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Betriebsrat unterliegt Begründungspflicht für Zustimmungsverweigerung

Betriebsrat muss Gründe für Zustimmungsverweigerung nennen

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 23.08.2016, Aktenzeichen 1 ABR 22/14

Es ist nicht möglich, durch eine Betriebsvereinbarung einen Betriebsrat von seiner Begründungspflicht für die Zustimmungsverweigerung zu befreien.

Arbeitgeberin ist eine Gewerkschaft. Der Betriebsrat amtiert in deren Landesbezirk Bayern.

Die Arbeitgeberin ersuchte den Betriebsrat um die Zustimmung zur Versetzung einer Arbeitnehmerin. Sie hatte sich als Einzige auf eine Stellenausschreibung für eine gewerkschaftspolitische Assistenz beworben. Der Betriebsrat widersprach der Maßnahme. Es läge keine 5-jährige Beschäftigungszeit vor. Die Stelle sei in der Personalplanung nicht vorgesehen.

Die Arbeitgeberin rief die Einigungsstelle an. Die Einigungsstelle beschloss, die Qualifizierung und der Einsatz der Arbeitnehmerin können stattfinden.

Der Betriebsrat beantragte beim Arbeitsgericht, den Spruch der Einigungsstelle für unwirksam zu erklären. Der Betriebsrat sei in seiner Zustimmungsverweigerung nicht auf Zustimmungsverweigerungsgründe nach § 99 Absatz 2 BetrVG beschränkt. Im Zustimmungsverfahren nach § 4 Absatz 1 der Vereinbarung zur erweiterten Mitbestimmung für Betriebsräte (GBV EM) gelte nicht die Wochenfrist des § 99 Absatz 3 Satz 1 BetrVG und es greife nicht die Zustimmungsfiktion nach dessen Satz 2. Zwischen den Mitgliedern des Betriebsrats und der Landesbezirksleiterin sei besprochen worden, bei personellen Maßnahmen kämen außer in den Fällen des § 100 BetrVG keine Fristen zur Anwendung.

Die Gewerkschaft als Arbeitgeberin vertrat die Auffassung, § 99 Absatz 2 und 3 BetrVG seien im Zustimmungsverfahren zu beachten. Die Vereinbarung zur erweiterten Mitbestimmung (GBV EM) habe die erzwingbare Mitbestimmung hinsichtlich der Regelungsgegenstände erweitert, jedoch nicht hinsichtlich des im Übrigen gesetzlich geregelten Verfahrens. Das folge auch aus § 4 Absatz 4 und § 9 Absatz 1 GBV EM.

Das Arbeitsgericht gab den Anträgen des Betriebsrats statt. Das Landesarbeitsgericht (LAG) wies Teilanträge des Betriebsrats ab und das Rechtsmittel der Beschwerde der Arbeitgeberin zurück. Mit seiner Rechtsbeschwerde vor dem Bundesarbeitsgericht verfolgt der Betriebsrat seinen Anträge in vollem Umfang weiter.

Das BAG urteilte, die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats sei teilweise erfolgreich, sei jedoch in dem Teil unzulässig, in dem das Arbeitsgericht bereits den Spruch der Einigungsstelle für unwirksam erklärte, da die Entscheidung in der Vorinstanz nicht zuungunsten des Betriebsrats ausfiel bzw. ihn nicht subjektiv in seinen Rechten einschränkte. Habe ein Rechtsmittelführer mit einem Antrag in der Vorinstanz ohne Einschränkung gesiegt, sei er durch die Entscheidung nicht beschwert. Eine lediglich von seinem Antrag oder Vortrag abweichende Begründung führe keine Beschwer (ungünstige Entscheidung) nach sich.

Das Arbeitsgericht habe dem Antrag stattgegeben, das LAG die dagegen gerichtete Beschwerde der Arbeitgeberin zurückgewiesen. Der Betriebsrat teile zwar nicht alle Begründungselemente des LAG. Daraus resultiere gegenwärtig jedoch keine Beschwer für den Betriebsrat.

