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Regelmäßige Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit bei Arbeit auf Abruf

Annahmeverzugsansprüche bei Arbeit auf Abruf

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 18.10.2023, Aktenzeichen 5 AZR 22/23

Das Bundesarbeitsgericht hat mit seiner Entscheidung vom 18.10.2023 die klägerseitige Revision gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 29.11.2022 zurückgewiesen.  

In erster und zweiter Instanz stritten die Parteien über die Vergütung wegen Annahmeverzugs und – im Wege der Feststellungsklage – über die für das Arbeitsverhältnis maßgebliche Arbeitszeit.  

Die seit 2009 bei der Beklagten beschäftigte Klägerin ist auf Abruf beschäftigt. Im Arbeitsvertrag ist keine wöchentliche Arbeitszeit festgelegt. Die Klägerin ist von der Beklagten in der Zeit von Januar 2017 bis Dezember 2019 in unterschiedlichem Umfang bedarfsgemäß zur Arbeit herangezogen worden. Ab Januar 2020 entfiel im Betrieb der Beklagten die Samstagsarbeit, die bis dahin gemäß mit dem Betriebsrat geschlossenen Betriebsvereinbarungen nicht in die wöchentliche Regelarbeitszeit fiel und grundsätzlich freiwillig war. Hierdurch verringerte sich der Umfang des Abrufes der Arbeitsleistungen der Klägerin durch die Beklagte ab diesem Zeitpunkt.

Die Klägerin machte außergerichtlich gegen die Beklagte Vergütung wegen Annahmeverzugs für vorangegangene Monate erfolglos geltend und erhob schließlich Klage wegen der Vergütungsansprüche und dem Begehren nach Feststellung einer bestimmten, ab dem Jahr 2020 nach ihrer Auffassung für das Arbeitsverhältnis maßgeblichen regelmäßigen monatlichen Arbeitszeit. Die Klägerin hat dargelegt, in den Jahren 2017 bis 2019 unter Einschluss der Arbeit an Samstagen durchschnittliche 103,2 Stunden monatlich gearbeitet zu haben. Sie ist der Meinung, dass dadurch arbeitsvertraglich konkludent eine monatliche Arbeitszeit von 103,2 Stunden als vereinbart anzusehen ist. Soweit die Beklagte ab dem Jahr 2020 eine geringere Arbeitszeit bei der Klägerin abgerufen hat, begehrt die Klägerin die Zahlung der Differenzvergütung von der Beklagten.  

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen. Sie ist der Auffassung, dass mangels anderslautender Festlegung der Parteien § 12 Abs. 1 Satz 3 TzBfG gelte, der in diesem Fall eine wöchentliche Arbeitszeit von 20 Stunden als vereinbart vorsieht. Da dies vom Gesetz so vorgesehen ist, scheidet nach Auffassung der Beklagten auch eine ergänzende Vertragsauslegung aus. Ein Abstellen auf die durchschnittliche Arbeitsleistung aus den Vorjahren betrachtet sie als willkürlich. Die freiwillige Samstagsarbeit in den Vorjahren ist nach ihrer Auffassung bei der Berechnung der Durchschnittsarbeitszeit ebenfalls nicht zu berücksichtigen.  

Das Gericht 1. Instanz folgte überwiegend den Ausführungen der Beklagten und stellte fest, dass die zu erbringende regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit der Klägerin 20 Stunden umfasst. Es hat darauf basierend dem Zahlungsantrag teilweise entsprochen und die Klage im Übrigen abgewiesen. Gegen das erstinstanzliche Urteil legte die Klägerin Berufung ein, die das zuständige Landesarbeitsgericht zurückgewiesen, jedoch auch die Revision zugelassen hat.  

Für das Bundesarbeitsgericht ist die Revision der Klägerin unbegründet; die Vorinstanzen hätten zutreffend entschieden, dass im Arbeitsverhältnis der Parteien in Auslegung des § 12 Abs. 1 Satz 3 TzBfG eine wöchentliche Arbeitszeit von 20 Stunden als vereinbart anzunehmen ist. Nach dem BAG kommt es nicht in Betracht, eine ergänzende Vertragsauslegung auf die tatsächlichen Verhältnisse in einem willkürlich festgelegten Zeitraum vorzunehmen. Es verneint daher den Anspruch auf Vergütung wegen Annahmeverzugs wegen eines die Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit nach § 12 Abs. 1 Satz 3 TzBfG nicht unterschreitenden, aber den Durchschnitt der hier in Frage stehenden Jahre 2017 bis 2019 nicht erreichten Abrufes der Arbeitsleistung der Klägerin.  

In seinen Entscheidungsgründen führt das BAG aus, dass die Klage insgesamt zulässig sei. Unerheblich sei dabei, ob noch ein Feststellungsinteresse seitens der Klägerin als echte Prozessvoraussetzung für ein stattgebendes Urteil bestehe, da die Klägerin die von der Beklagten im Laufe des Revisionsverfahrens wegen Betriebsstilllegung erklärte Kündigung des Arbeitsverhältnisses sowie die bereits erfolgte Freistellung von der Erbringung der Arbeitsleistung nicht angegriffen hat.  

