich nach einer an die bindenden Tarifverträge anknüpfenden gleichartigen Vergütungsstruktur behandeln möchte, bestehe die erforderliche sachliche Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats für den Abschluss einer Gesamtbetriebsvereinbarung.

Die Arbeitgeberin habe in ihren nach Struktur, Aufgaben und ausgeübter Tätigkeit identischen Betrieben unternehmensweit eine einheitliche Vergütungsstruktur geschaffen und Lohngerechtigkeit umgesetzt. Sie habe alle diesbezüglich erforderlichen Maßnahmen ergriffen. Im Tarifbereich sei sie eine Tarifbindung eingegangen. Sie habe die unternehmenseinheitliche Vergütungsstruktur durch Vereinbarung von Mantel- und Entgelttarifvertrag mit der zuständigen Gewerkschaft verbindlich umgesetzt. Die betriebliche Mitbestimmung war insoweit nach § 87 Absatz 1 Satz 1 BetrVG ausgeschlossen.

Die Arbeitgeberin verfolge das legitime und sachlich begründete Ziel, in ihren gleichartigen Betrieben und für identische außertarifliche Tätigkeiten ein einheitliches Vergütungssystem zu schaffen, welches auf dem unternehmensweit geltenden tariflichen System aufbaut. Welche Struktur greift, könne die Arbeitgeberin nicht vorgeben, insoweit greife die Mitbestimmung nach § 87 Absatz 1 Nr. 10 BetrVG. Es bedeutete aber einen Eingriff in die unternehmerische Organisationsfreiheit, wenn die Mitbestimmung auf betrieblicher Ebene bliebe und das legitime und überbetrieblich umsetzbare Regelungsziel damit faktisch unerreichbar bliebe. In diesem Fall könne die Angelegenheit nicht nach § 50 Absatz 1 Halbsatz 2 BetrVG durch die einzelnen Betriebsräte innerhalb ihrer Betriebe geregelt werden. Es sei vielmehr zwingend geboten, die Vergütungsstruktur unternehmenseinheitlich festzulegen, so dass in der vorliegenden Konstellation nach § 50 Absatz 1 BetrVG der Gesamtbetriebsrat zuständig sei.

Die Betriebe seien in Struktur, Aufgabe und Tätigkeit identisch, die Arbeitgeberin habe ihr Unternehmen bundesweit nach einheitlichen Strukturen organisiert. Sie sei tarifgebunden und wende auf alle Tarifbeschäftigten in allen Betrieben denselben Manteltarifvertrag und denselben Entgelttarifvertrag an. Sie habe aufbauend auf diesen einheitlichen Tarifregelungen mit dem Gesamtbetriebsrat die Gehaltsregelung für außertarifliche nichtleitende Arbeitnehmer vereinbart, ohne dass es auf betriebliche Besonderheiten ankommen soll.

Die Jahreszielgehälter werden jeweils zwischen der Arbeitgeberin und dem Gesamtbetriebsrat bei einer Anpassung der Tarifgehälter erhöht, der Betrag wird entsprechend des Zeitpunktes und des Umfangs linearer Tariferhöhungen im Tarifbereich angepasst. Auch die Regelungen zur Höhe des Bonus dokumentierten den legitimen Wunsch der Arbeitgeberin nach einer unternehmensweit geltenden einheitlichen Vergütungsstruktur.

In der vorliegenden Konstellation liege keine einseitig an den Interessen des Unternehmens orientierte Lohngestaltung, sondern eine auch an den Interessen der außertariflichen Beschäftigten orientierte transparente und durchsichtige Regelung des außertariflichen Lohn- und Gehaltsgefüges. Nur mit einer unternehmenseinheitlichen Vergütungsstruktur könne der erkennbar intendierten unternehmensweiten Lohn- und Gehaltsgerechtigkeit Rechnung getragen werden. Welche Struktur zur Anwendung kommt obliege der Mitbestimmung, die nach § 50 Absatz 1 BetrVG vorliegend vom Gesamtbetriebsrat auszuüben sei.

In den Grenzen von § 612 BGB obliege das Volumen der zur Vergütung aller Mitarbeiter bereitgestellten Mittel und die Entscheidung über zukünftige Aufstockungen dieses Volumens allerdings der Arbeitgeberin. Mangels Tarifgebundenheit in diesem Bereich leiste sie Vergütungsbestandteile freiwillig, ohne hierzu normativ verpflichtet zu sein. Auch die Entscheidung, ob Gehälter erhöht werden sollen oder nicht, sei mitbestimmungsfrei, so dass sie jährliche Gehaltsanpassungen an die Bedingung einer unternehmensweiten Regelung knüpfen könne.

Der Betriebsrat hatte in der Sache keine weitergehenden Einwände gegen die streitgegenständlichen Eingruppierungen erhoben. Die Zustimmungen waren deshalb zu ersetzen.

Eine Rechtsbeschwerde zu dieser Entscheidung wurde zugelassen.