Die Vorinstanzen hätten es rechtsfehlerhaft unterlassen, den Gesamtbetriebsrat und einzelne Betriebsräte der Arbeitgeberin anzuhören. Die begehrten Feststellungen beträfen die betriebsverfassungsrechtliche Stellung der örtlichen Betriebsräte sowie des Gesamtbetriebsrats. Eine gerichtliche Entscheidung lege fest, wie die GBV EM ihnen gegenüber durchzuführen sei.

Die Anträge des Betriebsrats seien darauf ausgerichtet festzustellen, wie die GBV EM bei einem Zustimmungsersuchen der Arbeitgeberin zu einer Versetzung durchzuführen ist.

Der Betriebsrat wolle eine Klärung darüber haben, dass er in diesem Verfahren nach § 4 Absatz 1 GBV EM nicht gezwungen sei, seine Zustimmung innerhalb einer bestimmten Frist zu verweigern. Die Zustimmungsfiktion im Sinne von § 99 Absatz 3 Satz 2 BetrVG solle entsprechend des Antrages des Betriebsrats nicht zum Tragen kommen. Der Betriebsrat möchte auch nicht auf die Zustimmungsverweigerungsgründe beschränkt werden, die in § 99 Absatz 2 Nummer 1 bis 6 BetrVG aufgeführt sind.

Nach Ansicht des Betriebsrats wende die Arbeitgeberin die GBV EM bei einer Versetzung nicht in der Weise an, wie sie der Betriebsrat für richtig hält. Dem Betriebsrat gehe es entgegen der Ansicht des LAG dabei nicht darum, die Wirksamkeit GBV EM in Bezug auf alle denkbaren personellen Maßnahmen zu prüfen. Der Betriebsrat verlange somit nicht ein Rechtsgutachten, dessen Erstellung nicht in das Aufgabengebiet von Gerichten falle.

Die GBV EM sei erst im Jahr 2016, basierend auf der Erklärung zur GBV EM, wirksam vereinbart worden. Die vorausgegangenen Übereinkünfte und Erklärungen hätten nicht zu einer wirksamen Gesamtbetriebsvereinbarung geführt. Indem die Betriebsparteien in anderen Gesamtbetriebsvereinbarungen auf die GBV EM verwiesen haben, sei die GBV EM nicht wirksam gemacht worden. Aus der reinen Bezugnahme könne nicht geschlossen werden, die GBV EM solle zugleich rechtswirksam vereinbart werden. Durch den Verweis werde lediglich zum Ausdruck gebracht, dass die als wirksam angesehene GBV EM für das jetzige Regelwerk im angegebenen Umfang anwendbar sein soll.

Mit der vom Betriebsratsvorsitzenden unterzeichneten Erklärung vom Januar 2015 sei eine Gesamtbetriebsvereinbarung schon deshalb nicht zustande gekommen, weil das Schriftformgebot nicht gewahrt wurde. Für eine Gesamtbetriebsvereinbarung müssten beide Betriebsparteien eigenhändig auf derselben Urkunde unterzeichnen. Die einseitig unterzeichnete Erklärung erfülle diese Anforderung nicht.

Die GBV EM 2015 wurde vom Vorsitzenden der Gewerkschaft ver.di und dem Gesamtbetriebsratsvorsitzenden unterzeichnet, war damit jedoch nicht wirksam. Nach der Satzung von ver.di muss die Gewerkschaft durch zwei seiner Mitglieder vertreten werden. Die Unterschrift des Vorsitzenden allein genüge nicht. Erst mit der Erklärung, die mit Schriftsatz vom 15.April 2016 eingereicht und von beiden Parteien korrekt unterzeichnet war, sei die im Jahr 2001 beschlossene GBV EM als Gesamtbetriebsvereinbarung wirksam geworden.

Es sei unerheblich, dass die Erklärung zur GBV EM erst während des Rechtsbeschwerdeverfahrens wirksam zustande gekommen sei.

Der Antrag des Betriebsrats sei unbegründet. Mit der GBV EM werde nicht die Wochenfrist des § 99 Absatz 3 Satz 1 BetrVG und damit auch nicht die daran geknüpfte Zustimmungsfiktion des § 99 Absatz 3 Satz 2 BetrVG außer Kraft gesetzt.