Die Leistungsklage im noch anhängigen Umfang hält auch das BAG für unbegründet. Es sieht einen Anspruch auf Vergütung wegen Annahmeverzuges gemäß § 615 Satz 1 iVm § 611a Abs. 2 BGB auch nicht als gegeben an. Es führt aus, dass der Anspruch zwar nicht schon an einem fehlenden Angebot der Klägerin zur Erbringung von mehr als der von der Beklagten im strittigen Zeitraum abgerufene Arbeitsleistung scheitere, die Beklagte aber ihrerseits nicht in dem von der Klägerin geltend gemachten Umfang in Annahmeverzug geraten kann, weil im Arbeitsverhältnis der Parteien seit dem 01.01.2019 nach § 12 Abs. 1 Satz 3 TzBfG eine Arbeitszeit von (nur) 20 Wochenstunden als vereinbart galt.

Obwohl § 12 Abs. 1 Satz 2 TzBfG vorgibt, dass die Vertragsparteien eine bestimme Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit bei der Vereinbarung einer Arbeit auf Abruf festlegen müssen, haben dies die Klägerin und die Rechtsvorgängerin der Beklagten bei Abschluss des Arbeitsvertrages im Jahr 2009 unterlassen und eine konkrete Dauer nicht vereinbart. Auch sei aus Sicht des BAG eine Festlegung der Arbeitszeitdauer durch konkludente Vereinbarung nicht erfolgt; zumal nach dem Sachvortrag der Klägerin für die von ihr angenommenen durchschnittlichen 103,2 Stunden monatlich jegliche Anhaltspunkte fehlen. Dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer während des Arbeitsverhältnisses auf Abruf überhaupt nicht zur Tätigkeit heranzieht, soll durch die Vereinbarung einer Mindestarbeitszeit verhindert werden. Eine Vereinbarung einer Arbeit auf Abruf ist aber nicht schon deswegen unwirksam, weil die Festlegung einer bestimmten wöchentlichen Dauer der Arbeitszeit fehlt. Nach §12 Abs. 1 Satz 3 TzBfG gilt seit dem 01.01.2019 (Zeitpunkt der Gesetzesänderung) vielmehr eine wöchentliche Zahl von 20 Stunden als Arbeitszeit vereinbart.  Im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung ergibt sich über die Fiktion des § 12 Abs. 1 Satz 3 TzBfG keine hinausgehende Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit. Die im Arbeitsvertrag der Parteien von Anbeginn und nach mutmaßlichem Willen bestehende Regelungslücke kann durch die Heranziehung des dispositiven Gesetzesrechts (§ 12 Abs. 1 Satz 3 TzBfG ab 01.01.2019) sachgerecht geschlossen werden.  

Die Klägerin hat keine Anhaltspunkte dafür vorgetragen, dass die Fiktion des § 12 Abs. 1 Satz 3 TzBfG, die gerade die durch den Verstoß der Arbeitsvertragsparteien gegen § 12 Abs. 1 Satz 2 TzBfG entstandene Regelungslücke schließen soll, im betreffenden Arbeitsverhältnis keine sachgerechte Regelung ist und objektive Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie mit der Arbeitgeberin bei Kenntnis der Regelungslücke bei Vertragsschluss eine andere Bestimmung getroffen und eine höhere (oder niedrigere) Dauer der wöchentlichen vereinbart hätte. Das Gericht führt aus, dass ein Rückschluss auf den mutmaßlichen Willen der Klägerin und der Rechtsvorgängerin der Beklagten nicht allein auf das Abrufverhalten der Beklagten in den weit nach Vertragsbeginn liegenden Jahren 2017 bis 2019 nicht getroffen werden kann.  

Da die anfängliche Regelungslücke durch die Fiktion des § 12 Abs. 1 Satz 3 TzBfG im vorliegenden Fall geschlossen wurde, gilt fortan kraft Gesetzes eine wöchentliche Arbeitszeit von 20 Stunden als vereinbart. Nachträglich kann deshalb eine Regelungslücke nicht mehr entstehen. Die Arbeitsvertragsparteien können in der Folgezeit ausdrücklich oder konkludent aber eine andere Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit vereinbaren. Im vorliegenden Fall ist weder eine ausdrückliche Vereinbarung über eine geänderte Dauer unstreitig zwischen den Parteien geschlossen worden, noch fehlt es an einer konkludenten Vereinbarung abweichend von §12 Abs. 1 Satz 3 TzBfG. Das bloße Abrufverhalten der Beklagten im Zeitraum 2017 bis 2019 reicht nicht aus für eine entsprechend konkludente Vereinbarung der Parteien, es basiert lediglich auf dem in diesem Zeitraum bestehenden Beschäftigungsbedarf. Ein rechtsgeschäftlicher Erklärungswert dahingehend, die Beklagte wolle sich für die Zukunft an eine von § 12 Abs. 1 Satz 3 TzBfG abweichende höhere Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit binden, kommt dem bloß tatsächlichen Verhalten des Arbeitsleistungsabrufes nicht zu, zumal § 12 Abs. 2 TzBfG grundsätzlich die Möglichkeit einer Heranziehung in gewissen Umfang über eine festgelegte Mindestarbeitszeit hinaus vorsieht. Auch allein die Bereitschaft der Klägerin, in einem bestimmten Zeitraum mehr als nach § 12 Abs. 1 Satz 3 TzBfG geschuldet zu arbeiten, rechtfertigt nicht die Annahme, sie wolle sich dauerhaft in einem höheren zeitlichen Umfang als gesetzlich vorgesehen binden.  

Das Gericht bewertet, weil sich die Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit nach § 12 Abs. 1 Satz 3 TzBfG bemisst und die Parteien zu keinem Zeitpunkt eine Arbeitszeit von 103,2 Stunden im Monat vereinbart haben, die Feststellungsanträge der Klägerin jedenfalls als unbegründet.  

Der Klägerin wurden die Kosten des Revisionsverfahrens auferlegt.