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Freizeitausgleich für Betriebsratstätigkeit

Betriebsratsarbeit gilt nicht als Arbeitszeit, sondern wird durch eigenständigen Freizeitausgleich nach § 37 Abs.2 Arbeitszeitgesetz ausgeglichen

Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Urteil vom 20.04.2015, Aktenzeichen 12 TaBV 76/14

Überschreiten die Zeiten für Betriebsratstätigkeit und persönliche Arbeitszeit die werktägliche Höchstgrenze nach §3 ArbZG (Arbeitszeitgesetz), besteht Anspruch auf bezahlte Arbeitsbefreiung.

Eine Mitarbeiterin nahm an einer Betriebsratssitzung, die um 8.00 Uhr begann, teil. Anschließend an die Sitzung nahm sie auf Anordnung der Arbeitgeberin ihre Arbeit in der Filiale auf. Sie verließ die Filiale um 17.36 Uhr.

Der Betriebsrat vertrat die Auffassung, Zeiten der Betriebsratssitzung und Arbeitszeit am selben Tag müssten als Arbeitszeit im Sinne des Arbeitszeitgesetzes zusammengerechnet werden.

Der Betriebsrat beantragte beim Arbeitsgericht feststellen zu lassen, dass die Arbeitgeberin nicht am Tage der Betriebsratssitzung, die ganz oder teilweise außerhalb der disponierten Arbeitszeit liegt, Arbeitsleistungen von den Betriebsratsmitgliedern verlangen könne, die den Umfang der disponierten Arbeitszeit überschreite.

Hilfsweise sollte festgestellt werden, dass Betriebsratsmitglieder die an einer Betriebsratssitzung außerhalb ihrer Arbeitszeit teilnehmen, im Gesamtumfang der für diesen Tag disponierten Arbeitszeit am selben Tag Freizeitausgleich für den Zeitraum der Teilnahme an der Betriebsratssitzung beanspruchen können.

Die Arbeitgeberin forderte, die Anträge zurückzuweisen, da die Betriebsratstätigkeit nicht unter die Regelungen des Arbeitszeitgesetzes (ArbZG) falle. Der Betriebsrat habe es zudem in der Hand, die zeitliche Lage seiner Sitzungen so zu verändern, dass eine Überbeanspruchung der Betriebsratsmitglieder vermieden werde.

Das Arbeitsgericht wies Haupt- und Hilfsantrag zurück. Mit seiner Beschwerde vor dem Landesarbeitsgericht (LAG) verfolgte der Betriebsrat seine Anträge weiter. Die Arbeitgeberin habe nicht rechtsverbindlich erklärt, dass sie Betriebsratsmitglieder im Anschluss an Betriebsratssitzungen nicht über die Grenzen des Arbeitszeitgesetzes (ArbZG) hinaus beschäftigen werde. Es sei klärungsbedürftig, ob sich die Arbeitgeberin an den Vorgaben des Arbeitszeitgesetzes zu orientieren habe.

Der Betriebsrat vertrat die Auffassung, die Zeiten der Betriebsratssitzungen seien als Arbeitszeit im Sinne von  § 2 Abs. 1 Satz 1 ArbZG zu betrachten. Betriebsratssitzungen fänden vorrangig im Betrieb statt und seien betrieblich veranlasst. Entlohnung und sozialversicherungstechnische Belange stellten ebenfalls die Zeiten der Betriebsratstätigkeit mit der regulären Arbeitszeit gleich. Während der Tätigkeit als Betriebsrat seien die Betriebsratsmitglieder ähnlichen oder im Einzelfall sogar intensiveren Belastungen ausgesetzt als während der betrieblichen Tätigkeit.

Für die Ausübung der Betriebsratstätigkeit könne nicht unmittelbar § 3 ArbZG angewendet werde. Bisher gebe es keine höchstrichterliche Entscheidung, ob Zeiten der Betriebsratstätigkeit vom Arbeitszeitgesetz geregelt werden. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) habe sich bisher lediglich mit der Vergütung der Betriebsratsarbeit befasst.