Entsprechend der GBV EM habe der Betriebsrat in allen personellen Angelegenheiten über das BetrVG hinaus unabhängig von der Betriebsgröße mitzubestimmen, soweit nicht ein Gegenstand im Sinne von § 4 Absatz 3 GBV EM betroffen sei. Komme eine Einigung nicht zustande, könne die eingesetzte Einigungsstelle der Arbeitgeberin die vorläufige Durchführung der Maßnahme unter Berücksichtigung der in der GBV EM geregelten Voraussetzungen gestatten.

Nach der ständigen Rechtsprechung des BAG können die Beteiligungsrechte des Betriebsrats in einer Betriebsvereinbarung grundsätzlich erweitert werden. Es überschreitet jedoch die Regelungskompetenz von Arbeitgeberin und Betriebsrat, eine Vereinbarung abzuschließen, welche in Angelegenheiten des § 99 Absatz 1 BetrVG die gesetzliche Konzeption nach § 99 Absatz 3 aufhebe.

Die Aufhebung von § 99 Absatz 3 Satz 1 beträfe nicht nur das Rechtsverhältnis zwischen den Betriebsparteien, sondern die Ausgestaltung des gesetzlich geregelten Verfahrens. Das gesetzlich vorgesehene Eintreten der Zustimmungsfiktion würde dauerhaft ausgeschlossen. Die mit der Fiktion verbundene gesetzliche Grundentscheidung für ein beschleunigtes innerbetriebliches Verfahren bliebe unbeachtet. Das wäre mit den Belangen des betroffenen Arbeitnehmers sowie dem Rechtssicherheitsinteresse von Arbeitgeberin und Betriebsrat nicht vereinbar.

Die Parteien hätten ein berechtigtes Interesse daran, innerhalb der Wochenfrist zu erfahren, ob der Betriebsrat seine Zustimmung zur beabsichtigten Maßnahme verweigert. Die Arbeitgeberin könne nur dann die Erfolgsaussichten eines arbeitsgerichtlichen Verfahrens prüfen, wenn sie die Gründe für die Zustimmungsverweigerung kenne. Die Betriebsparteien würden andernfalls in das arbeitsgerichtliche Verfahren eingreifen, das nicht zu ihrer Disposition stehe und nur vom Gesetzgeber auszugestalten sei. Ohne Fristablauf käme es nicht zur Konkretisierung des Prüfungsumfangs für das Zustimmungsersetzungsverfahren für vom Betriebsrat rechtzeitig geltend gemachte Zustimmungsverweigerungsgründe.

Eine andere Folgerung ergebe sich auch nicht daraus, dass die Arbeitgeberin zugleich Gewerkschaft ist und zur Regelung der Arbeitsbedingungen ihrer Mitarbeiter keine Tarifverträge mit sich selbst abschließen könne. Parteien eines Tarifvertrages wären die Änderungen ebenso verwehrt.

Der Betriebsrat sei entsprechend der GBV EM bei Ausübung seines Mitbestimmungsrechts im Rahmen einer Versetzung nicht auf die gesetzlichen Zustimmungsverweigerungsgründe beschränkt, müsse in personellen Angelegenheiten nach § 99 Absatz 1 BetrVG jedoch Gründe für die Zustimmungsverweigerung nennen. Eine Betriebsvereinbarung, welche die Beschränkung der gerichtlichen Prüfung auf vom Betriebsrat geltend gemachte Zustimmungsverweigerungsgründe beseitigte, würde das gerichtliche Verfahren im Rahmen der Zustimmung zur betreffenden personellen Einzelmaßnahme, auch im Rahmen der Überprüfung eines Spruchs der Einigungsstelle, in unzulässiger Weise verändern.

Die Anschlussrechtsbeschwerde der Arbeitgeberin sei unzulässig, da sie nicht innerhalb der zulässigen Monatsfrist nach Zustellung der Rechtsbeschwerdebegründung erklärt wurde. Eine Anschlussrechtsbeschwerde könne anders als eine Anschlussbeschwerde, für die keine Beschwerdefrist gilt, nicht bis zum Anhörungstermin eingelegt werden.