Das LAG befand, außerhalb der Arbeitszeit durchgeführte Betriebsratsarbeit gelte nicht als zusätzliche Arbeitszeit. Gewährung von Freizeitausgleich nach § 37 Abs. 3 S. 1 BetrVG erfasse nur die persönliche Arbeitszeit eines Betriebsratsmitgliedes. Findet die Betriebsratstätigkeit betriebsbedingt außerhalb der persönlichen Arbeitszeit statt, erwerbe das Betriebsratsmitglied einen Anspruch auf Freizeitausgleich.

Vom BAG wurde bisher nicht geurteilt, ob diese Betriebsratstätigkeiten den Höchstgrenzen des § 3 ArbZG unterliegen. Das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen habe indes mit Urteil vom 10.05.2011 (4 A 1403/08) die Frage bejaht, dass die Teilnahme an Betriebsversammlungen i.S. von § 42 BetrVG (Betriebsverfassungsgesetz) Arbeitszeit i.S. von § 2 Abs. 1 ArbZG sei.

Das LAG geht davon aus, dass das Arbeitszeitgesetz nicht unmittelbar auf die Betriebsratstätigkeit angewendet werden könne. Das Amt des Betriebsrats sei ein Ehrenamt, die aufgewendete Zeit sei keine Arbeitszeit i.S. des § 2 Abs. 1 S. 1 ArbZG.

Würde die Betriebsratstätigkeit als Arbeitszeit gelten, würde die Arbeitgeberin bei dem Versuch, die Vorgaben des Arbeitszeitgesetzes auch gegenüber dem Betriebsrat durchzusetzen, in seine autonome Arbeitsorganisation eingreifen. Insbesondere betriebliche Konfliktsituationen könnten dazu führen, dass der Betriebsrat die Vorgaben nicht einhalten kann. Im Rahmen des ihm übertragenen Ehrenamtes habe er selbst zu entscheiden, welche Anstrengungen ihm zugemutet werden könnten. Die Unabhängigkeit des Betriebsrats wäre nicht gewährleistet, wenn die Arbeitgeberin etwa darauf einwirken könnte, wie lange der Betriebsrat tagt.

Wenn Betriebsratsarbeit umstandslos als Arbeitszeit i.S. des Arbeitszeitgesetzes zu bewerten wäre, geriete die Arbeitgeberin in die Haftung, ohne dass sie etwaige Verstöße gegen das ArbZG im Angesicht der eigenständigen Amtsführung durch den Betriebsrat verhindern könnte.

Nimmt ein Betriebsratsmitglied an einer außerhalb seiner persönlichen Arbeitszeit stattfindenden Betriebsratssitzung teil und ist es ihm deswegen unmöglich oder unzumutbar, seine vor oder nach der Betriebsratssitzung liegende Arbeitszeit einzuhalten, so habe es gem. § 37 Abs. 2 BetrVG einen Anspruch auf bezahlte Arbeitsbefreiung.

Eine Unzumutbarkeit liege in der Regel dann vor, wenn bei Zusammenrechnung der für die Betriebsratstätigkeit aufgewendeten Zeiten mit den persönlichen Arbeitszeiten die werktägliche Höchstarbeitszeit nach § 3 ArbZG überschritten würde.

Nach diesen Maßstäben könnten Betriebsratstätigkeiten nicht einfach mit arbeitsvertraglichen Tätigkeiten zusammengerechnet werden. Es seien im Einzelfall Konstellationen denkbar, in denen es zumutbar wäre, dass Betriebsratstätigkeit und arbeitsvertragliche Tätigkeit geringfügig die Grenzen von § 3 ArbZG übersteigen, etwa wenn sich wegen Personalengpasses oder hohen Krankenstandes eine betriebliche Notlage ergebe.

Nach den vom Gericht dargestellten Maßstäben wäre es rechtswidrig, nach einer siebenstündigen Betriebsratssitzung eine volle achtstündige Arbeitsschicht anzuordnen. Im konkreten Fall ergab sich jedoch ohne Berücksichtigung von Pausen lediglich eine Gesamtzeit für Betriebsratstätigkeit und Arbeitszeit von 9,5 Stunden. Anhaltspunkte dafür, dass im Ausgleichszeitraum nach § 3 S. 2 ArbZG der Durchschnitt von 8 Stunden werktäglich überschritten worden ist, lägen nicht vor. Mit dieser Begründung wurde der Hilfsantrag ebenfalls abgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wurde zugelassen, da die Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung ist.